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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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"Mein Gönner! die nicht geringe Menge Geldes, in deren Besitz sich Messer
Tizian befindet, sowie seine übermäßige Begierde, dasselbe zu vermehren, ist der
Grund, daß er, ohne sich an Verbindlichkeiten zu kehren, die er gegen Freunde
hat, noch an Verpflichtungen, die man Verwandten schuldig ist, nur an das
mit außergewöhnlicher Besorgniß denkt, was ihm große Dinge in Aussicht stellt;
deshalb ist es auch kein Wunder, wenn er, nachdem er mich sechs Monate lang
mit der Hoffnung hingehalten, jetzt von der Freigebigkeit Paul's III. angelockt,
nach Rom gegangen ist, ohne mir das Bild Eures unsterblichen Vaters zu
machen."

Wir wissen nicht, ob Aretino sich auch gegen Sansovino in gleichem Maße
doppelzüngig erwies. Aber soviel steht jedenfalls fest, daß er ihm während
seines Mißgeschickes treu zur Seite blieb und ihm die Folge der Katastrophe
nach Kräften zu mildern suchte. Sansovino wurde zwar abgesetzt und sein
Gehalt suspendirt, aber er blieb doch c1"z taero der Architekt seines Werkes.
Er wußte sich auch gegen den Prokurator Antonio Capello zu behaupten, welcher
vorschlug, die steinerne Wölbung durch eine hölzerne Decke zu ersetzen. Das
Werk wurde unter besseren Auspizien fortgeführt, und am 4. Oktober 1546,
also noch nicht ein Jahr nach der Katastrophe, konnte Sansovino an seinen
Gönner, den Kardinal Bembo in Rom, der sich gleichfalls in den unglücklichen
Dezembertagen für ihn verwandt hatte, das Schreiben richten: "Ich würde
glauben, sehr gegen meine Pflicht zu fehlen, wenn ich Ihnen nicht über meinen
Bau Nachricht gäbe, der Ew. hochwürdigen Herrlichkeit so sehr gefiel, als die¬
selbe hier war. Ich theile Ihnen also mit, daß ich denselben jetzt soweit gebracht
habe, daß er bequem bewohnt werden kann. Und obschon der Bau durch die
Schuld eines Andern, wie Jeder weiß, einige Unfälle erlitten hat, so ist die
Sache doch nicht so arg gewesen, als man sie anfänglich gehalten hat. Denn
es ist blos ein Fenster eingestürzt und der Giebel, der darüber war, indem die
unwissenden Bauleute an demselben Tage die Stützen weggenommen hatten, als
die letzte Hand daran gelegt worden war. Aber Gott möge es dem, der es so
gewollt hat, vergeben! -- Ich danke Ew. hochwürdigen Herrlichkeit unendlich
für die Grüße von Seiten des Messer Antonio Anselmi, dem meine Idee des
Eckstückes der dorischen Ordnung so sehr gefallen hat; eine Sache, die von den
Alten wegen ihrer Schwierigkeit bei Seite gelassen worden ist. Nun aber will
ich weiter nichts mehr sagen. Möge mich Ew. hochw. Herrlichkeit als Vater der
Künstler dort vertheidigen und hier über mich gebieten, wie über einen wirk¬
lichen und langjährigen Diener. Unser Herr erhalte Sie glücklich!"

Sansovino witterte also, wie aus diesem Schreiben hervorgeht, hinter dem
Unfall seines Bauwerkes eine Intrigue, die Hand eines ungenannten "Andern",
der zu voreilig die Stütze" wegzog, durch welche der Ruhm des Erfinders des


„Mein Gönner! die nicht geringe Menge Geldes, in deren Besitz sich Messer
Tizian befindet, sowie seine übermäßige Begierde, dasselbe zu vermehren, ist der
Grund, daß er, ohne sich an Verbindlichkeiten zu kehren, die er gegen Freunde
hat, noch an Verpflichtungen, die man Verwandten schuldig ist, nur an das
mit außergewöhnlicher Besorgniß denkt, was ihm große Dinge in Aussicht stellt;
deshalb ist es auch kein Wunder, wenn er, nachdem er mich sechs Monate lang
mit der Hoffnung hingehalten, jetzt von der Freigebigkeit Paul's III. angelockt,
nach Rom gegangen ist, ohne mir das Bild Eures unsterblichen Vaters zu
machen."

