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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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wohin man blickte, Kaulbach und immer wieder Kaulbach. Und es blieb nicht
bei den Photographieen. Auf Albums und Notizbüchern, Rückenkissen und
Briefbeschwerern, Tassen und Zigarrenspitzen spukte aller Orten "Lili im Park"
das Geflügel fütternd und "Hermann und Dorothea" auf ihrem Gange durch'S
Aehrenfeld, genau so wie heute -- Siegfried und die Walküren.

Es hat etwas ungemein tröstliches, mit Welt und Menschheit versöhnendes,
wenn man sieht, binnen wie kurzer Zeit künstlerische Modethorheiten abWirth¬
schaften. Ich habe früher immer, wo mir Geschmacksverirrungen begegneten,
mit allen Waffen der Grobheit und der Satire sie bekämpfen zu müssen geglaubt.
Heute denke ich: Wozu mich ereifern? und bin um so milder und friedfertiger
gestimmt worden, je öfter mich die Erfahrung gelehrt hat, daß alle Modekrank¬
heiten des Kunstgeschmackes in kurzer Zeit von selber ausheilen, die gesunde
Natur sich immer wieder Bahn bricht, und also auch in solchem Sinne das
Horazische Wort gilt: NÄturÄin 6xzzs11g.s kurog,, tainEn us^is rsourret. Daß
einzelne gute, ehrliche Leute sich z. B. allen Ernstes gegen den Nibelungen-
Humbug ereifert haben, ist es nicht eine Thorheit? Was haben sie damit
erreicht? Ein paar musikalischen Zeitschriften, die blos von der Reklame für
Lißt und Wagner leben und vor lauter Wiederkäuen permanent dem geistigen
Verhungern nahe sind, neue Nahrung zugeführt. Das ist alles. Mau muß
dergleichen Hohlheiten sich ruhig blähen und breitmachen lassen. Ist ihre Zeit
um, so klappen sie genau so lächerlich zusammen, wie Siegfried's Blasebalg.
Was eine ernsthafte Kritik nur aufgehalten hat, beschleunigt jetzt der Zirkus
Nerz mit seinen "Nibelungen" in der ergötzlichsten Weise.

Aber ich wollte ja von neuen Lichtdruckwerken berichten und gerathe statt
dessen auf die virtuoseuhaften Ausschreitungen des heutigen Holzschnittes, auf
die verflossene Kaulbach- und die verfließende Wagnerschwürmerei.

Die Herrschaft der Photographie im Buchgewerbe behauptete sich bis in
die Mitte der siebziger Jahre. 1871 erschien bei Grote in Berlin die Pracht¬
ausgabe von "Hermann und Dorothea" mit Photographieen nach den Ram-
berg'schen Oelgemälden, in demselben Jahre bei Bruckmann die bekannte Porträt¬
sammlung "Galerie deutscher Tondichter", der 1872 und 1873 die beiden
ähnlichen Sammlungen "Galerie deutscher Dichter" und "Galerie französischer
und italienischer Tondichter" folgten -- meist nach Oelbildern von C. Jäger.
1872 gab der Bruckmann'sche Verlag das Prachtwerk "Rhododendron" mit
Photographieen nach Oelgemälden von H. Cloß und O. Frölicher heraus, das
neben Stieler's "Aus deutscheu Bergen" die lange Reihe geographischer, ethno¬
graphischer und kulturgeschichtlicher Prachtwerke eröffnete, die seitdem gefolgt
sind. Gleichzeitig wurden auch Skizzen und Handzeichnungen mehrfach durch
Photographie vervielfältigt. Allen ist noch der durchschlagende Erfolg in der


wohin man blickte, Kaulbach und immer wieder Kaulbach. Und es blieb nicht
bei den Photographieen. Auf Albums und Notizbüchern, Rückenkissen und
Briefbeschwerern, Tassen und Zigarrenspitzen spukte aller Orten „Lili im Park"
das Geflügel fütternd und „Hermann und Dorothea" auf ihrem Gange durch'S
Aehrenfeld, genau so wie heute — Siegfried und die Walküren.

Es hat etwas ungemein tröstliches, mit Welt und Menschheit versöhnendes,
wenn man sieht, binnen wie kurzer Zeit künstlerische Modethorheiten abWirth¬
schaften. Ich habe früher immer, wo mir Geschmacksverirrungen begegneten,
mit allen Waffen der Grobheit und der Satire sie bekämpfen zu müssen geglaubt.
Heute denke ich: Wozu mich ereifern? und bin um so milder und friedfertiger
gestimmt worden, je öfter mich die Erfahrung gelehrt hat, daß alle Modekrank¬
heiten des Kunstgeschmackes in kurzer Zeit von selber ausheilen, die gesunde
Natur sich immer wieder Bahn bricht, und also auch in solchem Sinne das
Horazische Wort gilt: NÄturÄin 6xzzs11g.s kurog,, tainEn us^is rsourret. Daß
einzelne gute, ehrliche Leute sich z. B. allen Ernstes gegen den Nibelungen-
Humbug ereifert haben, ist es nicht eine Thorheit? Was haben sie damit
erreicht? Ein paar musikalischen Zeitschriften, die blos von der Reklame für
Lißt und Wagner leben und vor lauter Wiederkäuen permanent dem geistigen
Verhungern nahe sind, neue Nahrung zugeführt. Das ist alles. Mau muß
dergleichen Hohlheiten sich ruhig blähen und breitmachen lassen. Ist ihre Zeit
um, so klappen sie genau so lächerlich zusammen, wie Siegfried's Blasebalg.
Was eine ernsthafte Kritik nur aufgehalten hat, beschleunigt jetzt der Zirkus
Nerz mit seinen „Nibelungen" in der ergötzlichsten Weise.

