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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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ein eitler, unklarer und nichts weniger als charakterfester Politiker war, und
daß dieser sein Schicksal durch ähnliche Eigenschaften reichlich verdiente.

Der Erzherzog Johann wurde 1848 von Vielen zum deutschen Reichs¬
verweser gewählt, auf Grund der Sage, daß er einige Jahre vorher bei fest¬
licher Gelegenheit den Toast ausgebracht habe: "Kein Oesterreich, kein Preußen
mehr, nur ein einiges Deutschland". Schon damals erhoben sich Zweifel an
dieser Aeußerung, und später wurde überzeugend nachgewiesen, daß der Habs¬
burgische Prinz nur ganz obenhin von der Nothwendigkeit eines Zusammen¬
gehens Oesterreich's mit Preußen im Interesse Deutschland's gesprochen hatte.

Geraume Zeit stand vielen guten Deutschen fest, daß England's Politik
eine ideale, auf Förderung der Freiheit des Menschengeschlechts und der ein¬
zelnen Volker abzielende und allerlei andere schöne Dinge bezweckende sei; hatte
es doch den Tyrannen Napoleon ausdauernd bekämpft, sich wiederholt, wenn
auch nur mit Worten, Polen's angenommen, seine Neger emanzipirt, seine
Städte zu Asylen für politische Flüchtlinge gemacht und das Freihandelsprinzip
in die Welt gehen lassen; war Palmerston doch der offene und geheime Gönner
aller liberalen Bestrebungen. Heute erkennt man in deutscheu Landen wohl
fast allgemein an, daß die englische Regierungskunst nach außen eine reine
Krämerpolitik und ohne irgend welche idealen Antriebe und Zwecke ist, freilich
aber solche zu heucheln versteht.

Besonders reich war die Geschichte bis auf die neueste Zeit an pikanten
Anekdoten von bedeutenden Männern und an witzigen oder prägnanten Aus¬
sprüchen von solchen, reich auch an Geschichten über kleine Dinge, die Großes
zur Folge gehabt haben sollten. Ein Glas Wasser, welches die Herzogin von
Marlborough boshafterweise der Königin Anna von England auf's Kleid ge¬
gossen, sollte -- so erzählt noch Voltaire, der auch über Karl den Zwölften von
Schweden mehr Pikantes als Wahres geschrieben hat -- über den Ausgang
des spanischen Erbfolgekrieges und somit über die Geschicke ganz West- und
Mitteleuropa's entschieden haben, während die Wendung, die damals die eng¬
lische Politik machte, in Wirklichkeit ihre Ursache im Ableben Kaiser Joseph's des
Ersten hatte. Unerwiesen ist, daß der Stallmeister Froben sich in der Schlacht
bei Fehrbellin durch Vertauschung seines dunklen Pferdes mit dem Schimmel des
Großen Kurfürsten für diesen seinen Herrn geopfert hat; die Schlachtberichte
wissen nur, daß er in der Nähe desselben gefallen ist. Unwahr ist ferner die
Angabe, Galilei habe, als ihn die römische Inquisition zu kniefülligem Wider¬
ruf seiner Lehre von der Umdrehung der Erde um sich selbst und die Sonne
gezwungen, den Ausruf gethan: "Und sie bewegt sich doch!" Nicht weniger
unwahr, daß Ludwig der Vierzehnte seinem Parlamente gegenüber das oft
zitirte Wort: "Il'sol o'sse moi" gesprochen; er hätte es sprechen können, da


ein eitler, unklarer und nichts weniger als charakterfester Politiker war, und
daß dieser sein Schicksal durch ähnliche Eigenschaften reichlich verdiente.

Der Erzherzog Johann wurde 1848 von Vielen zum deutschen Reichs¬
verweser gewählt, auf Grund der Sage, daß er einige Jahre vorher bei fest¬
licher Gelegenheit den Toast ausgebracht habe: „Kein Oesterreich, kein Preußen
mehr, nur ein einiges Deutschland". Schon damals erhoben sich Zweifel an
dieser Aeußerung, und später wurde überzeugend nachgewiesen, daß der Habs¬
burgische Prinz nur ganz obenhin von der Nothwendigkeit eines Zusammen¬
gehens Oesterreich's mit Preußen im Interesse Deutschland's gesprochen hatte.

Geraume Zeit stand vielen guten Deutschen fest, daß England's Politik
eine ideale, auf Förderung der Freiheit des Menschengeschlechts und der ein¬
zelnen Volker abzielende und allerlei andere schöne Dinge bezweckende sei; hatte
es doch den Tyrannen Napoleon ausdauernd bekämpft, sich wiederholt, wenn
auch nur mit Worten, Polen's angenommen, seine Neger emanzipirt, seine
Städte zu Asylen für politische Flüchtlinge gemacht und das Freihandelsprinzip
in die Welt gehen lassen; war Palmerston doch der offene und geheime Gönner
aller liberalen Bestrebungen. Heute erkennt man in deutscheu Landen wohl
fast allgemein an, daß die englische Regierungskunst nach außen eine reine
Krämerpolitik und ohne irgend welche idealen Antriebe und Zwecke ist, freilich
aber solche zu heucheln versteht.

Besonders reich war die Geschichte bis auf die neueste Zeit an pikanten
Anekdoten von bedeutenden Männern und an witzigen oder prägnanten Aus¬
sprüchen von solchen, reich auch an Geschichten über kleine Dinge, die Großes
zur Folge gehabt haben sollten. Ein Glas Wasser, welches die Herzogin von
Marlborough boshafterweise der Königin Anna von England auf's Kleid ge¬
gossen, sollte — so erzählt noch Voltaire, der auch über Karl den Zwölften von
Schweden mehr Pikantes als Wahres geschrieben hat — über den Ausgang
des spanischen Erbfolgekrieges und somit über die Geschicke ganz West- und
Mitteleuropa's entschieden haben, während die Wendung, die damals die eng¬
lische Politik machte, in Wirklichkeit ihre Ursache im Ableben Kaiser Joseph's des
Ersten hatte. Unerwiesen ist, daß der Stallmeister Froben sich in der Schlacht
bei Fehrbellin durch Vertauschung seines dunklen Pferdes mit dem Schimmel des
Großen Kurfürsten für diesen seinen Herrn geopfert hat; die Schlachtberichte
wissen nur, daß er in der Nähe desselben gefallen ist. Unwahr ist ferner die
Angabe, Galilei habe, als ihn die römische Inquisition zu kniefülligem Wider¬
ruf seiner Lehre von der Umdrehung der Erde um sich selbst und die Sonne
gezwungen, den Ausruf gethan: „Und sie bewegt sich doch!" Nicht weniger
unwahr, daß Ludwig der Vierzehnte seinem Parlamente gegenüber das oft
zitirte Wort: „Il'sol o'sse moi" gesprochen; er hätte es sprechen können, da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/83>, abgerufen am 27.09.2024.