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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Ecke richtig die halbe Metope zeigte. Er hatte seinen Zweck einfach dadurch
erreicht, daß er den Fries etwas verlängerte und den Eckpilaster gegenüber dem
Glockenthurm etwas verbreiterte. So wurde die eingebildete Schwierigkeit
beseitigt.

Sein Sohn Francesco, der Verfasser der ersten ausführlichen Beschreibung
Venedig's, handelte natürlich ganz im Sinne seines Vaters, wenn er in seiner
VsnWiÄ Ässoritw die Affaire zu einer Haupt- und Staatsaktion aufbauschte,
obschon er sie in der Hauptsache, wie seine konfuse Beschreibung zeigt, gar nicht
verstand. Gleichwohl gab es schon damals Leute, welche den Humbug durch¬
schauten, und zu ihnen wird auch Sammicheli, der große Nebenbuhler Sanso¬
vino's, gehört haben. Ihre Meinung gibt unzweifelhaft Vincenzo Scamozzi,
der sich noch in den letzten Jahren Sansovino's der Unterweisung des Meisters
erfreut hatte, in seiner Icksa alsit' ^reditstwrÄ wieder, wenn er sagt, es hätte
gar keine Schwierigkeit vorgelegen; überdies sei Sansovino's Lösung keine
glückliche.

Der Meister stand jetzt auf der Höhe seines Ruhmes und seines Glückes,
getragen durch die Gunst des venetianischen Adels und gefeiert in ganz Italien
um des glänzenden Bauwerkes willen, das seiner baldigen Vollendung entgegen¬
sah. Aus seiner so geschickt in Szene gesetzten Reklame hatte er zugleich einen
klingenden Vortheil gezogen, indem ihm unter dem 19. April 1539 eine Gehalts¬
zulage von 40 Dukaten bewilligt wurde, sodaß sich das gesammte Einkommen,
welches er von Seiten der Republik bezog, nun auf 220 Dukaten belief.
Um so tiefer und schwerer war der Sturz, der ihn ereilte.

Im Jahre 1545 wurden die Rüstbogen errichtet, um die gewölbten Decken
der Hallen aufzumauern. Sansovino hatte bei der Restauration der Kuppeln
der Markuskirche bereits ausreichende Erfahrungen gesammelt und, wie er
damals die Risse dadurch beseitigte, daß er die Kuppeln mit eisernen Reifen
umspannte, so brachte er auch jetzt in Zwischenräumen von fünf Fuß eiserne
Ketten an, die von einer Mauer zur andern hinübergezogen wurden, um die
Trag- und Widerstandsfähigkeit der Seitenmauern zu vermehren. Der Bau
der Decke nahm längere Zeit in Anspruch, als Sansovino erwartet hatte. Der
Frost kam dazwischen, aber der Meister, begierig, sein Werk zu vollenden, ließ
nichtsdestoweniger weiterarbeiten, und um die Mitte des Dezember war die
Decke vollendet.

Da, am 18. Dezember, einem Freitage, in der Nacht um ein Uhr, erfolgte
die Katastrophe. Wie Sansovino die Sache später darstellte, hatten die Maurer
"och an demselben Tage die Stützbalken weggenommen, als die letzte Hand an's
Werk gelegt worden war. Ein Theil des Gebäudes, und zwar die Seite nach
dem Glockenthurm zu, stürzte ein. Wie gewöhnlich bei solchen Anlässen, über-


Grenzbowi II. 187S, 60

Ecke richtig die halbe Metope zeigte. Er hatte seinen Zweck einfach dadurch
erreicht, daß er den Fries etwas verlängerte und den Eckpilaster gegenüber dem
Glockenthurm etwas verbreiterte. So wurde die eingebildete Schwierigkeit
beseitigt.

Sein Sohn Francesco, der Verfasser der ersten ausführlichen Beschreibung
Venedig's, handelte natürlich ganz im Sinne seines Vaters, wenn er in seiner
VsnWiÄ Ässoritw die Affaire zu einer Haupt- und Staatsaktion aufbauschte,
obschon er sie in der Hauptsache, wie seine konfuse Beschreibung zeigt, gar nicht
verstand. Gleichwohl gab es schon damals Leute, welche den Humbug durch¬
schauten, und zu ihnen wird auch Sammicheli, der große Nebenbuhler Sanso¬
vino's, gehört haben. Ihre Meinung gibt unzweifelhaft Vincenzo Scamozzi,
der sich noch in den letzten Jahren Sansovino's der Unterweisung des Meisters
erfreut hatte, in seiner Icksa alsit' ^reditstwrÄ wieder, wenn er sagt, es hätte
gar keine Schwierigkeit vorgelegen; überdies sei Sansovino's Lösung keine
glückliche.

Der Meister stand jetzt auf der Höhe seines Ruhmes und seines Glückes,
getragen durch die Gunst des venetianischen Adels und gefeiert in ganz Italien
um des glänzenden Bauwerkes willen, das seiner baldigen Vollendung entgegen¬
sah. Aus seiner so geschickt in Szene gesetzten Reklame hatte er zugleich einen
klingenden Vortheil gezogen, indem ihm unter dem 19. April 1539 eine Gehalts¬
zulage von 40 Dukaten bewilligt wurde, sodaß sich das gesammte Einkommen,
welches er von Seiten der Republik bezog, nun auf 220 Dukaten belief.
Um so tiefer und schwerer war der Sturz, der ihn ereilte.

