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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Idealismus hielt die Verdrängung des romantischen Geistes aus seiner eigent¬
lichen Heimat, aus der Poesie: auch im dichterischen Schaffen errang eine
Richtung immer mehr Beifall und Ausbreitung, welche die poetischen Elemente
an der "Arbeit", an der gefunden Kraft sittlicher Tüchtigkeit hervorhob. Endlich
hatte aus dem Bankerotte der alten Begriffsspekulation die der Naturwissen-
schaft verwandte Herbartische Schule hinübergeleitet zu immer unbedingterer
Herrschaft der Erfahrungsmethode und der Beschränkung auf sicher Feststell¬
bares. Alle diese sich jetzt endgiltig entscheidenden Wandelungen des deutschen
Geistes drängten den unheilbaren Schwärmer in eine pessimistisch brütende
Beschaulichkeit hinein, und wenn er in dieser Stimmung mit Begierde die
sinnesverwandte Lehre Schopenhauer's ergriff, so durfte er sich nicht einmal
sehr unmodern erscheinen; denn Schopenhauer redete bei Allem doch gar sehr
die derbe, anschauliche Sprache der Zeit, war ein Empirist trotz Einem und
hatte den Willen zum Prinzip, wenn er ihn auch dadurch, daß er sein Werk
in die bloße "Vorstellung", also in eine nichtige Gedankenwelt einschloß, so¬
gleich wieder entmannte.

Bekanntlich ist Ed. v. Hartmann, der zuerst im Jahre 1869 mit seiner
"Philosophie des Unbewußten" vor die Öffentlichkeit trat, zum Erneuerer des
Pessimismus für eine Zeitepoche geworden, in welcher die Ausbreitung und
beifällige Aufnahme einer solchen Denkweise zunächst weniger verständlich ist.
Umsomehr sind wir zum Nachdenken darüber aufgefordert und dürfen die
Aufrichtigkeit einer Selbstprüfung nicht scheuen, bei der die Mängel und ge¬
heimen Krankheiten des Zeitalters an's Licht zu kommen drohen.

Wir wissen es, jener Umwendung des deutschen Geistes zu einer verstan¬
desklaren und um so kraftvolleren Ergreifung realer Ziele, jener Wegwendung
von einem träumerischen Versinken in das Innenleben und von schwärmerischem
Hangen am Unerreichbarem, ihr verdanken wir die Erhebung zu einem reineren
und energischeren sittlichen Idealismus, und durch diesen die machtvollen gegen¬
wärtigen Daseinsformen unseres nationalen Lebens. Zunächst wird das hiermit
Errungene an sich selbst als ein Quell hoher Befriedigung, als unmittelbarer In¬
halt eines neuen nationalen Glückes empfunden. Das Hochgefühl bewährter Kraft
und erworbener Größe kann auf eine Zeit lang selbst als Zieles genug erscheinen
für jedes, auch das anspruchsvollste menschliche Wollen, erhebend über das
Heer der nun einmal unvermeidlichen Uebel des menschlichen Lebens. Das
Gefühl jener Genugthuung, meint man, habe sich nur eben von jetzt ab zu
verbinden mit den kleineren Befriedigungen durch Arbeit und Genuß, wie sie
in allen Zeiten dieselben bleiben, um in dieser Verschmelzung ein dauerndes
Ueberwiegen wahren Wohles zu schaffen. Allein eine solche Anschauung und
Empfindung kann nicht bestimmt sein, anzudauern. Das Leben pulsirt weiter,


Idealismus hielt die Verdrängung des romantischen Geistes aus seiner eigent¬
lichen Heimat, aus der Poesie: auch im dichterischen Schaffen errang eine
Richtung immer mehr Beifall und Ausbreitung, welche die poetischen Elemente
an der „Arbeit", an der gefunden Kraft sittlicher Tüchtigkeit hervorhob. Endlich
hatte aus dem Bankerotte der alten Begriffsspekulation die der Naturwissen-
schaft verwandte Herbartische Schule hinübergeleitet zu immer unbedingterer
Herrschaft der Erfahrungsmethode und der Beschränkung auf sicher Feststell¬
bares. Alle diese sich jetzt endgiltig entscheidenden Wandelungen des deutschen
Geistes drängten den unheilbaren Schwärmer in eine pessimistisch brütende
Beschaulichkeit hinein, und wenn er in dieser Stimmung mit Begierde die
sinnesverwandte Lehre Schopenhauer's ergriff, so durfte er sich nicht einmal
sehr unmodern erscheinen; denn Schopenhauer redete bei Allem doch gar sehr
die derbe, anschauliche Sprache der Zeit, war ein Empirist trotz Einem und
hatte den Willen zum Prinzip, wenn er ihn auch dadurch, daß er sein Werk
in die bloße „Vorstellung", also in eine nichtige Gedankenwelt einschloß, so¬
gleich wieder entmannte.

Bekanntlich ist Ed. v. Hartmann, der zuerst im Jahre 1869 mit seiner
„Philosophie des Unbewußten" vor die Öffentlichkeit trat, zum Erneuerer des
Pessimismus für eine Zeitepoche geworden, in welcher die Ausbreitung und
beifällige Aufnahme einer solchen Denkweise zunächst weniger verständlich ist.
Umsomehr sind wir zum Nachdenken darüber aufgefordert und dürfen die
Aufrichtigkeit einer Selbstprüfung nicht scheuen, bei der die Mängel und ge¬
heimen Krankheiten des Zeitalters an's Licht zu kommen drohen.

