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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Abhängigkeit der englischen Politik von seinem indischen Besitz, ja man möchte
sagen die permanente Angst, in welcher England um Indien schwebt, sei es,
daß Rußland in Innerasien Fortschritte macht oder beim Schah von Persien
Terrain gewinnt, oder daß Frankreich nach dem Suezkanal schielt, oder endlich,
daß eine Wiederholung des indischen Aufstandes droht. Man sieht, auch hier
hat der Kolonialbesitz einen recht bitteren Beigeschmack. Und, würde England
wohl die nicht unerhebliche Alabama-Entschädigung bezahlt haben und vor
Nordamerika zu Kreuze gekrochen sein, wenn es Canada nicht besessen hätte?

Einige weitere Behauptungen, welche Fabri in seiner Schrift aufstellt,
lassen auch den einfachsten Politiker, der sich seine politische Weisheit nur aus
einer aufmerksamen Zeitungslektüre holt, an der Gewichtigkeit seiner Argumente
irre werden. Wenn er z. B. behauptet, "daß es England gelungen sei, seine
so reichen, ausgedehnten indischen Besitzungen in einen Zustand steigenden
Wohlstandes zu heben", so muß man sich verwundert fragen, wie er leichten
Herzens einen solchen Satz hat schreiben können. Die materielle Lage Indien's
und seine Finanzen sind ja in den letzten zehn Jahren so oft Gegenstand der
parlamentarischen Verhandlungen gewesen, daß jeder aufmerksame Zeitungsleser
über die fast verzweifelt trostlose Lage Indien's hinreichend unterrichtet sein
kann. In zwölf Jahren viermal Hungersnoth; die Zahl der daran zu Grunde
gegangenen nach Hunderttausenden zählend; die Kosten der Hungersnoth in den
fünf Jahren von 1873 bis 1878 320 Millionen Mark, welche durch eine
Anleihe in England haben gedeckt werden müssen; dazu die offizielle Erklärung
des indischen Finanzministers, daß die Hungersnoth in Indien in Permanenz
sei, und daß man ihr begegnen müsse durch Bildung eines Hungersnothfonds,
für welchen in das Budget jährlich 30 Millionen Mark eingestellt werden
müßten; um diese Summe zu erschwingen, keine andere Möglichkeit, als eine
Erwerbssteuer, welche noch das Einkommen von 4 Schilling per Woche mit
5 Pence pro Pfd. Sterling belastet, da alle anderen Steuerkräfte schon bis auf's
äußerste angespannt sind; und kaum ist der Hungersnothfonds im Entstehen
begriffen, so ist er trotz der heiligsten Versicherungen des Finanzministers, daß
kein Schilling davon zu einem andern Zweck verwendet werden sollte, durch
den afghanischen Krieg mit verschlungen worden. Und schon steht eine neue
Hungersnoth vor der Thür. Eben jetzt wird im Parlament über eine neue
indische Anleihe verhandelt von 300 Millionen Mark, und Niemand weiß,
woher die Zinsen nehmen, nachdem das Salz, mit 2000 Proz. besteuert, einen
Zuschlag von 45 Proz. erfahren hat, die Grundsteuer so unerschwinglich ge¬
worden ist, daß sie den kleinen Grundbesitzer durchgehends in die Hände der
Wucherer geliefert hat, ohne dessen ruinirende, 20--60 Proz. Zinsen fordernde
Hilfe sie nicht im Stande sind, die Grundsteuer zu zahlen. Eine Einkommen-


Abhängigkeit der englischen Politik von seinem indischen Besitz, ja man möchte
sagen die permanente Angst, in welcher England um Indien schwebt, sei es,
daß Rußland in Innerasien Fortschritte macht oder beim Schah von Persien
Terrain gewinnt, oder daß Frankreich nach dem Suezkanal schielt, oder endlich,
daß eine Wiederholung des indischen Aufstandes droht. Man sieht, auch hier
hat der Kolonialbesitz einen recht bitteren Beigeschmack. Und, würde England
wohl die nicht unerhebliche Alabama-Entschädigung bezahlt haben und vor
Nordamerika zu Kreuze gekrochen sein, wenn es Canada nicht besessen hätte?

Einige weitere Behauptungen, welche Fabri in seiner Schrift aufstellt,
lassen auch den einfachsten Politiker, der sich seine politische Weisheit nur aus
einer aufmerksamen Zeitungslektüre holt, an der Gewichtigkeit seiner Argumente
irre werden. Wenn er z. B. behauptet, „daß es England gelungen sei, seine
so reichen, ausgedehnten indischen Besitzungen in einen Zustand steigenden
Wohlstandes zu heben", so muß man sich verwundert fragen, wie er leichten
Herzens einen solchen Satz hat schreiben können. Die materielle Lage Indien's
und seine Finanzen sind ja in den letzten zehn Jahren so oft Gegenstand der
parlamentarischen Verhandlungen gewesen, daß jeder aufmerksame Zeitungsleser
über die fast verzweifelt trostlose Lage Indien's hinreichend unterrichtet sein
kann. In zwölf Jahren viermal Hungersnoth; die Zahl der daran zu Grunde
gegangenen nach Hunderttausenden zählend; die Kosten der Hungersnoth in den
fünf Jahren von 1873 bis 1878 320 Millionen Mark, welche durch eine
Anleihe in England haben gedeckt werden müssen; dazu die offizielle Erklärung
des indischen Finanzministers, daß die Hungersnoth in Indien in Permanenz
sei, und daß man ihr begegnen müsse durch Bildung eines Hungersnothfonds,
für welchen in das Budget jährlich 30 Millionen Mark eingestellt werden
müßten; um diese Summe zu erschwingen, keine andere Möglichkeit, als eine
Erwerbssteuer, welche noch das Einkommen von 4 Schilling per Woche mit
5 Pence pro Pfd. Sterling belastet, da alle anderen Steuerkräfte schon bis auf's
äußerste angespannt sind; und kaum ist der Hungersnothfonds im Entstehen
begriffen, so ist er trotz der heiligsten Versicherungen des Finanzministers, daß
kein Schilling davon zu einem andern Zweck verwendet werden sollte, durch
den afghanischen Krieg mit verschlungen worden. Und schon steht eine neue
Hungersnoth vor der Thür. Eben jetzt wird im Parlament über eine neue
indische Anleihe verhandelt von 300 Millionen Mark, und Niemand weiß,
woher die Zinsen nehmen, nachdem das Salz, mit 2000 Proz. besteuert, einen
Zuschlag von 45 Proz. erfahren hat, die Grundsteuer so unerschwinglich ge¬
worden ist, daß sie den kleinen Grundbesitzer durchgehends in die Hände der
Wucherer geliefert hat, ohne dessen ruinirende, 20—60 Proz. Zinsen fordernde
Hilfe sie nicht im Stande sind, die Grundsteuer zu zahlen. Eine Einkommen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/500>, abgerufen am 29.12.2024.