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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Allein Callabria hatte sich unter dem Thore als Kriegskommissär bezeichnet,
und es schien doch unglaublich, daß ein königlich preußischer Kriegskommissär
sein Quartier in der Schäfflerherberge genommen haben und zum Reisebegleiter
für ein paar italienische Sänger auserkoren worden sein sollte. Da mußte
jedem der Verdacht aufsteigen, der Mann sei ein Schwindler. Augsburg war
ja als wohlhabende Stadt überlaufen von dergleichen Leuten. Was mit Schau¬
spielern und Sängern zusammenhing, wurde gewöhnlich schon von vornherein
mit mißtrauischen Blicken angesehen. Und es war Grundsatz des Rathes, so
lange es sich, ohne in Unannehmlichkeiten zu gerathen, thun ließ, dafür zu
sorgen, daß kein Bürger durch fremde Betrüger zu Schaden käme.

Der Bote wurde also abgeschickt. Callabria empfing ihn höchst ungnädig
und äußerte sich in wegwerfender Weise über das hohe Rathskollegium; er
habe keine Zeit, der Aufforderung Folge zu leisten; wenn man etwas von ihm
wolle, so möge man zu ihm kommen. Erst auf vielfaches Zureden seiner
Gefährten und des Schäfflerwirthes ließ er sich endlich zu der Erklärung herbei,
er werde um halb zehn Uhr einen Stellvertreter schicken.

Langenmantel wartete eine Stunde lang auf den versprochenen Stellver¬
treter; aber vergebens, niemand kam. Endlich schickte er den Amtsdiener zum
zweiten Male, mit der Drohung, der Herr werde, falls er sich noch weiter
widerspenstig bezeigen sollte, durch die Stadtgarde mit Gewalt abgeholt werden.
Da bequemte sich Callabria, nachzugeben. Er erschien bald darauf in Beglei¬
tung eines italienischen Handlungskommis und eines Leutnants v. Kalm, der
als preußischer Werbeoffizier in Augsburg stationirte, auf dem Rathhause.
Langenmantel kam ihnen im zweiten Stock auf dem Korridor entgegen, und
der Offizier ergriff sofort das Wort mit der scharf betonten Frage, was der
Rath mit diesem -- auf Callabria deutend -- königlich preußischen Kommissär
eigentlich wolle. Der Bürgermeister antwortete, zunächst werde der Herr sich
legitimiren müssen, sodann handle sich's um eine Schuldforderung des Lohn¬
kutschers Birzle. Zugleich forderte er die Gesellschaft auf, mit ihm in die
nebenanstoßende Stadtgerichtsstube zu gehen, damit er dort Alles in gehöriger
Form zu Protokoll bringen könne. Darauf kurzes Hin- und Herreden. Endlich
meinte der Leutnant, mit dem Protokolliren habe er nichts zu schaffen, drehte
sich um und fing an, die Treppe hinabzusteigen. Callabria aber fiel sofort ein,
auch er habe keine Lust zum Protokollmachen, setzte den Hut auf und folgte
seinem militärischen Begleiter.


Schäfte mit einem Worte bezeichnen will, so kann man sie etwa Polizeirichtcr nennen. Es
waren immer sechs an der Zahl, von denen je zwei zusammen, ein katholischer und ein
Protestantischer, vier Monate lang im Amte waren. Die obersten Behörden hießen "Stadt¬
pfleger".

Allein Callabria hatte sich unter dem Thore als Kriegskommissär bezeichnet,
und es schien doch unglaublich, daß ein königlich preußischer Kriegskommissär
sein Quartier in der Schäfflerherberge genommen haben und zum Reisebegleiter
für ein paar italienische Sänger auserkoren worden sein sollte. Da mußte
jedem der Verdacht aufsteigen, der Mann sei ein Schwindler. Augsburg war
ja als wohlhabende Stadt überlaufen von dergleichen Leuten. Was mit Schau¬
spielern und Sängern zusammenhing, wurde gewöhnlich schon von vornherein
mit mißtrauischen Blicken angesehen. Und es war Grundsatz des Rathes, so
lange es sich, ohne in Unannehmlichkeiten zu gerathen, thun ließ, dafür zu
sorgen, daß kein Bürger durch fremde Betrüger zu Schaden käme.

Der Bote wurde also abgeschickt. Callabria empfing ihn höchst ungnädig
und äußerte sich in wegwerfender Weise über das hohe Rathskollegium; er
habe keine Zeit, der Aufforderung Folge zu leisten; wenn man etwas von ihm
wolle, so möge man zu ihm kommen. Erst auf vielfaches Zureden seiner
Gefährten und des Schäfflerwirthes ließ er sich endlich zu der Erklärung herbei,
er werde um halb zehn Uhr einen Stellvertreter schicken.