Aber ich wollte ja von neuen Lichtdruckwerken berichten und gerathe statt
dessen auf die virtuoseuhaften Ausschreitungen des heutigen Holzschnittes, auf
die verflossene Kaulbach- und die verfließende Wagnerschwürmerei.

Die Herrschaft der Photographie im Buchgewerbe behauptete sich bis in
die Mitte der siebziger Jahre. 1871 erschien bei Grote in Berlin die Pracht¬
ausgabe von „Hermann und Dorothea" mit Photographieen nach den Ram-
berg'schen Oelgemälden, in demselben Jahre bei Bruckmann die bekannte Porträt¬
sammlung „Galerie deutscher Tondichter", der 1872 und 1873 die beiden
ähnlichen Sammlungen „Galerie deutscher Dichter" und „Galerie französischer
und italienischer Tondichter" folgten — meist nach Oelbildern von C. Jäger.
1872 gab der Bruckmann'sche Verlag das Prachtwerk „Rhododendron" mit
Photographieen nach Oelgemälden von H. Cloß und O. Frölicher heraus, das
neben Stieler's „Aus deutscheu Bergen" die lange Reihe geographischer, ethno¬
graphischer und kulturgeschichtlicher Prachtwerke eröffnete, die seitdem gefolgt
sind. Gleichzeitig wurden auch Skizzen und Handzeichnungen mehrfach durch
Photographie vervielfältigt. Allen ist noch der durchschlagende Erfolg in der


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[0524] wohin man blickte, Kaulbach und immer wieder Kaulbach. Und es blieb nicht bei den Photographieen. Auf Albums und Notizbüchern, Rückenkissen und Briefbeschwerern, Tassen und Zigarrenspitzen spukte aller Orten „Lili im Park" das Geflügel fütternd und „Hermann und Dorothea" auf ihrem Gange durch'S Aehrenfeld, genau so wie heute — Siegfried und die Walküren. Es hat etwas ungemein tröstliches, mit Welt und Menschheit versöhnendes, wenn man sieht, binnen wie kurzer Zeit künstlerische Modethorheiten abWirth¬ schaften. Ich habe früher immer, wo mir Geschmacksverirrungen begegneten, mit allen Waffen der Grobheit und der Satire sie bekämpfen zu müssen geglaubt. Heute denke ich: Wozu mich ereifern? und bin um so milder und friedfertiger gestimmt worden, je öfter mich die Erfahrung gelehrt hat, daß alle Modekrank¬ heiten des Kunstgeschmackes in kurzer Zeit von selber ausheilen, die gesunde Natur sich immer wieder Bahn bricht, und also auch in solchem Sinne das Horazische Wort gilt: NÄturÄin 6xzzs11g.s kurog,, tainEn us^is rsourret. Daß einzelne gute, ehrliche Leute sich z. B. allen Ernstes gegen den Nibelungen- Humbug ereifert haben, ist es nicht eine Thorheit? Was haben sie damit erreicht? Ein paar musikalischen Zeitschriften, die blos von der Reklame für Lißt und Wagner leben und vor lauter Wiederkäuen permanent dem geistigen Verhungern nahe sind, neue Nahrung zugeführt. Das ist alles. Mau muß dergleichen Hohlheiten sich ruhig blähen und breitmachen lassen. Ist ihre Zeit um, so klappen sie genau so lächerlich zusammen, wie Siegfried's Blasebalg. Was eine ernsthafte Kritik nur aufgehalten hat, beschleunigt jetzt der Zirkus Nerz mit seinen „Nibelungen" in der ergötzlichsten Weise. Aber ich wollte ja von neuen Lichtdruckwerken berichten und gerathe statt dessen auf die virtuoseuhaften Ausschreitungen des heutigen Holzschnittes, auf die verflossene Kaulbach- und die verfließende Wagnerschwürmerei. Die Herrschaft der Photographie im Buchgewerbe behauptete sich bis in die Mitte der siebziger Jahre. 1871 erschien bei Grote in Berlin die Pracht¬ ausgabe von „Hermann und Dorothea" mit Photographieen nach den Ram- berg'schen Oelgemälden, in demselben Jahre bei Bruckmann die bekannte Porträt¬ sammlung „Galerie deutscher Tondichter", der 1872 und 1873 die beiden ähnlichen Sammlungen „Galerie deutscher Dichter" und „Galerie französischer und italienischer Tondichter" folgten — meist nach Oelbildern von C. Jäger. 1872 gab der Bruckmann'sche Verlag das Prachtwerk „Rhododendron" mit Photographieen nach Oelgemälden von H. Cloß und O. Frölicher heraus, das neben Stieler's „Aus deutscheu Bergen" die lange Reihe geographischer, ethno¬ graphischer und kulturgeschichtlicher Prachtwerke eröffnete, die seitdem gefolgt sind. Gleichzeitig wurden auch Skizzen und Handzeichnungen mehrfach durch Photographie vervielfältigt. Allen ist noch der durchschlagende Erfolg in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/524>, abgerufen am 27.09.2024.