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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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nischen Juden beschlossen wird, weil eine solche Maßregel auf Gleichberechti¬
gung einer sittlich tiefer stehenden Menschenklasse mit der höher stehenden und
auf Aussaugung der letzteren durch die erstere hinausläuft. Fragt sich's doch
kaum noch, ob die vollkommene bürgerliche Gleichstellung der Juden mit den
Deutschen -- wir sagen nicht mit den Christen, denn wir denken an die
Race, nicht an die Religion -- unserm gesellschaftlichen, wirthschaftlichen und
politischen Leben, unsrer Presse und unseren Parlamenten zum Segen oder zum
Unsegen geworden ist, und doch liegen die Verhältnisse für uns erheblich gün¬
stiger als für die Rumänen.

Wir können uns mit einer Erörterung der letzterwähnten Frage hier nicht
befassen, und ebensowenig ist hier der Ort, festzustellen, ob es durchweg begründet
ist, und wer die Schuld trägt, wenn uns vor einiger Zeit aus Russisch-Polen
geschrieben wurde: "Es kaun nicht in Abrede gestellt werden, daß sich hier
zu Lande ein Uebel eingenistet hat, das zwar heutzutage uirgeuds fehlt, bei
uns in Klein-Palästina aber besonders verderblich wirkt. Ich meine die
uimmerrasteude Hab- und Geldgier der jüdischen Bevölkerung. Der Wucher
treibt allenthalben seine übelduftenden Blüthen. Das Wechselgesetz läßt leider
dem betriebsamen Volke freien Spielraum für seine faulen Manöver, und es
wäre sehr zu wünschen, daß es einer entsprechenden Abänderung unterzogen
würde. Dies würde dann wie das Wnchergesetz in Galizien und der Bukowina
ein Präservativ geben, das dem ehrlich betriebenen Handel nichts schaden und
dem Wohle Aller sehr zu Statten kommen würde." Nur von der Judenfrage
in Rumänien soll hier gesprochen werden, und da ist Folgendes zu erwägen.

Der Berliner Vertrag, der dem russisch-türkischen Kriege folgte, bestimmte
in seinem 44. Paragraphen, die Anerkennung der Unabhängigkeit des Fürsten-
thums Rumänien solle davon abhängen, daß hier die Gleichberechtigung aller
Bekenntnisse gesetzlich ausgesprochen werde. Der Kongreß, der dies beschloß,
hat dabei keineswegs allein an die rumänischen Juden gegenüber der christlichen
Bevölkerung, ja gewiß nicht einmal in erster Reihe an jene gedacht. Sein
Verlangen richtete sich vielmehr zugleich an Serbien und Montenegro und hatte
vor allem die Muslime im Auge, welche durch die Annexionen bisher türki¬
schen Gebietes an diese unabhängig werdenden Länder Unterthanen der Fürsten
derselben werden sollten. Diese Mohammedaner vor Uebergriffen und Beein¬
trächtigungen von Seiten der orthodoxen Bevölkerung und deren Gesetzgebung
und Verwaltung zu schützen, war der nächste Zweck jener Bestimmung. Bei
der allgemeinen Fassung derselben war aber damit auch die Emanzipation der
viermalhunderttansend Juden Rumänien's gefordert, und da dieser Maßregel
der 7. Paragraph der Verfassung dieses Fürstenthums entgegensteht, welcher
die christliche Religion als Voraussetzung der an Fremde zu ertheilenden Ans-


nischen Juden beschlossen wird, weil eine solche Maßregel auf Gleichberechti¬
gung einer sittlich tiefer stehenden Menschenklasse mit der höher stehenden und
auf Aussaugung der letzteren durch die erstere hinausläuft. Fragt sich's doch
kaum noch, ob die vollkommene bürgerliche Gleichstellung der Juden mit den
Deutschen — wir sagen nicht mit den Christen, denn wir denken an die
Race, nicht an die Religion — unserm gesellschaftlichen, wirthschaftlichen und
politischen Leben, unsrer Presse und unseren Parlamenten zum Segen oder zum
Unsegen geworden ist, und doch liegen die Verhältnisse für uns erheblich gün¬
stiger als für die Rumänen.

Wir können uns mit einer Erörterung der letzterwähnten Frage hier nicht
befassen, und ebensowenig ist hier der Ort, festzustellen, ob es durchweg begründet
ist, und wer die Schuld trägt, wenn uns vor einiger Zeit aus Russisch-Polen
geschrieben wurde: „Es kaun nicht in Abrede gestellt werden, daß sich hier
zu Lande ein Uebel eingenistet hat, das zwar heutzutage uirgeuds fehlt, bei
uns in Klein-Palästina aber besonders verderblich wirkt. Ich meine die
uimmerrasteude Hab- und Geldgier der jüdischen Bevölkerung. Der Wucher
treibt allenthalben seine übelduftenden Blüthen. Das Wechselgesetz läßt leider
dem betriebsamen Volke freien Spielraum für seine faulen Manöver, und es
wäre sehr zu wünschen, daß es einer entsprechenden Abänderung unterzogen
würde. Dies würde dann wie das Wnchergesetz in Galizien und der Bukowina
ein Präservativ geben, das dem ehrlich betriebenen Handel nichts schaden und
dem Wohle Aller sehr zu Statten kommen würde." Nur von der Judenfrage
in Rumänien soll hier gesprochen werden, und da ist Folgendes zu erwägen.

