Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Abschaffung des Königthums am 24. Februar 1848, welche Frankreich
erst in die Greuel der Anarchie, dann in die Arme des kaiserlichen Absolutis¬
mus trieb, war das Werk der in die Deputirtenkammer eingebrochenen Volks-
schaaren, welche die Wahl einer provisorischen Regierung erzwangen und ohne
weiteres an der Wahl der Mitglieder derselben theilnahmen. Der Aufstand
vom 15. Mai desselben Jahres galt dem Versuch, die Nationalversammlung
zur Verkündigung der rothen Republik zu nöthigen, und wäre, nachdem er die
Volksvertreter in schwere Gefahr gebracht, bei einem Haare geglückt. Genau
auf gleiche Weise endlich wie die Republik von 1848 kam die vom 4. September
1870 zu Stande: ein Haufe aufrührerischer Pariser überfiel den gesetzgebenden
Körper und drängte ihn, z" dekretiren, was die Wortführer des Straßenpöbels
und einige Depmirte vorher unter sich ausgemacht hatten. Man sagt in Er¬
innerung an diese Dinge sicherlich nicht zu viel, wenn man behauptet, den Sitz
des französischen Parlaments acht Jahre nach der Kommune-Wirthschaft in die
Heimat der letzteren verlegen und zu gleicher Zeit die Kommunards zurückrufen,
heiße den Teufel an die Wand malen.

.
Im Hinblick hierauf empfahl die Regierung zwar dem Senate die Ver¬
legung, zeigte sich jedoch geneigt, ihm gewisse Bürgschaften für die Sicherheit
der gesetzgebenden Gewalten in Paris zu bieten. Diese Bürgschaften traten
Zuerst in unbestimmter Gestalt auf, dann aber hatten die Minister Waddington
und Leon Sah den Gedanken, den Kammern vorzuschlagen, sie möchten dem
Gemeinderath von Paris, also der Vertretung der Stadt, die Kontrole über
das städtische Polizeiwesen nehmen und sie dem Ministerium des Innern über¬
tragen. Die Folge war eine Ministerkrisis. Die beiden Herren hatten sich
über die Größe ihres Ansehens und Einflusses auf ihre Kollegen getäuscht.
Sie waren so unvorsichtig, bevor sie sich darüber Gewißheit verschafft, ihren
Plan durch die Presse bekannt werden zu lassen. Die radikalen Blätter nicht
blos, sondern auch die ihrer politischen Meinung nach weiter rechtsstehenden
nahmen ihn mit der äußersten Entrüstung auf und drohten mit einem unheil¬
baren Bruche zwischen Paris und den Kammern, falls letztere die Unklugheit
begehen sollten, auf den Vorschlag der beiden Minister einzugehen. Waddington
und Sah wurden von ihren aus der Fraktion Gcnnbetta's genommenen Amts¬
genossen im Korsen zur Rede gestellt, und es kam zu einem Konflikt im Schooße
des Ministeriums selbst, in Folge dessen die beiden Urheber des Garantiegesetzes
abzutreten verpflichtet gewesen wären, wenn der Präsident sich nicht in's Mittel
geschlagen und sie bewogen hätte, auf ihr Projekt zu verzichten und die Rück¬
kehr der Kammern nach dem gefährlichen Paris vom Senate ohne Vorbehalt
und Bürgschaft zu verlangen. So blieb das Ministerium unverändert, sein


Die Abschaffung des Königthums am 24. Februar 1848, welche Frankreich
erst in die Greuel der Anarchie, dann in die Arme des kaiserlichen Absolutis¬
mus trieb, war das Werk der in die Deputirtenkammer eingebrochenen Volks-
schaaren, welche die Wahl einer provisorischen Regierung erzwangen und ohne
weiteres an der Wahl der Mitglieder derselben theilnahmen. Der Aufstand
vom 15. Mai desselben Jahres galt dem Versuch, die Nationalversammlung
zur Verkündigung der rothen Republik zu nöthigen, und wäre, nachdem er die
Volksvertreter in schwere Gefahr gebracht, bei einem Haare geglückt. Genau
auf gleiche Weise endlich wie die Republik von 1848 kam die vom 4. September
1870 zu Stande: ein Haufe aufrührerischer Pariser überfiel den gesetzgebenden
Körper und drängte ihn, z» dekretiren, was die Wortführer des Straßenpöbels
und einige Depmirte vorher unter sich ausgemacht hatten. Man sagt in Er¬
innerung an diese Dinge sicherlich nicht zu viel, wenn man behauptet, den Sitz
des französischen Parlaments acht Jahre nach der Kommune-Wirthschaft in die
Heimat der letzteren verlegen und zu gleicher Zeit die Kommunards zurückrufen,
heiße den Teufel an die Wand malen.

