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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Dir nicht sagen," schrieb Klinger an Schleiermacher, "wie viel mir daran liegt,
daß Kayser zur Ruhe kommt."

Aber die Wünsche Klinger's verwirklichten sich nach keiner Seite hin, er
blieb zwar direkt und indirekt mit Kayser in brieflicher Verbindung, die sich
aber, wie David Heß versichert, in Folge der gewonnenen politischen Anschau¬
ungen Kupfer's lockerte. Kayser übte nach außen hin eine beinahe an Aengst-
lichkeit grenzende Vorsicht, und in den letzten zehn Jahren getraute er sich
überhaupt uicht mehr den Briefwechsel mit seinem Freunde Klinger in Peters¬
burg fortzusetzen. So blieb das Verhältniß beider bis zu Kayser's letztem
Lebensjahre, obgleich beide Freunde mit unveränderlicher Liebe fest einander zuge¬
than blieben. Einen unerwarteten Beweis davon, so erzählt uns David Heß, gab
Klinger seinem Freunde anonym auf eine Weise, daß man an der alten Ergeben¬
heit nicht zweifeln darf. Aber auch jetzt noch blieb Kayser in seiner reservirten
Stellung und konnte sich nicht entschließen, den Faden des Briefwechsels wieder
aufzunehmen. Da Heß mit Klinger zufällig in Verbindung getreten war, betraute
Kayser ihn damit, dem Freunde des Nordens die alten freundlichen Gesinnungen
Zu übermitteln. Sofort antwortete Klinger und schrieb an Heß: "Ich danke
Ihnen für die freundschaftlichen Zeilen, die Sie mir im Auftrag meines treuen
trefflichen edelen Jugendfreundes und geliebten Bruders geschrieben haben.
Sagen Sie ihm von mir, wir seyen nie getrennt gewesen und könnten es auch
uicht sein. Was er mir im siebzehnten Jahre war, ist er mir im siebzigsten."

Bald darauf fchrieb Klinger an Kayser selbst. Der Brief ging leider durch
Unachtsamkeit verloren, nachdem er bereits über die Schwelle der Kayser'schen
Wohnung geleitet war. Kayser verschloß den Unmuth darüber in seiner Seele.
Nur einmal äußerte er sich in wenigen Worten darüber: "Die langersehnten
Zeilen von meinem einzigen Freunde find verunglückt, mir zwar bis in
weine Wohnung zugekommen, aber ihr Anblick ist mir nicht geworden. Wen
der Herr lieb hat, den züchtigt er."

Sicherlich geht aus den Verhältnissen Kayser's zu Goethe, Klinger und
Schleiermacher hinlänglich das Streben hervor, dem Komponisten und Jugend-
freunde eine seinen Talenten entsprechende Lebensstellung zu schaffen. Daß
dies trotz aller Bemühungen nicht gelang, lag zum Theil in Kayser's eigen¬
thümlich angelegtem Wesen und in Lebensverhältnissen, die ausschließlich aus
seinem Berufe und seinem dauernden Aufenthalte in Zürich sich ergaben. Wir
gehen diesem Leben noch im Einzelnen etwas nach; es erklärt vieles.

Während Kayser's musikalisches Talent früh entwickelt und anerkannt war,
stand er zu dem elterlichen Hause, besonders zu dem Vater, der die äußerste
Strenge übte, in einem Verhältniß, welches wenig zu der Bewunderung des
musikalischen Talentes und zu den Ovationen Passen wollte, die ihm allseitig


Dir nicht sagen," schrieb Klinger an Schleiermacher, „wie viel mir daran liegt,
daß Kayser zur Ruhe kommt."

Aber die Wünsche Klinger's verwirklichten sich nach keiner Seite hin, er
blieb zwar direkt und indirekt mit Kayser in brieflicher Verbindung, die sich
aber, wie David Heß versichert, in Folge der gewonnenen politischen Anschau¬
ungen Kupfer's lockerte. Kayser übte nach außen hin eine beinahe an Aengst-
lichkeit grenzende Vorsicht, und in den letzten zehn Jahren getraute er sich
überhaupt uicht mehr den Briefwechsel mit seinem Freunde Klinger in Peters¬
burg fortzusetzen. So blieb das Verhältniß beider bis zu Kayser's letztem
Lebensjahre, obgleich beide Freunde mit unveränderlicher Liebe fest einander zuge¬
than blieben. Einen unerwarteten Beweis davon, so erzählt uns David Heß, gab
Klinger seinem Freunde anonym auf eine Weise, daß man an der alten Ergeben¬
heit nicht zweifeln darf. Aber auch jetzt noch blieb Kayser in seiner reservirten
Stellung und konnte sich nicht entschließen, den Faden des Briefwechsels wieder
aufzunehmen. Da Heß mit Klinger zufällig in Verbindung getreten war, betraute
Kayser ihn damit, dem Freunde des Nordens die alten freundlichen Gesinnungen
Zu übermitteln. Sofort antwortete Klinger und schrieb an Heß: „Ich danke
Ihnen für die freundschaftlichen Zeilen, die Sie mir im Auftrag meines treuen
trefflichen edelen Jugendfreundes und geliebten Bruders geschrieben haben.
Sagen Sie ihm von mir, wir seyen nie getrennt gewesen und könnten es auch
uicht sein. Was er mir im siebzehnten Jahre war, ist er mir im siebzigsten."