Wir wissen nicht, ob Aretino sich auch gegen Sansovino in gleichem Maße
doppelzüngig erwies. Aber soviel steht jedenfalls fest, daß er ihm während
seines Mißgeschickes treu zur Seite blieb und ihm die Folge der Katastrophe
nach Kräften zu mildern suchte. Sansovino wurde zwar abgesetzt und sein
Gehalt suspendirt, aber er blieb doch c1«z taero der Architekt seines Werkes.
Er wußte sich auch gegen den Prokurator Antonio Capello zu behaupten, welcher
vorschlug, die steinerne Wölbung durch eine hölzerne Decke zu ersetzen. Das
Werk wurde unter besseren Auspizien fortgeführt, und am 4. Oktober 1546,
also noch nicht ein Jahr nach der Katastrophe, konnte Sansovino an seinen
Gönner, den Kardinal Bembo in Rom, der sich gleichfalls in den unglücklichen
Dezembertagen für ihn verwandt hatte, das Schreiben richten: „Ich würde
glauben, sehr gegen meine Pflicht zu fehlen, wenn ich Ihnen nicht über meinen
Bau Nachricht gäbe, der Ew. hochwürdigen Herrlichkeit so sehr gefiel, als die¬
selbe hier war. Ich theile Ihnen also mit, daß ich denselben jetzt soweit gebracht
habe, daß er bequem bewohnt werden kann. Und obschon der Bau durch die
Schuld eines Andern, wie Jeder weiß, einige Unfälle erlitten hat, so ist die
Sache doch nicht so arg gewesen, als man sie anfänglich gehalten hat. Denn
es ist blos ein Fenster eingestürzt und der Giebel, der darüber war, indem die
unwissenden Bauleute an demselben Tage die Stützen weggenommen hatten, als
die letzte Hand daran gelegt worden war. Aber Gott möge es dem, der es so
gewollt hat, vergeben! — Ich danke Ew. hochwürdigen Herrlichkeit unendlich
für die Grüße von Seiten des Messer Antonio Anselmi, dem meine Idee des
Eckstückes der dorischen Ordnung so sehr gefallen hat; eine Sache, die von den
Alten wegen ihrer Schwierigkeit bei Seite gelassen worden ist. Nun aber will
ich weiter nichts mehr sagen. Möge mich Ew. hochw. Herrlichkeit als Vater der
Künstler dort vertheidigen und hier über mich gebieten, wie über einen wirk¬
lichen und langjährigen Diener. Unser Herr erhalte Sie glücklich!"

Sansovino witterte also, wie aus diesem Schreiben hervorgeht, hinter dem
Unfall seines Bauwerkes eine Intrigue, die Hand eines ungenannten „Andern",
der zu voreilig die Stütze» wegzog, durch welche der Ruhm des Erfinders des


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[0476] „Mein Gönner! die nicht geringe Menge Geldes, in deren Besitz sich Messer Tizian befindet, sowie seine übermäßige Begierde, dasselbe zu vermehren, ist der Grund, daß er, ohne sich an Verbindlichkeiten zu kehren, die er gegen Freunde hat, noch an Verpflichtungen, die man Verwandten schuldig ist, nur an das mit außergewöhnlicher Besorgniß denkt, was ihm große Dinge in Aussicht stellt; deshalb ist es auch kein Wunder, wenn er, nachdem er mich sechs Monate lang mit der Hoffnung hingehalten, jetzt von der Freigebigkeit Paul's III. angelockt, nach Rom gegangen ist, ohne mir das Bild Eures unsterblichen Vaters zu machen." Wir wissen nicht, ob Aretino sich auch gegen Sansovino in gleichem Maße doppelzüngig erwies. Aber soviel steht jedenfalls fest, daß er ihm während seines Mißgeschickes treu zur Seite blieb und ihm die Folge der Katastrophe nach Kräften zu mildern suchte. Sansovino wurde zwar abgesetzt und sein Gehalt suspendirt, aber er blieb doch c1«z taero der Architekt seines Werkes. Er wußte sich auch gegen den Prokurator Antonio Capello zu behaupten, welcher vorschlug, die steinerne Wölbung durch eine hölzerne Decke zu ersetzen. Das Werk wurde unter besseren Auspizien fortgeführt, und am 4. Oktober 1546, also noch nicht ein Jahr nach der Katastrophe, konnte Sansovino an seinen Gönner, den Kardinal Bembo in Rom, der sich gleichfalls in den unglücklichen Dezembertagen für ihn verwandt hatte, das Schreiben richten: „Ich würde glauben, sehr gegen meine Pflicht zu fehlen, wenn ich Ihnen nicht über meinen Bau Nachricht gäbe, der Ew. hochwürdigen Herrlichkeit so sehr gefiel, als die¬ selbe hier war. Ich theile Ihnen also mit, daß ich denselben jetzt soweit gebracht habe, daß er bequem bewohnt werden kann. Und obschon der Bau durch die Schuld eines Andern, wie Jeder weiß, einige Unfälle erlitten hat, so ist die Sache doch nicht so arg gewesen, als man sie anfänglich gehalten hat. Denn es ist blos ein Fenster eingestürzt und der Giebel, der darüber war, indem die unwissenden Bauleute an demselben Tage die Stützen weggenommen hatten, als die letzte Hand daran gelegt worden war. Aber Gott möge es dem, der es so gewollt hat, vergeben! — Ich danke Ew. hochwürdigen Herrlichkeit unendlich für die Grüße von Seiten des Messer Antonio Anselmi, dem meine Idee des Eckstückes der dorischen Ordnung so sehr gefallen hat; eine Sache, die von den Alten wegen ihrer Schwierigkeit bei Seite gelassen worden ist. Nun aber will ich weiter nichts mehr sagen. Möge mich Ew. hochw. Herrlichkeit als Vater der Künstler dort vertheidigen und hier über mich gebieten, wie über einen wirk¬ lichen und langjährigen Diener. Unser Herr erhalte Sie glücklich!" Sansovino witterte also, wie aus diesem Schreiben hervorgeht, hinter dem Unfall seines Bauwerkes eine Intrigue, die Hand eines ungenannten „Andern", der zu voreilig die Stütze» wegzog, durch welche der Ruhm des Erfinders des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/476>, abgerufen am 29.12.2024.