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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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war auch wieder keiner, der nicht auf dem Grunde der Seele das unbehagliche
Gefühl gehabt hätte, daß der böse Mensch am Ende wirklich ein Kommissär
des Königs von Preußen sei, als welchen ihn der Leutnant bezeichnet hatte.
Und wenn er das war, welche Widerwärtigkeiten konnten dann dem Gemein¬
wesen aus dem Vorfalle erwachsen! Wußte doch jeder, wie die großen Herren
sich zwar wenig drum kümmerten, ob sie einem Kleineren auf den Fuß traten
oder nicht, dagegen um so entschiedener alle nur mögliche Rücksicht von den
Andern verlangten. Und war es doch leider nur zu gut bekannt, wie in Kolli¬
sionsfällen die armen Städte immer den Kürzern zogen.

Dieses Unbehagen kam denn auch sofort in dem Protokoll, welches in dem
alsbald abgehaltenen geheimen Rathe über den Vorfall aufgenommen wurde,
deutlich zum Ausdruck. Die Stadtpfleger und Geheimeräthe versammelten sich,
soweit sie noch auf dem Rathhause gegenwärtig waren*), auf der Stelle zu einer
Sitzung, um sich von dem Bürgermeister über den Hergang berichten zu lassen.
Man sollte meinen, in diesem Berichte hätte sich die gerechte Entrüstung, die
Langenmantel selbst ebenso wie jeder andere fühlte, auf's lebhafteste wieder¬
spiegeln müssen. Doch keine Spur davon. Derselbe ist im Gegentheil, wenig¬
stens das, was davon niedergeschrieben wurde, durchaus in entschuldigenden
Tone gehalten. Die Tendenz des Schriftstückes ist viel weniger, die Schuld
des Uebelthäters in's Licht zu stellen, als die Langmuth der Behörde hervor¬
zuheben, und insbesondere klar darzulegen, wie der Bürgermeister über alle
Maßen geduldig und sanftmüthig verfahren sei. Offenbar faßte man von vorn¬
herein die Eventualität in's Ange, daß es nothwendig werden könnte, das
Protokoll nach Potsdam zu schicken.

Die beiden amtirenden Bürgermeister erhielten nun den Auftrag, noch an
demselben Tage die Sache gründlichst zu untersuchen, und so geschah es denn
auch. Sie verhörten und protokollirten von drei bis sieben Uhr Abends. Leider
aber machte das Resultat die schlimmsten Befürchtungen zur Wahrheit.

Callabria, der übrigens inzwischen etwas zahmer geworden war und sein
anfängliches Benehmen mit Unkenntniß der reichsstädtischen Sitten und Ge¬
bräuche zu entschuldigen suchte, war anf's beste im Stande, sich durch seine
Papiere als im Auftrage Friedrich's des Großen reisend auszuweisen. Sein
Paß sowohl wie der vom Könige eigenhändig unterzeichnete Auftrag, einige
Sänger aus Italien zu holen, befanden sich in trefflichster Ordnung. Außerdem
zeigte er ein Schreiben vor von einem königlichen Beamten Namens Freders-
dorff, der ihn aufforderte, feine Reise nach Möglichkeit zu beschleunigen, da seine
Majestät sehr gespannt sei, die berühmte Signora Paganini zu hören, und da



*) Wahrscheinlich alle, nämlich zwei Stadtpfleger und fünf Geheimeräthe. Diese sieben
bildeten zusammen den geheimen Rath, die eigentliche Regierung der Stadt.

war auch wieder keiner, der nicht auf dem Grunde der Seele das unbehagliche
Gefühl gehabt hätte, daß der böse Mensch am Ende wirklich ein Kommissär
des Königs von Preußen sei, als welchen ihn der Leutnant bezeichnet hatte.
Und wenn er das war, welche Widerwärtigkeiten konnten dann dem Gemein¬
wesen aus dem Vorfalle erwachsen! Wußte doch jeder, wie die großen Herren
sich zwar wenig drum kümmerten, ob sie einem Kleineren auf den Fuß traten
oder nicht, dagegen um so entschiedener alle nur mögliche Rücksicht von den
Andern verlangten. Und war es doch leider nur zu gut bekannt, wie in Kolli¬
sionsfällen die armen Städte immer den Kürzern zogen.

Dieses Unbehagen kam denn auch sofort in dem Protokoll, welches in dem
alsbald abgehaltenen geheimen Rathe über den Vorfall aufgenommen wurde,
deutlich zum Ausdruck. Die Stadtpfleger und Geheimeräthe versammelten sich,
soweit sie noch auf dem Rathhause gegenwärtig waren*), auf der Stelle zu einer
Sitzung, um sich von dem Bürgermeister über den Hergang berichten zu lassen.
Man sollte meinen, in diesem Berichte hätte sich die gerechte Entrüstung, die
Langenmantel selbst ebenso wie jeder andere fühlte, auf's lebhafteste wieder¬
spiegeln müssen. Doch keine Spur davon. Derselbe ist im Gegentheil, wenig¬
stens das, was davon niedergeschrieben wurde, durchaus in entschuldigenden
Tone gehalten. Die Tendenz des Schriftstückes ist viel weniger, die Schuld
des Uebelthäters in's Licht zu stellen, als die Langmuth der Behörde hervor¬
zuheben, und insbesondere klar darzulegen, wie der Bürgermeister über alle
Maßen geduldig und sanftmüthig verfahren sei. Offenbar faßte man von vorn¬
herein die Eventualität in's Ange, daß es nothwendig werden könnte, das
Protokoll nach Potsdam zu schicken.

Die beiden amtirenden Bürgermeister erhielten nun den Auftrag, noch an
demselben Tage die Sache gründlichst zu untersuchen, und so geschah es denn
auch. Sie verhörten und protokollirten von drei bis sieben Uhr Abends. Leider
aber machte das Resultat die schlimmsten Befürchtungen zur Wahrheit.

Callabria, der übrigens inzwischen etwas zahmer geworden war und sein
anfängliches Benehmen mit Unkenntniß der reichsstädtischen Sitten und Ge¬
bräuche zu entschuldigen suchte, war anf's beste im Stande, sich durch seine
Papiere als im Auftrage Friedrich's des Großen reisend auszuweisen. Sein
Paß sowohl wie der vom Könige eigenhändig unterzeichnete Auftrag, einige
Sänger aus Italien zu holen, befanden sich in trefflichster Ordnung. Außerdem
zeigte er ein Schreiben vor von einem königlichen Beamten Namens Freders-
dorff, der ihn aufforderte, feine Reise nach Möglichkeit zu beschleunigen, da seine
Majestät sehr gespannt sei, die berühmte Signora Paganini zu hören, und da



*) Wahrscheinlich alle, nämlich zwei Stadtpfleger und fünf Geheimeräthe. Diese sieben
bildeten zusammen den geheimen Rath, die eigentliche Regierung der Stadt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/519>, abgerufen am 20.10.2024.