Der Berliner Vertrag, der dem russisch-türkischen Kriege folgte, bestimmte
in seinem 44. Paragraphen, die Anerkennung der Unabhängigkeit des Fürsten-
thums Rumänien solle davon abhängen, daß hier die Gleichberechtigung aller
Bekenntnisse gesetzlich ausgesprochen werde. Der Kongreß, der dies beschloß,
hat dabei keineswegs allein an die rumänischen Juden gegenüber der christlichen
Bevölkerung, ja gewiß nicht einmal in erster Reihe an jene gedacht. Sein
Verlangen richtete sich vielmehr zugleich an Serbien und Montenegro und hatte
vor allem die Muslime im Auge, welche durch die Annexionen bisher türki¬
schen Gebietes an diese unabhängig werdenden Länder Unterthanen der Fürsten
derselben werden sollten. Diese Mohammedaner vor Uebergriffen und Beein¬
trächtigungen von Seiten der orthodoxen Bevölkerung und deren Gesetzgebung
und Verwaltung zu schützen, war der nächste Zweck jener Bestimmung. Bei
der allgemeinen Fassung derselben war aber damit auch die Emanzipation der
viermalhunderttansend Juden Rumänien's gefordert, und da dieser Maßregel
der 7. Paragraph der Verfassung dieses Fürstenthums entgegensteht, welcher
die christliche Religion als Voraussetzung der an Fremde zu ertheilenden Ans-


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[0125] nischen Juden beschlossen wird, weil eine solche Maßregel auf Gleichberechti¬ gung einer sittlich tiefer stehenden Menschenklasse mit der höher stehenden und auf Aussaugung der letzteren durch die erstere hinausläuft. Fragt sich's doch kaum noch, ob die vollkommene bürgerliche Gleichstellung der Juden mit den Deutschen — wir sagen nicht mit den Christen, denn wir denken an die Race, nicht an die Religion — unserm gesellschaftlichen, wirthschaftlichen und politischen Leben, unsrer Presse und unseren Parlamenten zum Segen oder zum Unsegen geworden ist, und doch liegen die Verhältnisse für uns erheblich gün¬ stiger als für die Rumänen. Wir können uns mit einer Erörterung der letzterwähnten Frage hier nicht befassen, und ebensowenig ist hier der Ort, festzustellen, ob es durchweg begründet ist, und wer die Schuld trägt, wenn uns vor einiger Zeit aus Russisch-Polen geschrieben wurde: „Es kaun nicht in Abrede gestellt werden, daß sich hier zu Lande ein Uebel eingenistet hat, das zwar heutzutage uirgeuds fehlt, bei uns in Klein-Palästina aber besonders verderblich wirkt. Ich meine die uimmerrasteude Hab- und Geldgier der jüdischen Bevölkerung. Der Wucher treibt allenthalben seine übelduftenden Blüthen. Das Wechselgesetz läßt leider dem betriebsamen Volke freien Spielraum für seine faulen Manöver, und es wäre sehr zu wünschen, daß es einer entsprechenden Abänderung unterzogen würde. Dies würde dann wie das Wnchergesetz in Galizien und der Bukowina ein Präservativ geben, das dem ehrlich betriebenen Handel nichts schaden und dem Wohle Aller sehr zu Statten kommen würde." Nur von der Judenfrage in Rumänien soll hier gesprochen werden, und da ist Folgendes zu erwägen. Der Berliner Vertrag, der dem russisch-türkischen Kriege folgte, bestimmte in seinem 44. Paragraphen, die Anerkennung der Unabhängigkeit des Fürsten- thums Rumänien solle davon abhängen, daß hier die Gleichberechtigung aller Bekenntnisse gesetzlich ausgesprochen werde. Der Kongreß, der dies beschloß, hat dabei keineswegs allein an die rumänischen Juden gegenüber der christlichen Bevölkerung, ja gewiß nicht einmal in erster Reihe an jene gedacht. Sein Verlangen richtete sich vielmehr zugleich an Serbien und Montenegro und hatte vor allem die Muslime im Auge, welche durch die Annexionen bisher türki¬ schen Gebietes an diese unabhängig werdenden Länder Unterthanen der Fürsten derselben werden sollten. Diese Mohammedaner vor Uebergriffen und Beein¬ trächtigungen von Seiten der orthodoxen Bevölkerung und deren Gesetzgebung und Verwaltung zu schützen, war der nächste Zweck jener Bestimmung. Bei der allgemeinen Fassung derselben war aber damit auch die Emanzipation der viermalhunderttansend Juden Rumänien's gefordert, und da dieser Maßregel der 7. Paragraph der Verfassung dieses Fürstenthums entgegensteht, welcher die christliche Religion als Voraussetzung der an Fremde zu ertheilenden Ans-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/125>, abgerufen am 01.09.2024.