Wir wissen es, jener Umwendung des deutschen Geistes zu einer verstan¬
desklaren und um so kraftvolleren Ergreifung realer Ziele, jener Wegwendung
von einem träumerischen Versinken in das Innenleben und von schwärmerischem
Hangen am Unerreichbarem, ihr verdanken wir die Erhebung zu einem reineren
und energischeren sittlichen Idealismus, und durch diesen die machtvollen gegen¬
wärtigen Daseinsformen unseres nationalen Lebens. Zunächst wird das hiermit
Errungene an sich selbst als ein Quell hoher Befriedigung, als unmittelbarer In¬
halt eines neuen nationalen Glückes empfunden. Das Hochgefühl bewährter Kraft
und erworbener Größe kann auf eine Zeit lang selbst als Zieles genug erscheinen
für jedes, auch das anspruchsvollste menschliche Wollen, erhebend über das
Heer der nun einmal unvermeidlichen Uebel des menschlichen Lebens. Das
Gefühl jener Genugthuung, meint man, habe sich nur eben von jetzt ab zu
verbinden mit den kleineren Befriedigungen durch Arbeit und Genuß, wie sie
in allen Zeiten dieselben bleiben, um in dieser Verschmelzung ein dauerndes
Ueberwiegen wahren Wohles zu schaffen. Allein eine solche Anschauung und
Empfindung kann nicht bestimmt sein, anzudauern. Das Leben pulsirt weiter,


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[0098] Idealismus hielt die Verdrängung des romantischen Geistes aus seiner eigent¬ lichen Heimat, aus der Poesie: auch im dichterischen Schaffen errang eine Richtung immer mehr Beifall und Ausbreitung, welche die poetischen Elemente an der „Arbeit", an der gefunden Kraft sittlicher Tüchtigkeit hervorhob. Endlich hatte aus dem Bankerotte der alten Begriffsspekulation die der Naturwissen- schaft verwandte Herbartische Schule hinübergeleitet zu immer unbedingterer Herrschaft der Erfahrungsmethode und der Beschränkung auf sicher Feststell¬ bares. Alle diese sich jetzt endgiltig entscheidenden Wandelungen des deutschen Geistes drängten den unheilbaren Schwärmer in eine pessimistisch brütende Beschaulichkeit hinein, und wenn er in dieser Stimmung mit Begierde die sinnesverwandte Lehre Schopenhauer's ergriff, so durfte er sich nicht einmal sehr unmodern erscheinen; denn Schopenhauer redete bei Allem doch gar sehr die derbe, anschauliche Sprache der Zeit, war ein Empirist trotz Einem und hatte den Willen zum Prinzip, wenn er ihn auch dadurch, daß er sein Werk in die bloße „Vorstellung", also in eine nichtige Gedankenwelt einschloß, so¬ gleich wieder entmannte. Bekanntlich ist Ed. v. Hartmann, der zuerst im Jahre 1869 mit seiner „Philosophie des Unbewußten" vor die Öffentlichkeit trat, zum Erneuerer des Pessimismus für eine Zeitepoche geworden, in welcher die Ausbreitung und beifällige Aufnahme einer solchen Denkweise zunächst weniger verständlich ist. Umsomehr sind wir zum Nachdenken darüber aufgefordert und dürfen die Aufrichtigkeit einer Selbstprüfung nicht scheuen, bei der die Mängel und ge¬ heimen Krankheiten des Zeitalters an's Licht zu kommen drohen. Wir wissen es, jener Umwendung des deutschen Geistes zu einer verstan¬ desklaren und um so kraftvolleren Ergreifung realer Ziele, jener Wegwendung von einem träumerischen Versinken in das Innenleben und von schwärmerischem Hangen am Unerreichbarem, ihr verdanken wir die Erhebung zu einem reineren und energischeren sittlichen Idealismus, und durch diesen die machtvollen gegen¬ wärtigen Daseinsformen unseres nationalen Lebens. Zunächst wird das hiermit Errungene an sich selbst als ein Quell hoher Befriedigung, als unmittelbarer In¬ halt eines neuen nationalen Glückes empfunden. Das Hochgefühl bewährter Kraft und erworbener Größe kann auf eine Zeit lang selbst als Zieles genug erscheinen für jedes, auch das anspruchsvollste menschliche Wollen, erhebend über das Heer der nun einmal unvermeidlichen Uebel des menschlichen Lebens. Das Gefühl jener Genugthuung, meint man, habe sich nur eben von jetzt ab zu verbinden mit den kleineren Befriedigungen durch Arbeit und Genuß, wie sie in allen Zeiten dieselben bleiben, um in dieser Verschmelzung ein dauerndes Ueberwiegen wahren Wohles zu schaffen. Allein eine solche Anschauung und Empfindung kann nicht bestimmt sein, anzudauern. Das Leben pulsirt weiter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/98>, abgerufen am 28.09.2024.