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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Heloten hervorgerufen sei. Um diese zu hindern, will Platon der Kriegerkaste,
deren Erziehung und Lebensweise er übrigens nach dorischem Muster einrichtet,
jeden Antheil an der Regierung entziehen, svdciß sogar ihre eigenen Befehls--
Haber nicht ans ihr selbst genommen werden. Diese Abneigung gegen eine
Soldatenherrschaft ist nicht auffällig, wenn man bedenkt, daß gerade damals
das spartanische Säbelregiment sich erdrückend fühlbar machte und spartanische
Herrschsucht und Geldgier Unruhen über Unruhen schufen.

Noch schärfer mußte der Philosoph die auf Geld gegründete Oligarchie,
unter der er eine Census-Verfassung wie die solonische verstand, verwerfen.
Daß die Höhe des Besitzes über den Antheil an der Staatsleitung entscheide,
erklärt er für ebenso widersinnig, als wenn man die Schiffs - Steuerleute nach
dem Vermögen statt nach der Sachkunde auswählen wollte. Andere Mängel
der Oligarchie sind ihm die unvermeidlich wachsende Willkür und der Verfall
der bürgerlichen Zucht, sowie der Zwiespalt zwischen den Armen und Reichen,
der sich schon vor Alters in Megara, Korinth, Sikyon und neuerdings auch in
Sparta entwickelt hatte. "Es ist," sagt er, "ein oligarchischer Staat nicht einer,
sondern zwei. Den einen bilden die Armen, den andern die Reichen, welche
beide zusammenwohnen, aber immer sich gegenseitig auflauern." In Sparta,
Theben und anderwärts zeigten sich die verhängnisvollen Resultate der oligar-
chischen Mißstände, denen die demokratischen Parteien mit Gewalt entgegenzu¬
treten suchten. Aristoteles versuchte dadurch zu helfen, daß er neben einer
guten Erziehung und verständigen Haltung der Oligarchen auch fordert, daß
die staatlichen Geldleistungen überwiegend von ihnen getragen werden, damit
das Volk auf ihnen nicht blos Ehren und Vortheile, sondern auch Lasten ruhen
sehe. Platon geht zu demselben Zwecke noch weiter; er will die Stellung
seiner Oligarchenkaste in den Angen der Menge durchaus nicht mehr als einen
Vorzug, sondern als eine schwere Last erscheinen lassen. Sie sollen keinen
Besitz haben, nur das zum Leben nöthige geliefert bekommen, bei Lebzeiten
keine anderen Ehren genießen, als die, welche ihre Aemter mit sich bringen,
und sollen in der Erfüllung ihrer Obliegenheiten eine schwere Pflicht sehen,
von der sie gern wieder zu stiller philosophischer Beschäftigung zurückkehren.

Wie wenig Platon trotz feiner sozialistischen Neigungen daran denkt, seinem
Staate einen demokratischen Charakter zu geben, zeigt die bittere Ironie, mit
welcher er der geltenden Demokratie Erwähnung thut, unverkennbar im Hin¬
blick auf seine Vaterstadt Athen. Er nennt sie "eine anmuthige, regierungs¬
lose, buntscheckige Verfassung", "die alle Arten von Verfassungen in sich schließt"
und, über gute Sitte, Erziehung und Lebensweise "großmüthig hinweggehend,
nicht danach fragt, von welcherlei Bestrebungen und Geschäften einer herkomme,
der an die Staatsgeschäfte geht, sondern ihn schon in Ehren hält, wenn er nur


Heloten hervorgerufen sei. Um diese zu hindern, will Platon der Kriegerkaste,
deren Erziehung und Lebensweise er übrigens nach dorischem Muster einrichtet,
jeden Antheil an der Regierung entziehen, svdciß sogar ihre eigenen Befehls--
Haber nicht ans ihr selbst genommen werden. Diese Abneigung gegen eine
Soldatenherrschaft ist nicht auffällig, wenn man bedenkt, daß gerade damals
das spartanische Säbelregiment sich erdrückend fühlbar machte und spartanische
Herrschsucht und Geldgier Unruhen über Unruhen schufen.

Noch schärfer mußte der Philosoph die auf Geld gegründete Oligarchie,
unter der er eine Census-Verfassung wie die solonische verstand, verwerfen.
Daß die Höhe des Besitzes über den Antheil an der Staatsleitung entscheide,
erklärt er für ebenso widersinnig, als wenn man die Schiffs - Steuerleute nach
dem Vermögen statt nach der Sachkunde auswählen wollte. Andere Mängel
der Oligarchie sind ihm die unvermeidlich wachsende Willkür und der Verfall
der bürgerlichen Zucht, sowie der Zwiespalt zwischen den Armen und Reichen,
der sich schon vor Alters in Megara, Korinth, Sikyon und neuerdings auch in
Sparta entwickelt hatte. „Es ist," sagt er, „ein oligarchischer Staat nicht einer,
sondern zwei. Den einen bilden die Armen, den andern die Reichen, welche
beide zusammenwohnen, aber immer sich gegenseitig auflauern." In Sparta,
Theben und anderwärts zeigten sich die verhängnisvollen Resultate der oligar-
chischen Mißstände, denen die demokratischen Parteien mit Gewalt entgegenzu¬
treten suchten. Aristoteles versuchte dadurch zu helfen, daß er neben einer
guten Erziehung und verständigen Haltung der Oligarchen auch fordert, daß
die staatlichen Geldleistungen überwiegend von ihnen getragen werden, damit
das Volk auf ihnen nicht blos Ehren und Vortheile, sondern auch Lasten ruhen
sehe. Platon geht zu demselben Zwecke noch weiter; er will die Stellung
seiner Oligarchenkaste in den Angen der Menge durchaus nicht mehr als einen
Vorzug, sondern als eine schwere Last erscheinen lassen. Sie sollen keinen
Besitz haben, nur das zum Leben nöthige geliefert bekommen, bei Lebzeiten
keine anderen Ehren genießen, als die, welche ihre Aemter mit sich bringen,
und sollen in der Erfüllung ihrer Obliegenheiten eine schwere Pflicht sehen,
von der sie gern wieder zu stiller philosophischer Beschäftigung zurückkehren.

Wie wenig Platon trotz feiner sozialistischen Neigungen daran denkt, seinem
Staate einen demokratischen Charakter zu geben, zeigt die bittere Ironie, mit
welcher er der geltenden Demokratie Erwähnung thut, unverkennbar im Hin¬
blick auf seine Vaterstadt Athen. Er nennt sie „eine anmuthige, regierungs¬
lose, buntscheckige Verfassung", „die alle Arten von Verfassungen in sich schließt"
und, über gute Sitte, Erziehung und Lebensweise „großmüthig hinweggehend,
nicht danach fragt, von welcherlei Bestrebungen und Geschäften einer herkomme,
der an die Staatsgeschäfte geht, sondern ihn schon in Ehren hält, wenn er nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/463>, abgerufen am 20.10.2024.