.
Im Hinblick hierauf empfahl die Regierung zwar dem Senate die Ver¬
legung, zeigte sich jedoch geneigt, ihm gewisse Bürgschaften für die Sicherheit
der gesetzgebenden Gewalten in Paris zu bieten. Diese Bürgschaften traten
Zuerst in unbestimmter Gestalt auf, dann aber hatten die Minister Waddington
und Leon Sah den Gedanken, den Kammern vorzuschlagen, sie möchten dem
Gemeinderath von Paris, also der Vertretung der Stadt, die Kontrole über
das städtische Polizeiwesen nehmen und sie dem Ministerium des Innern über¬
tragen. Die Folge war eine Ministerkrisis. Die beiden Herren hatten sich
über die Größe ihres Ansehens und Einflusses auf ihre Kollegen getäuscht.
Sie waren so unvorsichtig, bevor sie sich darüber Gewißheit verschafft, ihren
Plan durch die Presse bekannt werden zu lassen. Die radikalen Blätter nicht
blos, sondern auch die ihrer politischen Meinung nach weiter rechtsstehenden
nahmen ihn mit der äußersten Entrüstung auf und drohten mit einem unheil¬
baren Bruche zwischen Paris und den Kammern, falls letztere die Unklugheit
begehen sollten, auf den Vorschlag der beiden Minister einzugehen. Waddington
und Sah wurden von ihren aus der Fraktion Gcnnbetta's genommenen Amts¬
genossen im Korsen zur Rede gestellt, und es kam zu einem Konflikt im Schooße
des Ministeriums selbst, in Folge dessen die beiden Urheber des Garantiegesetzes
abzutreten verpflichtet gewesen wären, wenn der Präsident sich nicht in's Mittel
geschlagen und sie bewogen hätte, auf ihr Projekt zu verzichten und die Rück¬
kehr der Kammern nach dem gefährlichen Paris vom Senate ohne Vorbehalt
und Bürgschaft zu verlangen. So blieb das Ministerium unverändert, sein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142448"/>
          <p xml:id="ID_1493" prev="#ID_1492"> Die Abschaffung des Königthums am 24. Februar 1848, welche Frankreich<lb/>
erst in die Greuel der Anarchie, dann in die Arme des kaiserlichen Absolutis¬<lb/>
mus trieb, war das Werk der in die Deputirtenkammer eingebrochenen Volks-<lb/>
schaaren, welche die Wahl einer provisorischen Regierung erzwangen und ohne<lb/>
weiteres an der Wahl der Mitglieder derselben theilnahmen. Der Aufstand<lb/>
vom 15. Mai desselben Jahres galt dem Versuch, die Nationalversammlung<lb/>
zur Verkündigung der rothen Republik zu nöthigen, und wäre, nachdem er die<lb/>
Volksvertreter in schwere Gefahr gebracht, bei einem Haare geglückt. Genau<lb/>
auf gleiche Weise endlich wie die Republik von 1848 kam die vom 4. September<lb/>
1870 zu Stande: ein Haufe aufrührerischer Pariser überfiel den gesetzgebenden<lb/>
Körper und drängte ihn, z» dekretiren, was die Wortführer des Straßenpöbels<lb/>
und einige Depmirte vorher unter sich ausgemacht hatten. Man sagt in Er¬<lb/>
innerung an diese Dinge sicherlich nicht zu viel, wenn man behauptet, den Sitz<lb/>
des französischen Parlaments acht Jahre nach der Kommune-Wirthschaft in die<lb/>
Heimat der letzteren verlegen und zu gleicher Zeit die Kommunards zurückrufen,<lb/>
heiße den Teufel an die Wand malen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1494" next="#ID_1495"> .<lb/>
Im Hinblick hierauf empfahl die Regierung zwar dem Senate die Ver¬<lb/>
legung, zeigte sich jedoch geneigt, ihm gewisse Bürgschaften für die Sicherheit<lb/>
der gesetzgebenden Gewalten in Paris zu bieten. Diese Bürgschaften traten<lb/>
Zuerst in unbestimmter Gestalt auf, dann aber hatten die Minister Waddington<lb/>
und Leon Sah den Gedanken, den Kammern vorzuschlagen, sie möchten dem<lb/>
Gemeinderath von Paris, also der Vertretung der Stadt, die Kontrole über<lb/>
das städtische Polizeiwesen nehmen und sie dem Ministerium des Innern über¬<lb/>
tragen. Die Folge war eine Ministerkrisis. Die beiden Herren hatten sich<lb/>
über die Größe ihres Ansehens und Einflusses auf ihre Kollegen getäuscht.<lb/>
Sie waren so unvorsichtig, bevor sie sich darüber Gewißheit verschafft, ihren<lb/>