Langenmantel wartete eine Stunde lang auf den versprochenen Stellver¬
treter; aber vergebens, niemand kam. Endlich schickte er den Amtsdiener zum
zweiten Male, mit der Drohung, der Herr werde, falls er sich noch weiter
widerspenstig bezeigen sollte, durch die Stadtgarde mit Gewalt abgeholt werden.
Da bequemte sich Callabria, nachzugeben. Er erschien bald darauf in Beglei¬
tung eines italienischen Handlungskommis und eines Leutnants v. Kalm, der
als preußischer Werbeoffizier in Augsburg stationirte, auf dem Rathhause.
Langenmantel kam ihnen im zweiten Stock auf dem Korridor entgegen, und
der Offizier ergriff sofort das Wort mit der scharf betonten Frage, was der
Rath mit diesem — auf Callabria deutend — königlich preußischen Kommissär
eigentlich wolle. Der Bürgermeister antwortete, zunächst werde der Herr sich
legitimiren müssen, sodann handle sich's um eine Schuldforderung des Lohn¬
kutschers Birzle. Zugleich forderte er die Gesellschaft auf, mit ihm in die
nebenanstoßende Stadtgerichtsstube zu gehen, damit er dort Alles in gehöriger
Form zu Protokoll bringen könne. Darauf kurzes Hin- und Herreden. Endlich
meinte der Leutnant, mit dem Protokolliren habe er nichts zu schaffen, drehte
sich um und fing an, die Treppe hinabzusteigen. Callabria aber fiel sofort ein,
auch er habe keine Lust zum Protokollmachen, setzte den Hut auf und folgte
seinem militärischen Begleiter.


Schäfte mit einem Worte bezeichnen will, so kann man sie etwa Polizeirichtcr nennen. Es
waren immer sechs an der Zahl, von denen je zwei zusammen, ein katholischer und ein
Protestantischer, vier Monate lang im Amte waren. Die obersten Behörden hießen „Stadt¬
pfleger".
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[0517] Allein Callabria hatte sich unter dem Thore als Kriegskommissär bezeichnet, und es schien doch unglaublich, daß ein königlich preußischer Kriegskommissär sein Quartier in der Schäfflerherberge genommen haben und zum Reisebegleiter für ein paar italienische Sänger auserkoren worden sein sollte. Da mußte jedem der Verdacht aufsteigen, der Mann sei ein Schwindler. Augsburg war ja als wohlhabende Stadt überlaufen von dergleichen Leuten. Was mit Schau¬ spielern und Sängern zusammenhing, wurde gewöhnlich schon von vornherein mit mißtrauischen Blicken angesehen. Und es war Grundsatz des Rathes, so lange es sich, ohne in Unannehmlichkeiten zu gerathen, thun ließ, dafür zu sorgen, daß kein Bürger durch fremde Betrüger zu Schaden käme. Der Bote wurde also abgeschickt. Callabria empfing ihn höchst ungnädig und äußerte sich in wegwerfender Weise über das hohe Rathskollegium; er habe keine Zeit, der Aufforderung Folge zu leisten; wenn man etwas von ihm wolle, so möge man zu ihm kommen. Erst auf vielfaches Zureden seiner Gefährten und des Schäfflerwirthes ließ er sich endlich zu der Erklärung herbei, er werde um halb zehn Uhr einen Stellvertreter schicken. Langenmantel wartete eine Stunde lang auf den versprochenen Stellver¬ treter; aber vergebens, niemand kam. Endlich schickte er den Amtsdiener zum zweiten Male, mit der Drohung, der Herr werde, falls er sich noch weiter widerspenstig bezeigen sollte, durch die Stadtgarde mit Gewalt abgeholt werden. Da bequemte sich Callabria, nachzugeben. Er erschien bald darauf in Beglei¬ tung eines italienischen Handlungskommis und eines Leutnants v. Kalm, der als preußischer Werbeoffizier in Augsburg stationirte, auf dem Rathhause. Langenmantel kam ihnen im zweiten Stock auf dem Korridor entgegen, und der Offizier ergriff sofort das Wort mit der scharf betonten Frage, was der Rath mit diesem — auf Callabria deutend — königlich preußischen Kommissär eigentlich wolle. Der Bürgermeister antwortete, zunächst werde der Herr sich legitimiren müssen, sodann handle sich's um eine Schuldforderung des Lohn¬ kutschers Birzle. Zugleich forderte er die Gesellschaft auf, mit ihm in die nebenanstoßende Stadtgerichtsstube zu gehen, damit er dort Alles in gehöriger Form zu Protokoll bringen könne. Darauf kurzes Hin- und Herreden. Endlich meinte der Leutnant, mit dem Protokolliren habe er nichts zu schaffen, drehte sich um und fing an, die Treppe hinabzusteigen. Callabria aber fiel sofort ein, auch er habe keine Lust zum Protokollmachen, setzte den Hut auf und folgte seinem militärischen Begleiter. Schäfte mit einem Worte bezeichnen will, so kann man sie etwa Polizeirichtcr nennen. Es waren immer sechs an der Zahl, von denen je zwei zusammen, ein katholischer und ein Protestantischer, vier Monate lang im Amte waren. Die obersten Behörden hießen „Stadt¬ pfleger".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/517>, abgerufen am 20.10.2024.