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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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derungen, welche der Bundesrath vorgenommen, sind ebenfalls bekannt. Es
hat auch schon Urtheile die Hülle und Fülle gegeben. Zuerst werden, wie
natürlich, die Äußerlichkeiten bemerkt, die etwa zu bemerken sind. Man wun¬
dert sich, daß kein neues System der Tarifklassen aufgestellt worden, nachdem
der Reichskanzler die bisherige Klassifikation wiederholt für mangelhaft erklärt.
Man wundert sich, daß das System der Werthzölle nicht eingeführt worden,
nachdem der Kanzler in seinem Schreiben vom 15. Dezember sich für Werth¬
zölle, die nach Gewichtseinheiten zu erheben, erklärt. Diese Bemerkungen sind
unbestreitbar, was die Thatsache anlangt, aber ungerechtfertigt, soweit sie Tadel
erregen wollen, und unmotivirt, soweit sie Befremden ausdrücken wollen. Die
Tarifkommission hat das Mögliche geleistet, indem sie vom 3. Januar bis zum
31. März die sämmtlichen Positionen des bisherigen Zolltarifs berathen und
größtenteils umgearbeitet hat; die schwierige Aufgabe einer Tarifirung nach
dem Werthe und der Auffindung eines Systems, um ein durchgehendes Ver¬
hältniß zwischen dem Werth jedes Artikels und dem Eingangszoll herzustellen,
war eine in dieser Arbeitszeit nicht zu lösende Aufgabe, wenn sie überhaupt
lösbar ist neben den übrigen an den Tarif zu stellenden Anforderungen. Ganz
ähnlich verhält es sich mit der Anforderung einer besseren Gruppirung des
Tarifes. Auch diese Anforderung hört nicht ans, wohlbegründet zu sein, weil
ihr in der gegebenen Arbeitszeit nicht entsprochen werden konnte. Nun sagen
die bekannten klugen Leute: warum mußte die Arbeitszeit so kurz sein? Es
sind das diejenigen Leute, deren Klugheit viel zu groß ist, um jemals zu
lernen, daß der Mensch noch nicht über das Elend der Thierheit hinaus wäre,
wenn er bei jedem Schritt hätte warten sollen, bis er den gegebenen Zustand
nicht mit einem besseren, sondern mit dem vollkommnen hätte vertauschen können.
Wir würden auch den jetzigen Zolltarif mit allen seinen Gefahren und Schäden
in alle Ewigkeit behalten müssen, wenn wir ihn nur mit dem vollkommensten
aller Tarife vertauschen wollten. Aber darum handelt es sich nicht, wenigstens
nicht für diejenigen, die klug genug sind, nicht auf die höchste Klugheit zu
warten. Es handelt sich um die Steigerung der Reichseinnahmen durch einige
Finanzzölle, um den Schutz einiger Gewerbe, deren Nothstand als Folge der
bisherigen Zollpolitik mit Händen zu greifen ist, um einige Kampfzölle auf
Einfuhrartikel, für deren etwaiges Ausbleiben nöthigenfalls ein Ersatz zu finden
ist, deren Produzenten aber durch den Kampfzoll vermuthlich zu der Einsicht
kommen werden, daß sie, anstatt die Einfuhr nach Deutschland zu verlieren, besser
thun, die Zahlung künftig in deutscher Waare anzunehmen. Wenn der Tarif¬
vorschlag diese drei Arten von Zöllen im Allgemeinen richtig aufgefunden hat,
so ist er ein verdienstvolles und wohlthätiges Werk. Daß er in den Einzel¬
heiten mit den Jahren vervollkommnet, in der Methode abgerundet und ver-


Grenzboten II. 1879. 9

derungen, welche der Bundesrath vorgenommen, sind ebenfalls bekannt. Es
hat auch schon Urtheile die Hülle und Fülle gegeben. Zuerst werden, wie
natürlich, die Äußerlichkeiten bemerkt, die etwa zu bemerken sind. Man wun¬
dert sich, daß kein neues System der Tarifklassen aufgestellt worden, nachdem
der Reichskanzler die bisherige Klassifikation wiederholt für mangelhaft erklärt.
Man wundert sich, daß das System der Werthzölle nicht eingeführt worden,
nachdem der Kanzler in seinem Schreiben vom 15. Dezember sich für Werth¬
zölle, die nach Gewichtseinheiten zu erheben, erklärt. Diese Bemerkungen sind
unbestreitbar, was die Thatsache anlangt, aber ungerechtfertigt, soweit sie Tadel
erregen wollen, und unmotivirt, soweit sie Befremden ausdrücken wollen. Die
Tarifkommission hat das Mögliche geleistet, indem sie vom 3. Januar bis zum
31. März die sämmtlichen Positionen des bisherigen Zolltarifs berathen und
größtenteils umgearbeitet hat; die schwierige Aufgabe einer Tarifirung nach
dem Werthe und der Auffindung eines Systems, um ein durchgehendes Ver¬
hältniß zwischen dem Werth jedes Artikels und dem Eingangszoll herzustellen,
war eine in dieser Arbeitszeit nicht zu lösende Aufgabe, wenn sie überhaupt
lösbar ist neben den übrigen an den Tarif zu stellenden Anforderungen. Ganz
ähnlich verhält es sich mit der Anforderung einer besseren Gruppirung des
Tarifes. Auch diese Anforderung hört nicht ans, wohlbegründet zu sein, weil
ihr in der gegebenen Arbeitszeit nicht entsprochen werden konnte. Nun sagen
die bekannten klugen Leute: warum mußte die Arbeitszeit so kurz sein? Es
sind das diejenigen Leute, deren Klugheit viel zu groß ist, um jemals zu
lernen, daß der Mensch noch nicht über das Elend der Thierheit hinaus wäre,
wenn er bei jedem Schritt hätte warten sollen, bis er den gegebenen Zustand
nicht mit einem besseren, sondern mit dem vollkommnen hätte vertauschen können.
Wir würden auch den jetzigen Zolltarif mit allen seinen Gefahren und Schäden
in alle Ewigkeit behalten müssen, wenn wir ihn nur mit dem vollkommensten
aller Tarife vertauschen wollten. Aber darum handelt es sich nicht, wenigstens
nicht für diejenigen, die klug genug sind, nicht auf die höchste Klugheit zu
warten. Es handelt sich um die Steigerung der Reichseinnahmen durch einige
Finanzzölle, um den Schutz einiger Gewerbe, deren Nothstand als Folge der
bisherigen Zollpolitik mit Händen zu greifen ist, um einige Kampfzölle auf
Einfuhrartikel, für deren etwaiges Ausbleiben nöthigenfalls ein Ersatz zu finden
ist, deren Produzenten aber durch den Kampfzoll vermuthlich zu der Einsicht
kommen werden, daß sie, anstatt die Einfuhr nach Deutschland zu verlieren, besser
thun, die Zahlung künftig in deutscher Waare anzunehmen. Wenn der Tarif¬
vorschlag diese drei Arten von Zöllen im Allgemeinen richtig aufgefunden hat,
so ist er ein verdienstvolles und wohlthätiges Werk. Daß er in den Einzel¬
heiten mit den Jahren vervollkommnet, in der Methode abgerundet und ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/69>, abgerufen am 27.09.2024.