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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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sondern immer von der Verrichtung, die sie auszuführen haben. Eine Scheere,
eine Säge, eine Hacke sind Dinge, die scheeren, sägen und hacken. Dieses
Sprachgesetz muß um so auffallender erscheinen, als die Geräthe, die nicht
Werkzeuge sind, genetisch, passivisch nach ihrem Stoffe oder der Arbeit benannt
zu werden Pflegen, aus der sie hervorgehen. Der Schlauch z. B. ist überall
als eine abgezogene Thierhaut aufgefaßt. Als ferneres Beispiel führt Geiger
auch die Scheere an. Scheere bedeutet ein Doppelmesser, ein zweiarmiges
schneidendes Werkzeug. Ehe Scheere und Scheermesser bei den indogermanischen
Nomaden der Urzeit zur Schafschur dienten, wurde die Wolle der Schafe ge¬
rupft. Die Verwandtschaft von scheeren mit scharren, mit dem althochdeutscher
Namen des Maulwurfs hoorn", das scharrende Thier, macht es wahrscheinlich,
daß nach der Grundbedeutung der Worte schaben, kratzen, scharren die Scheere
als ein Werkzeug zum Schaben und Kratzen der Haut zum Zwecke des Rupfens
aufgefaßt sei. Auf solche Weise, sagt Geiger, können wir die Benennungen der
Werkzeuge und auch die Werkzeugthätigkeit selbst in einem langsamen Prozesse
ans einer ganz allmählichen Fortentwicklung der menschlichen Bewegungen,
wie sie anfangs schon dem sich allein überlassenen Leibe des Menschen mög¬
lich waren, entsprungen denken.

Dem Verständnisse dessen, was Geiger die Entwickelung des Werkzeuges
genannt hat, dürfte, wie Kapp hinzufügt, die Berücksichtigung der gleichzeitig
vor sich gehenden Entwickelung des Organes zu statten kommen. Die Hand
des Urmenschen war ohne Zweifel von der Hand des Kulturmenschen sehr
verschieden, insofern ihr erst nach und nach unter dem Einflüsse der ihr durch
den Gebrauch des Werkzeuges möglichen Schonung und Uebung eine größere
Weichheit und Beweglichkeit zu Theil wurde. Sie wurde von der ununter¬
brochenen unmittelbaren Berührung mit der rohen und harten Materie erlöst
und steigerte mittels des Werkzeuges die zur Anfertigung der vollkommneren
Geräthe erforderliche Geschmeidigkeit. So unterstützte in Wechselwirkung das
Werkzeug die Entwickelung des natürlichen Organes, dieses wiederum auf
jeder höheren Stufe entsprechender Geschicklichkeit die Vervollkommnung und
Entwickelung des Werkzeuges. Der erste beste Stein oder Ast, unverändert
wie er sich vorfand, von der Fußhaut des Affen aufgerafft, bleibt Stein und
Ast wie alle anderen Steine und Aeste. In der Hand des Urmenschen aber
ist Stein und Ast die Verheißung des Werkzeuges, die Urzelle eines ganzen
Kulturapparates der fernsten Zukunft.

Weiterhin untersucht nun Kapp die Bewegung des Werkzeuges. Hat die
Hand, sagt er, behufs Ausführung einer hebenden, schneidenden, klopfenden,
drohenden Bewegung "sich befaßt" mit einem Gegenstande, so wird dieser,
je nach Gestalt und Widerstandsfähigkeit und je nach der Beschaffenheit der


sondern immer von der Verrichtung, die sie auszuführen haben. Eine Scheere,
eine Säge, eine Hacke sind Dinge, die scheeren, sägen und hacken. Dieses
Sprachgesetz muß um so auffallender erscheinen, als die Geräthe, die nicht
Werkzeuge sind, genetisch, passivisch nach ihrem Stoffe oder der Arbeit benannt
zu werden Pflegen, aus der sie hervorgehen. Der Schlauch z. B. ist überall
als eine abgezogene Thierhaut aufgefaßt. Als ferneres Beispiel führt Geiger
auch die Scheere an. Scheere bedeutet ein Doppelmesser, ein zweiarmiges
schneidendes Werkzeug. Ehe Scheere und Scheermesser bei den indogermanischen
Nomaden der Urzeit zur Schafschur dienten, wurde die Wolle der Schafe ge¬
rupft. Die Verwandtschaft von scheeren mit scharren, mit dem althochdeutscher
Namen des Maulwurfs hoorn», das scharrende Thier, macht es wahrscheinlich,
daß nach der Grundbedeutung der Worte schaben, kratzen, scharren die Scheere
als ein Werkzeug zum Schaben und Kratzen der Haut zum Zwecke des Rupfens
aufgefaßt sei. Auf solche Weise, sagt Geiger, können wir die Benennungen der
Werkzeuge und auch die Werkzeugthätigkeit selbst in einem langsamen Prozesse
ans einer ganz allmählichen Fortentwicklung der menschlichen Bewegungen,
wie sie anfangs schon dem sich allein überlassenen Leibe des Menschen mög¬
lich waren, entsprungen denken.

Dem Verständnisse dessen, was Geiger die Entwickelung des Werkzeuges
genannt hat, dürfte, wie Kapp hinzufügt, die Berücksichtigung der gleichzeitig
vor sich gehenden Entwickelung des Organes zu statten kommen. Die Hand
des Urmenschen war ohne Zweifel von der Hand des Kulturmenschen sehr
verschieden, insofern ihr erst nach und nach unter dem Einflüsse der ihr durch
den Gebrauch des Werkzeuges möglichen Schonung und Uebung eine größere
Weichheit und Beweglichkeit zu Theil wurde. Sie wurde von der ununter¬
brochenen unmittelbaren Berührung mit der rohen und harten Materie erlöst
und steigerte mittels des Werkzeuges die zur Anfertigung der vollkommneren
Geräthe erforderliche Geschmeidigkeit. So unterstützte in Wechselwirkung das
Werkzeug die Entwickelung des natürlichen Organes, dieses wiederum auf
jeder höheren Stufe entsprechender Geschicklichkeit die Vervollkommnung und
Entwickelung des Werkzeuges. Der erste beste Stein oder Ast, unverändert
wie er sich vorfand, von der Fußhaut des Affen aufgerafft, bleibt Stein und
Ast wie alle anderen Steine und Aeste. In der Hand des Urmenschen aber
ist Stein und Ast die Verheißung des Werkzeuges, die Urzelle eines ganzen
Kulturapparates der fernsten Zukunft.

Weiterhin untersucht nun Kapp die Bewegung des Werkzeuges. Hat die
Hand, sagt er, behufs Ausführung einer hebenden, schneidenden, klopfenden,
drohenden Bewegung „sich befaßt" mit einem Gegenstande, so wird dieser,
je nach Gestalt und Widerstandsfähigkeit und je nach der Beschaffenheit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/52>, abgerufen am 27.09.2024.