Bald darauf fchrieb Klinger an Kayser selbst. Der Brief ging leider durch
Unachtsamkeit verloren, nachdem er bereits über die Schwelle der Kayser'schen
Wohnung geleitet war. Kayser verschloß den Unmuth darüber in seiner Seele.
Nur einmal äußerte er sich in wenigen Worten darüber: „Die langersehnten
Zeilen von meinem einzigen Freunde find verunglückt, mir zwar bis in
weine Wohnung zugekommen, aber ihr Anblick ist mir nicht geworden. Wen
der Herr lieb hat, den züchtigt er."

Sicherlich geht aus den Verhältnissen Kayser's zu Goethe, Klinger und
Schleiermacher hinlänglich das Streben hervor, dem Komponisten und Jugend-
freunde eine seinen Talenten entsprechende Lebensstellung zu schaffen. Daß
dies trotz aller Bemühungen nicht gelang, lag zum Theil in Kayser's eigen¬
thümlich angelegtem Wesen und in Lebensverhältnissen, die ausschließlich aus
seinem Berufe und seinem dauernden Aufenthalte in Zürich sich ergaben. Wir
gehen diesem Leben noch im Einzelnen etwas nach; es erklärt vieles.

Während Kayser's musikalisches Talent früh entwickelt und anerkannt war,
stand er zu dem elterlichen Hause, besonders zu dem Vater, der die äußerste
Strenge übte, in einem Verhältniß, welches wenig zu der Bewunderung des
musikalischen Talentes und zu den Ovationen Passen wollte, die ihm allseitig


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[0063] Dir nicht sagen," schrieb Klinger an Schleiermacher, „wie viel mir daran liegt, daß Kayser zur Ruhe kommt." Aber die Wünsche Klinger's verwirklichten sich nach keiner Seite hin, er blieb zwar direkt und indirekt mit Kayser in brieflicher Verbindung, die sich aber, wie David Heß versichert, in Folge der gewonnenen politischen Anschau¬ ungen Kupfer's lockerte. Kayser übte nach außen hin eine beinahe an Aengst- lichkeit grenzende Vorsicht, und in den letzten zehn Jahren getraute er sich überhaupt uicht mehr den Briefwechsel mit seinem Freunde Klinger in Peters¬ burg fortzusetzen. So blieb das Verhältniß beider bis zu Kayser's letztem Lebensjahre, obgleich beide Freunde mit unveränderlicher Liebe fest einander zuge¬ than blieben. Einen unerwarteten Beweis davon, so erzählt uns David Heß, gab Klinger seinem Freunde anonym auf eine Weise, daß man an der alten Ergeben¬ heit nicht zweifeln darf. Aber auch jetzt noch blieb Kayser in seiner reservirten Stellung und konnte sich nicht entschließen, den Faden des Briefwechsels wieder aufzunehmen. Da Heß mit Klinger zufällig in Verbindung getreten war, betraute Kayser ihn damit, dem Freunde des Nordens die alten freundlichen Gesinnungen Zu übermitteln. Sofort antwortete Klinger und schrieb an Heß: „Ich danke Ihnen für die freundschaftlichen Zeilen, die Sie mir im Auftrag meines treuen trefflichen edelen Jugendfreundes und geliebten Bruders geschrieben haben. Sagen Sie ihm von mir, wir seyen nie getrennt gewesen und könnten es auch uicht sein. Was er mir im siebzehnten Jahre war, ist er mir im siebzigsten." Bald darauf fchrieb Klinger an Kayser selbst. Der Brief ging leider durch Unachtsamkeit verloren, nachdem er bereits über die Schwelle der Kayser'schen Wohnung geleitet war. Kayser verschloß den Unmuth darüber in seiner Seele. Nur einmal äußerte er sich in wenigen Worten darüber: „Die langersehnten Zeilen von meinem einzigen Freunde find verunglückt, mir zwar bis in weine Wohnung zugekommen, aber ihr Anblick ist mir nicht geworden. Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er." Sicherlich geht aus den Verhältnissen Kayser's zu Goethe, Klinger und Schleiermacher hinlänglich das Streben hervor, dem Komponisten und Jugend- freunde eine seinen Talenten entsprechende Lebensstellung zu schaffen. Daß dies trotz aller Bemühungen nicht gelang, lag zum Theil in Kayser's eigen¬ thümlich angelegtem Wesen und in Lebensverhältnissen, die ausschließlich aus seinem Berufe und seinem dauernden Aufenthalte in Zürich sich ergaben. Wir gehen diesem Leben noch im Einzelnen etwas nach; es erklärt vieles. Während Kayser's musikalisches Talent früh entwickelt und anerkannt war, stand er zu dem elterlichen Hause, besonders zu dem Vater, der die äußerste Strenge übte, in einem Verhältniß, welches wenig zu der Bewunderung des musikalischen Talentes und zu den Ovationen Passen wollte, die ihm allseitig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/63>, abgerufen am 27.09.2024.