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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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verkauft und sich so eines großen Theils seines Einflusses auf dieses Unter¬
nehmen begeben hatte. Andernfalls hätte schon damals der Bankerott und mit
ihm der Zusammenbruch seiner Herrschaft an die Pforte seines Schlosses ge¬
pocht und wäre nicht abzuweisen gewesen. Die europäischen Gläubiger aber
hätten das leere Nachsehen gehabt.

Mit diesem Abkommen war indeß nur halb geholfen und für den Chediw
nur eine kurze Frist gewonnen. Er dachte nicht daran, sich einzuschränken, für
produktive Zwecke, Eröffnung neuer Hilfsquellen geschah wenig oder nichts,
und die Steuern und Frohnden der Aegypter waren bereits so hoch hinauf¬
geschraubt, daß sie sich schlechterdings nicht mehr steigern ließen. So schien dem
Vizekönig von feinem Standpunkte aus nichts mehr übrig zu bleiben als der
Versuch, sich gewaltsam von der Vormundschaft seiner europäischen Finanzver¬
walter zu befreien, und wenn er diesen Versuch unternahm, so rechnete er aller
Wahrscheinlichkeit nach auf die Nachsicht England's und Frankreich's, die aus
Motiven der Eifersucht entsprang. Beide denken, wie bekannt, an eine Beerbung
der Dynastie Mehemed Ali's, wenn sie abgewirthschaftet hat. Je schlechter
in Aegypten regiert wird, desto geneigter wird das dortige Volk, sich fremde
Regenten gefallen zu lassen. Nur darin sind die beiden Westmächte einig, daß
jede derselben das Nilland zu besitzen wünscht, und daß jede weiß, daß es für
sie die größten Schwierigkeiten hat, es der andern vorwegzunehmen, zumal auch
audere Mächte, Oesterreich und Italien z. B., von denen keines dulden kann,
daß das Mittelmeer ein französischer See wird, dabei ein Wort mitzureden haben.

So schien sich der Chediw in der That nicht verrechnet zu haben, als uner¬
warteter Weise eine Aktion von anderer Seite her erfolgte. Die aegyptische
Regierung hatte gleichzeitig mit der Wegschickung der europäischen Finanzver-
walter unterm 22. April ein Dekret erlassen, welches, um ihre Gläubiger und
das englische sowie das französische Kabinet zu beschwichtigen, eine anderweite
Regelung der Schuldverhältnisse des Landes, die man eine "nationale" nannte,
anordnete, als die deutsche Regierung dagegen Einspruch erhob. Wiederholt
schon hatte das Berliner Kabinet sich in aegyptischen Fragen aus eigener Ini¬
tiative bewogen gefunden, sich gegen Ungehörigkeiten oder Versuche zu solchen auf
diplomatischem Wege zu erklären. Wir erinnern u. a. an die Vorstellungen,
welche der deutsche Generalkonsul v. Jasmund vor ungefähr fünf Jahren
beim Sturze Nubar Pascha's dem Vizekönig zu machen beauftragt war. Es
handelte sich damals um die Einführung der Reform in Sachen der Gerichts¬
barkeit der Konsulate, die Ismail zu hintertreiben suchte. Jetzt wurde ent¬
schiedener vorgegangen. Am 18. Mai übergab der Freiherr v. Sanrma,
Jasmund's Nachfolger, auf Befehl des Reichskanzlers dem Chediw ein Protest¬
note folgenden Inhalts:


verkauft und sich so eines großen Theils seines Einflusses auf dieses Unter¬
nehmen begeben hatte. Andernfalls hätte schon damals der Bankerott und mit
ihm der Zusammenbruch seiner Herrschaft an die Pforte seines Schlosses ge¬
pocht und wäre nicht abzuweisen gewesen. Die europäischen Gläubiger aber
hätten das leere Nachsehen gehabt.

Mit diesem Abkommen war indeß nur halb geholfen und für den Chediw
nur eine kurze Frist gewonnen. Er dachte nicht daran, sich einzuschränken, für
produktive Zwecke, Eröffnung neuer Hilfsquellen geschah wenig oder nichts,
und die Steuern und Frohnden der Aegypter waren bereits so hoch hinauf¬
geschraubt, daß sie sich schlechterdings nicht mehr steigern ließen. So schien dem
Vizekönig von feinem Standpunkte aus nichts mehr übrig zu bleiben als der
Versuch, sich gewaltsam von der Vormundschaft seiner europäischen Finanzver¬
walter zu befreien, und wenn er diesen Versuch unternahm, so rechnete er aller
Wahrscheinlichkeit nach auf die Nachsicht England's und Frankreich's, die aus
Motiven der Eifersucht entsprang. Beide denken, wie bekannt, an eine Beerbung
der Dynastie Mehemed Ali's, wenn sie abgewirthschaftet hat. Je schlechter
in Aegypten regiert wird, desto geneigter wird das dortige Volk, sich fremde
Regenten gefallen zu lassen. Nur darin sind die beiden Westmächte einig, daß
jede derselben das Nilland zu besitzen wünscht, und daß jede weiß, daß es für
sie die größten Schwierigkeiten hat, es der andern vorwegzunehmen, zumal auch
audere Mächte, Oesterreich und Italien z. B., von denen keines dulden kann,
daß das Mittelmeer ein französischer See wird, dabei ein Wort mitzureden haben.

So schien sich der Chediw in der That nicht verrechnet zu haben, als uner¬
warteter Weise eine Aktion von anderer Seite her erfolgte. Die aegyptische
Regierung hatte gleichzeitig mit der Wegschickung der europäischen Finanzver-
walter unterm 22. April ein Dekret erlassen, welches, um ihre Gläubiger und
das englische sowie das französische Kabinet zu beschwichtigen, eine anderweite
Regelung der Schuldverhältnisse des Landes, die man eine „nationale" nannte,
anordnete, als die deutsche Regierung dagegen Einspruch erhob. Wiederholt
schon hatte das Berliner Kabinet sich in aegyptischen Fragen aus eigener Ini¬
tiative bewogen gefunden, sich gegen Ungehörigkeiten oder Versuche zu solchen auf
diplomatischem Wege zu erklären. Wir erinnern u. a. an die Vorstellungen,
welche der deutsche Generalkonsul v. Jasmund vor ungefähr fünf Jahren
beim Sturze Nubar Pascha's dem Vizekönig zu machen beauftragt war. Es
handelte sich damals um die Einführung der Reform in Sachen der Gerichts¬
barkeit der Konsulate, die Ismail zu hintertreiben suchte. Jetzt wurde ent¬
schiedener vorgegangen. Am 18. Mai übergab der Freiherr v. Sanrma,
Jasmund's Nachfolger, auf Befehl des Reichskanzlers dem Chediw ein Protest¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/10>, abgerufen am 27.11.2024.