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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Bei der Generaldiskussion der Tarifvorlage hielt am 6. Mai Herr
v. Bennigsen jene Rede, welche dem freihändlerischen Theile seiner Partei so
wenig zusagte, dafür aber den Redner und die nicht geringe Zahl seiner engeren
Freunde in der Fraktion dicht an die Seite der Regierung geführt zu haben
schien. Was Herrn v. Bennigsen dann doch von der Regierung entfernt hat,
weiß man, oder man glaubt es zu wissen. Herr v. Bennigsen hatte zur Wah¬
rung der sogenannten konstitutionellen Rechte des Reichstags in Bezug auf die
Einnahme-Bewilligung als Mitglied der Tarifkommission vorgeschlagen: die
Abhängigkeit der Höhe des Kaffeezolls und der Salzsteuer von dem jährlichen
Beschlusse des Reichstags. Dieser Vorschlag wurde schon in der Tarif¬
kommission verworfen und dafür der Frankenstein'sche angenommen, welcher
den Ertrag sämmtlicher Zölle und der Tabaksteuer, soweit er die Summe
von 130 Millionen Mark übersteigt, den Einzelstaaten als Eigenthum zuweist,
dagegen zur Deckung der jene Summe übersteigenden Reichsbedürfnisse die
Matrikularbeiträge beibehält. Herr v. Bennigsen erklärte bereits in der
Kommission, wenn dieser Frankenstein'sche Antrag angenommen würde, so müsse
er gegen den ganzen Tarif stimmen. Das war eine eigenthümliche Position,
die von dem bisherigen nationalliberalen Standpunkte keineswegs ohne weiteres
gerechtfertigt werden konnte. Sie war erstens nicht zu rechtfertigen von dem
sogenannten konstitutionellen Standpunkte der Nationalliberalen. Denn die
Partei hatte bis dahin immerfort erklärt, die Matrikularbeiträge gewährten
ein gutes Einnahme-Bewilligungsrecht, und man könne in ihre Beseitigung nur
willigen gegen die Einführung eines Bewilligungsrechtes für einen den Matri-
kularbeiträgen entsprechenden Theil der neuen Neichseinnahmen. Nun behielt
man ja die Matrikularbeiträge, und man konnte also nicht plötzlich über ein
verkürztes Einnahme-Bewilligungsrecht klagen. Aber die plötzliche Opposition
war auch nicht gerechtfertigt vom Standpunkte des Reichsgedankens, wie ihn
die nationalliberale Partei zu vertreten beabsichtigt. Denn bei der Bekämpfung
der Matrikularbeiträge zu dem Zwecke, die Abhängigkeit des Reiches von den
Einzelstaaten aufzuheben, hatte man eben diesen Zweck, nicht aber die Form
im Auge. Man wollte den Zustand beseitigen, in welchem die Einnahmequellen
des Reiches durch die Einzelstaaten geschaffen werden mußten. Wenn man
dies erreichte, wenn man das Reich nicht nur zum Schöpfer feiner eigenen
Einnahmen, sondern überdies zum thatsächlichen Versorger der Einzelstaaten
machte, so hatte der Reichsgedanke den größten Triumph gefeiert, das Ganze
hing nicht mehr von den Theilen ab, sondern die Theile waren vom Ganzen
abhängig gemacht. Wenn dies der thatsächliche Zustand geworden war, was
konnte es verschlagen, wenn den Einzelstaaten der Eigenthumstitel ans die von
dem Reiche geschaffenen Einnahmen belassen oder verliehen wurde? Die volle


Bei der Generaldiskussion der Tarifvorlage hielt am 6. Mai Herr
v. Bennigsen jene Rede, welche dem freihändlerischen Theile seiner Partei so
wenig zusagte, dafür aber den Redner und die nicht geringe Zahl seiner engeren
Freunde in der Fraktion dicht an die Seite der Regierung geführt zu haben
schien. Was Herrn v. Bennigsen dann doch von der Regierung entfernt hat,
weiß man, oder man glaubt es zu wissen. Herr v. Bennigsen hatte zur Wah¬
rung der sogenannten konstitutionellen Rechte des Reichstags in Bezug auf die
Einnahme-Bewilligung als Mitglied der Tarifkommission vorgeschlagen: die
Abhängigkeit der Höhe des Kaffeezolls und der Salzsteuer von dem jährlichen
Beschlusse des Reichstags. Dieser Vorschlag wurde schon in der Tarif¬
kommission verworfen und dafür der Frankenstein'sche angenommen, welcher
den Ertrag sämmtlicher Zölle und der Tabaksteuer, soweit er die Summe
von 130 Millionen Mark übersteigt, den Einzelstaaten als Eigenthum zuweist,
dagegen zur Deckung der jene Summe übersteigenden Reichsbedürfnisse die
Matrikularbeiträge beibehält. Herr v. Bennigsen erklärte bereits in der
Kommission, wenn dieser Frankenstein'sche Antrag angenommen würde, so müsse
er gegen den ganzen Tarif stimmen. Das war eine eigenthümliche Position,
die von dem bisherigen nationalliberalen Standpunkte keineswegs ohne weiteres
gerechtfertigt werden konnte. Sie war erstens nicht zu rechtfertigen von dem
sogenannten konstitutionellen Standpunkte der Nationalliberalen. Denn die
Partei hatte bis dahin immerfort erklärt, die Matrikularbeiträge gewährten
ein gutes Einnahme-Bewilligungsrecht, und man könne in ihre Beseitigung nur
willigen gegen die Einführung eines Bewilligungsrechtes für einen den Matri-
kularbeiträgen entsprechenden Theil der neuen Neichseinnahmen. Nun behielt
man ja die Matrikularbeiträge, und man konnte also nicht plötzlich über ein
verkürztes Einnahme-Bewilligungsrecht klagen. Aber die plötzliche Opposition
war auch nicht gerechtfertigt vom Standpunkte des Reichsgedankens, wie ihn
die nationalliberale Partei zu vertreten beabsichtigt. Denn bei der Bekämpfung
der Matrikularbeiträge zu dem Zwecke, die Abhängigkeit des Reiches von den
Einzelstaaten aufzuheben, hatte man eben diesen Zweck, nicht aber die Form
im Auge. Man wollte den Zustand beseitigen, in welchem die Einnahmequellen
des Reiches durch die Einzelstaaten geschaffen werden mußten. Wenn man
dies erreichte, wenn man das Reich nicht nur zum Schöpfer feiner eigenen
Einnahmen, sondern überdies zum thatsächlichen Versorger der Einzelstaaten
machte, so hatte der Reichsgedanke den größten Triumph gefeiert, das Ganze
hing nicht mehr von den Theilen ab, sondern die Theile waren vom Ganzen
abhängig gemacht. Wenn dies der thatsächliche Zustand geworden war, was
konnte es verschlagen, wenn den Einzelstaaten der Eigenthumstitel ans die von
dem Reiche geschaffenen Einnahmen belassen oder verliehen wurde? Die volle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/136>, abgerufen am 25.11.2024.