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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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von denen sich vom 20. Jahre an in Sparta kein Mann, selbst die Könige
nicht, ausschließen durfte. Der Zweck war, die Bürger möglichst der Familie
zu entziehen und sie zu gewöhnen, "gleich den Bienen eng miteinander ver¬
bunden" sich nur als Glieder der Gesammtheit zu fühlen. Bei Platon mußte
dieser Zweck noch viel schärfer hervortreten; bei ihm existirte die Familie gar
nicht, und der Staat war Alles. Daher begnügte er sich nicht mit der Ge¬
meinsamkeit der Mahlzeiten, zu deuen in Sparta Jeder vom Eigenen seinen
Beitrag lieferte, sondern er hob alles Eigenthum auf und setzte der Weiber-
und Kindergemeinschaft die vollkommene Gütergemeinschaft an die Seite.

Der Kommunismus in dieser Ausdehnung war ein Zustand, den die
Griechen nur aus den Erzühluugen des Herodot und Theopomp von barbari¬
schen Völkern, den Galaktophagen, Agathyrsen, Tyrrhenern kannten. Alles,
was die älteren hellenischen Verfassungen gegen die Ausdehnung des Privat¬
besitzes zu Ungunsten der allgemeinen Interessen gethan hatten, beschränkte sich
auf einige Maßregeln für möglichst gleichmäßige Vertheiluug der Grundstücke,
die aber zu Platon's Zeit in keinem Staate mehr vorhanden war. Als Ursache
der Depravation, welcher alle Staaten verfallen waren, sah er ausschließlich
den Eigennutz und die Habsucht an, welche das, was Allen gehören sollte und
ursprünglich Allen gehört hatte, in die Hände einer Minderzahl gebracht hatten.
Das einzige Mittel zur Beseitigung der Selbstsucht, des größten Feindes der
gemeinsamen Interessen, sah er in der Aufhebung jedes persönlichen Eigen¬
thums unter den Kriegern. Er will, daß unter diefen "keiner irgend eigenes
Vermögen besitze, soweit es nicht durchaus nothwendig ist; ferner daß keiner
irgend solche Wohnung oder Vorrathskammer habe, in die nicht jeder, der da
will, gehen könnte; die Bedürfnisse aber, welche besonnene und tapfere Krieger
nöthig haben, sollen sie in geordneter Weise von den andern Bürgern als Lohn
für ihren Schutz in solchem Maße empfangen, daß sie weder mehr haben als
auf ein Jahr, noch auch Mangel leiden, indem sie, zu gemeinsamen Speisungen
gehend, wie im Felde zusammenleben." In Sparta brachte, wie gesagt, Jeder
einen Beitrag zum gemeinsamen Mahle. In Kreta wurden die Kosten desselben
direkt aus der Staatskasse bestritten. Außerdem finden wir eine ähnliche
Institution nur noch in Argos, und zwar war sie hier eigenthümlicher Weise
erst während des peloponnesischen Krieges mit der Stärkung der Demokratie
eingeführt worden. Es wurden 1000 auserlesene Männer aus angesehenen
Familien zu einer Kerntruppe vereinigt, die sich ausschließlich dem Waffendienste
widmete und auf öffentliche Kosten unterhalten wurde, eine Neuerung, die
augenscheinlich aus dem Bestreben hervorging, den Spartanern ebenbürtige
Krieger aufzustellen.

Der Gedanke an Gemeinsamkeit des Besitzes lag den Griechen nicht so


von denen sich vom 20. Jahre an in Sparta kein Mann, selbst die Könige
nicht, ausschließen durfte. Der Zweck war, die Bürger möglichst der Familie
zu entziehen und sie zu gewöhnen, „gleich den Bienen eng miteinander ver¬
bunden" sich nur als Glieder der Gesammtheit zu fühlen. Bei Platon mußte
dieser Zweck noch viel schärfer hervortreten; bei ihm existirte die Familie gar
nicht, und der Staat war Alles. Daher begnügte er sich nicht mit der Ge¬
meinsamkeit der Mahlzeiten, zu deuen in Sparta Jeder vom Eigenen seinen
Beitrag lieferte, sondern er hob alles Eigenthum auf und setzte der Weiber-
und Kindergemeinschaft die vollkommene Gütergemeinschaft an die Seite.

Der Kommunismus in dieser Ausdehnung war ein Zustand, den die
Griechen nur aus den Erzühluugen des Herodot und Theopomp von barbari¬
schen Völkern, den Galaktophagen, Agathyrsen, Tyrrhenern kannten. Alles,
was die älteren hellenischen Verfassungen gegen die Ausdehnung des Privat¬
besitzes zu Ungunsten der allgemeinen Interessen gethan hatten, beschränkte sich
auf einige Maßregeln für möglichst gleichmäßige Vertheiluug der Grundstücke,
die aber zu Platon's Zeit in keinem Staate mehr vorhanden war. Als Ursache
der Depravation, welcher alle Staaten verfallen waren, sah er ausschließlich
den Eigennutz und die Habsucht an, welche das, was Allen gehören sollte und
ursprünglich Allen gehört hatte, in die Hände einer Minderzahl gebracht hatten.
Das einzige Mittel zur Beseitigung der Selbstsucht, des größten Feindes der
gemeinsamen Interessen, sah er in der Aufhebung jedes persönlichen Eigen¬
thums unter den Kriegern. Er will, daß unter diefen „keiner irgend eigenes
Vermögen besitze, soweit es nicht durchaus nothwendig ist; ferner daß keiner
irgend solche Wohnung oder Vorrathskammer habe, in die nicht jeder, der da
will, gehen könnte; die Bedürfnisse aber, welche besonnene und tapfere Krieger
nöthig haben, sollen sie in geordneter Weise von den andern Bürgern als Lohn
für ihren Schutz in solchem Maße empfangen, daß sie weder mehr haben als
auf ein Jahr, noch auch Mangel leiden, indem sie, zu gemeinsamen Speisungen
gehend, wie im Felde zusammenleben." In Sparta brachte, wie gesagt, Jeder
einen Beitrag zum gemeinsamen Mahle. In Kreta wurden die Kosten desselben
direkt aus der Staatskasse bestritten. Außerdem finden wir eine ähnliche
Institution nur noch in Argos, und zwar war sie hier eigenthümlicher Weise
erst während des peloponnesischen Krieges mit der Stärkung der Demokratie
eingeführt worden. Es wurden 1000 auserlesene Männer aus angesehenen
Familien zu einer Kerntruppe vereinigt, die sich ausschließlich dem Waffendienste
widmete und auf öffentliche Kosten unterhalten wurde, eine Neuerung, die
augenscheinlich aus dem Bestreben hervorging, den Spartanern ebenbürtige
Krieger aufzustellen.

Der Gedanke an Gemeinsamkeit des Besitzes lag den Griechen nicht so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/458>, abgerufen am 20.10.2024.