Plan durch die Presse bekannt werden zu lassen. Die radikalen Blätter nicht<lb/>
blos, sondern auch die ihrer politischen Meinung nach weiter rechtsstehenden<lb/>
nahmen ihn mit der äußersten Entrüstung auf und drohten mit einem unheil¬<lb/>
baren Bruche zwischen Paris und den Kammern, falls letztere die Unklugheit<lb/>
begehen sollten, auf den Vorschlag der beiden Minister einzugehen. Waddington<lb/>
und Sah wurden von ihren aus der Fraktion Gcnnbetta's genommenen Amts¬<lb/>
genossen im Korsen zur Rede gestellt, und es kam zu einem Konflikt im Schooße<lb/>
des Ministeriums selbst, in Folge dessen die beiden Urheber des Garantiegesetzes<lb/>
abzutreten verpflichtet gewesen wären, wenn der Präsident sich nicht in's Mittel<lb/>
geschlagen und sie bewogen hätte, auf ihr Projekt zu verzichten und die Rück¬<lb/>
kehr der Kammern nach dem gefährlichen Paris vom Senate ohne Vorbehalt<lb/>
und Bürgschaft zu verlangen. So blieb das Ministerium unverändert, sein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] Die Abschaffung des Königthums am 24. Februar 1848, welche Frankreich erst in die Greuel der Anarchie, dann in die Arme des kaiserlichen Absolutis¬ mus trieb, war das Werk der in die Deputirtenkammer eingebrochenen Volks- schaaren, welche die Wahl einer provisorischen Regierung erzwangen und ohne weiteres an der Wahl der Mitglieder derselben theilnahmen. Der Aufstand vom 15. Mai desselben Jahres galt dem Versuch, die Nationalversammlung zur Verkündigung der rothen Republik zu nöthigen, und wäre, nachdem er die Volksvertreter in schwere Gefahr gebracht, bei einem Haare geglückt. Genau auf gleiche Weise endlich wie die Republik von 1848 kam die vom 4. September 1870 zu Stande: ein Haufe aufrührerischer Pariser überfiel den gesetzgebenden Körper und drängte ihn, z» dekretiren, was die Wortführer des Straßenpöbels und einige Depmirte vorher unter sich ausgemacht hatten. Man sagt in Er¬ innerung an diese Dinge sicherlich nicht zu viel, wenn man behauptet, den Sitz des französischen Parlaments acht Jahre nach der Kommune-Wirthschaft in die Heimat der letzteren verlegen und zu gleicher Zeit die Kommunards zurückrufen, heiße den Teufel an die Wand malen. . Im Hinblick hierauf empfahl die Regierung zwar dem Senate die Ver¬ legung, zeigte sich jedoch geneigt, ihm gewisse Bürgschaften für die Sicherheit der gesetzgebenden Gewalten in Paris zu bieten. Diese Bürgschaften traten Zuerst in unbestimmter Gestalt auf, dann aber hatten die Minister Waddington und Leon Sah den Gedanken, den Kammern vorzuschlagen, sie möchten dem Gemeinderath von Paris, also der Vertretung der Stadt, die Kontrole über das städtische Polizeiwesen nehmen und sie dem Ministerium des Innern über¬ tragen. Die Folge war eine Ministerkrisis. Die beiden Herren hatten sich über die Größe ihres Ansehens und Einflusses auf ihre Kollegen getäuscht. Sie waren so unvorsichtig, bevor sie sich darüber Gewißheit verschafft, ihren Plan durch die Presse bekannt werden zu lassen. Die radikalen Blätter nicht blos, sondern auch die ihrer politischen Meinung nach weiter rechtsstehenden nahmen ihn mit der äußersten Entrüstung auf und drohten mit einem unheil¬ baren Bruche zwischen Paris und den Kammern, falls letztere die Unklugheit begehen sollten, auf den Vorschlag der beiden Minister einzugehen. Waddington und Sah wurden von ihren aus der Fraktion Gcnnbetta's genommenen Amts¬ genossen im Korsen zur Rede gestellt, und es kam zu einem Konflikt im Schooße des Ministeriums selbst, in Folge dessen die beiden Urheber des Garantiegesetzes abzutreten verpflichtet gewesen wären, wenn der Präsident sich nicht in's Mittel geschlagen und sie bewogen hätte, auf ihr Projekt zu verzichten und die Rück¬ kehr der Kammern nach dem gefährlichen Paris vom Senate ohne Vorbehalt und Bürgschaft zu verlangen. So blieb das Ministerium unverändert, sein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/493>, abgerufen am 27.09.2024.