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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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andere endlich der Unerfahren!)eit der Maurer und zum Theil auch der Er¬
schütterung, welche dadurch herbeigeführt worden war, daß ein Schiff im Hafen
mehrere Kanonenschüsse abgefeuert hatte.

Sansovino brauchte die Strafe nicht baar zu erlegen. Er hätte noch
600 Dukaten für die vier Bronzestatuen in den Nischen der Logetta -- sie ge¬
hören zu seinen reizvollsten Schöpfungen -- und 300 weitere für drei Bronze¬
reliefs zu fordern, welche Begebenheiten aus dem Leben des heiligen Markus
darstellen und sich gegenwärtig im Chor von San Marco befinden. Die Ab¬
rechnung fand am 10. Februar 1546 statt. Inzwischen war Aretino nicht un¬
thätig gewesen. Gleich nach Sansovino's Verhaftung hatte er einen ungemein
salbungsvollen Trostbrief an Pavia Sansovino -- man weiß nicht, ob es die
Gattin oder die Tochter des Meisters war -- geschrieben, und dann setzte er
alle seine Gönner und alle, die ihm irgendwie verpflichtet waren oder ihn zu
fürchten Ursache hatten, in Bewegung, um das Schicksal des Künstlers zu
mildern. Vornehmlich kam es ihm darauf an, die Angelegenheit, welche sich
mit großer Schnelligkeit durch ganz Italien verbreitet hatte und überall Auf¬
sehen erregte, in einem für Sansovino möglichst günstigen Lichte darzustellen.
Er wußte, daß die Neider Sansovino's die Sache übertrieben und zu ihrem
Vortheile ausgebeutet hatten. Namentlich waren ihm herbe Urtheile Sammicheli's
und Tribolo's zu Ohren gekommen. Auf beide ergoß er nun die Schaale seines
Zornes, und da er dem ersteren, wie es schien, nicht beikommen konnte, hielt er
sich an den letzteren, der ein Schüler Sansovino's gewesen war. Er setzte ihm
so lange zu, bis er schwor, niemals eine ungünstige Aeußerung über feinen
ehemaligen Meister gethan zu haben.

Dieser Zug in Arelim's Wesen berührt um so angenehmer, als er ziemlich
vereinzelt dasteht. Als Gegenstück dazu mag ein Beispiel von der Doppel¬
züngigkeit des Pasquillanten angeführt sein, das uns zwar von unserm Gegen¬
stande etwas ableitet, aber doch der Zeit nach mit ihm in Verbindung steht.
Tizian war Ende September oder Anfang Oktober nach Rom gegangen und
hatte bald nach seiner Ankunft einen enthusiastischen Brief an Aretino geschrieben,
den dieser sofort beantwortete. "Ich sehne mich," heißt es darin, "nach Eurer
Rückkehr; denn ich mochte wissen, was Ihr über die Antiken denkt und ob Ihr
meint, daß sie höher stehen als Michelangelo, und inwiefern dieser als Maler
den Raffael erreicht oder übertrifft----Seht Euch ja die Art und Weise aller
hervorragenden Maler ... an ... vergleicht die Figuren Jacopo Sansovino's
mit Arbeiten solcher, die sich ihm an die Seite stellen, und vertieft Euch nicht
zu sehr in das ,Jüngste Gericht' der Sixtina; sonst laßt Ihr mich und San¬
sovino den ganzen Winter über im Stiche." Und dieser selbe Aretino schrieb
wenige Tage darauf, am 17. Oktober 1545, an Cosimo I., Herzog von Florenz:


andere endlich der Unerfahren!)eit der Maurer und zum Theil auch der Er¬
schütterung, welche dadurch herbeigeführt worden war, daß ein Schiff im Hafen
mehrere Kanonenschüsse abgefeuert hatte.

Sansovino brauchte die Strafe nicht baar zu erlegen. Er hätte noch
600 Dukaten für die vier Bronzestatuen in den Nischen der Logetta — sie ge¬
hören zu seinen reizvollsten Schöpfungen — und 300 weitere für drei Bronze¬
reliefs zu fordern, welche Begebenheiten aus dem Leben des heiligen Markus
darstellen und sich gegenwärtig im Chor von San Marco befinden. Die Ab¬
rechnung fand am 10. Februar 1546 statt. Inzwischen war Aretino nicht un¬
thätig gewesen. Gleich nach Sansovino's Verhaftung hatte er einen ungemein
salbungsvollen Trostbrief an Pavia Sansovino — man weiß nicht, ob es die
Gattin oder die Tochter des Meisters war — geschrieben, und dann setzte er
alle seine Gönner und alle, die ihm irgendwie verpflichtet waren oder ihn zu
fürchten Ursache hatten, in Bewegung, um das Schicksal des Künstlers zu
mildern. Vornehmlich kam es ihm darauf an, die Angelegenheit, welche sich
mit großer Schnelligkeit durch ganz Italien verbreitet hatte und überall Auf¬
sehen erregte, in einem für Sansovino möglichst günstigen Lichte darzustellen.
Er wußte, daß die Neider Sansovino's die Sache übertrieben und zu ihrem
Vortheile ausgebeutet hatten. Namentlich waren ihm herbe Urtheile Sammicheli's
und Tribolo's zu Ohren gekommen. Auf beide ergoß er nun die Schaale seines
Zornes, und da er dem ersteren, wie es schien, nicht beikommen konnte, hielt er
sich an den letzteren, der ein Schüler Sansovino's gewesen war. Er setzte ihm
so lange zu, bis er schwor, niemals eine ungünstige Aeußerung über feinen
ehemaligen Meister gethan zu haben.

Dieser Zug in Arelim's Wesen berührt um so angenehmer, als er ziemlich
vereinzelt dasteht. Als Gegenstück dazu mag ein Beispiel von der Doppel¬
züngigkeit des Pasquillanten angeführt sein, das uns zwar von unserm Gegen¬
stande etwas ableitet, aber doch der Zeit nach mit ihm in Verbindung steht.
Tizian war Ende September oder Anfang Oktober nach Rom gegangen und
hatte bald nach seiner Ankunft einen enthusiastischen Brief an Aretino geschrieben,
den dieser sofort beantwortete. „Ich sehne mich," heißt es darin, „nach Eurer
Rückkehr; denn ich mochte wissen, was Ihr über die Antiken denkt und ob Ihr
meint, daß sie höher stehen als Michelangelo, und inwiefern dieser als Maler
den Raffael erreicht oder übertrifft----Seht Euch ja die Art und Weise aller
hervorragenden Maler ... an ... vergleicht die Figuren Jacopo Sansovino's
mit Arbeiten solcher, die sich ihm an die Seite stellen, und vertieft Euch nicht
zu sehr in das ,Jüngste Gericht' der Sixtina; sonst laßt Ihr mich und San¬
sovino den ganzen Winter über im Stiche." Und dieser selbe Aretino schrieb
wenige Tage darauf, am 17. Oktober 1545, an Cosimo I., Herzog von Florenz:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/475>, abgerufen am 20.10.2024.