Im Jahre 1545 wurden die Rüstbogen errichtet, um die gewölbten Decken
der Hallen aufzumauern. Sansovino hatte bei der Restauration der Kuppeln
der Markuskirche bereits ausreichende Erfahrungen gesammelt und, wie er
damals die Risse dadurch beseitigte, daß er die Kuppeln mit eisernen Reifen
umspannte, so brachte er auch jetzt in Zwischenräumen von fünf Fuß eiserne
Ketten an, die von einer Mauer zur andern hinübergezogen wurden, um die
Trag- und Widerstandsfähigkeit der Seitenmauern zu vermehren. Der Bau
der Decke nahm längere Zeit in Anspruch, als Sansovino erwartet hatte. Der
Frost kam dazwischen, aber der Meister, begierig, sein Werk zu vollenden, ließ
nichtsdestoweniger weiterarbeiten, und um die Mitte des Dezember war die
Decke vollendet.

Da, am 18. Dezember, einem Freitage, in der Nacht um ein Uhr, erfolgte
die Katastrophe. Wie Sansovino die Sache später darstellte, hatten die Maurer
«och an demselben Tage die Stützbalken weggenommen, als die letzte Hand an's
Werk gelegt worden war. Ein Theil des Gebäudes, und zwar die Seite nach
dem Glockenthurm zu, stürzte ein. Wie gewöhnlich bei solchen Anlässen, über-


Grenzbowi II. 187S, 60
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[0473] Ecke richtig die halbe Metope zeigte. Er hatte seinen Zweck einfach dadurch erreicht, daß er den Fries etwas verlängerte und den Eckpilaster gegenüber dem Glockenthurm etwas verbreiterte. So wurde die eingebildete Schwierigkeit beseitigt. Sein Sohn Francesco, der Verfasser der ersten ausführlichen Beschreibung Venedig's, handelte natürlich ganz im Sinne seines Vaters, wenn er in seiner VsnWiÄ Ässoritw die Affaire zu einer Haupt- und Staatsaktion aufbauschte, obschon er sie in der Hauptsache, wie seine konfuse Beschreibung zeigt, gar nicht verstand. Gleichwohl gab es schon damals Leute, welche den Humbug durch¬ schauten, und zu ihnen wird auch Sammicheli, der große Nebenbuhler Sanso¬ vino's, gehört haben. Ihre Meinung gibt unzweifelhaft Vincenzo Scamozzi, der sich noch in den letzten Jahren Sansovino's der Unterweisung des Meisters erfreut hatte, in seiner Icksa alsit' ^reditstwrÄ wieder, wenn er sagt, es hätte gar keine Schwierigkeit vorgelegen; überdies sei Sansovino's Lösung keine glückliche. Der Meister stand jetzt auf der Höhe seines Ruhmes und seines Glückes, getragen durch die Gunst des venetianischen Adels und gefeiert in ganz Italien um des glänzenden Bauwerkes willen, das seiner baldigen Vollendung entgegen¬ sah. Aus seiner so geschickt in Szene gesetzten Reklame hatte er zugleich einen klingenden Vortheil gezogen, indem ihm unter dem 19. April 1539 eine Gehalts¬ zulage von 40 Dukaten bewilligt wurde, sodaß sich das gesammte Einkommen, welches er von Seiten der Republik bezog, nun auf 220 Dukaten belief. Um so tiefer und schwerer war der Sturz, der ihn ereilte. Im Jahre 1545 wurden die Rüstbogen errichtet, um die gewölbten Decken der Hallen aufzumauern. Sansovino hatte bei der Restauration der Kuppeln der Markuskirche bereits ausreichende Erfahrungen gesammelt und, wie er damals die Risse dadurch beseitigte, daß er die Kuppeln mit eisernen Reifen umspannte, so brachte er auch jetzt in Zwischenräumen von fünf Fuß eiserne Ketten an, die von einer Mauer zur andern hinübergezogen wurden, um die Trag- und Widerstandsfähigkeit der Seitenmauern zu vermehren. Der Bau der Decke nahm längere Zeit in Anspruch, als Sansovino erwartet hatte. Der Frost kam dazwischen, aber der Meister, begierig, sein Werk zu vollenden, ließ nichtsdestoweniger weiterarbeiten, und um die Mitte des Dezember war die Decke vollendet. Da, am 18. Dezember, einem Freitage, in der Nacht um ein Uhr, erfolgte die Katastrophe. Wie Sansovino die Sache später darstellte, hatten die Maurer «och an demselben Tage die Stützbalken weggenommen, als die letzte Hand an's Werk gelegt worden war. Ein Theil des Gebäudes, und zwar die Seite nach dem Glockenthurm zu, stürzte ein. Wie gewöhnlich bei solchen Anlässen, über- Grenzbowi II. 187S, 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/473>, abgerufen am 20.10.2024.