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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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selber unter einem Haufen von Rechnungen zu wühlen und mit Hilfe eines
Schreibers, dem er die betreffenden Ziffern diktirte, lange Auszüge daraus zu
machen. Ob diefes Bemühen zu irgend einem praktischen Resultate geführt
hat, muß dahingestellt bleiben. Immerhin erscheint es als verdienstlich, und
es ist selbst wahrscheinlich, daß die von höchster Stelle aus angestrebte Kon-
trole dem Umsichgreifen der Korruption in einzelnen Fällen gesteuert hat.

Beim Weggehen geleitete man uns über die vom Hauptkorridor zur Halle
am Portale führende breite Paradetreppe. Der Eindruck, den dieser Aufgang
macht, ist ein höchst stattlicher. Gleichwohl überrascht es, daß auch diese
Hauptfront des Jildis-Kiosk zum Garten oder Park in keiner unmittelbaren
Beziehung steht. Wie sind doch, im Vergleich mit diesem mangelhaften Arran¬
gement der Residenz des Beherrschers der Gläubigen, manche Villen und Jalis
seiner Großen ungleich geschmackvoller angelegt! Denn der Leser glaube ja
nicht, daß man sich hier nicht darauf verstehe, eine Sommer-Residenz so zu
gestalten, daß Natur und Kunst, Vegetation und Architektur zu einem einheit¬
lichen und engverbundenen, auch einen höheren Geschmack befriedigenden und
den Anforderungen eines feineren Komforts entsprechenden Ganzen sich ver¬
binden. Im Gegentheil, auf beiden Ufern des Bosporus ist bei türkischen
Landhäusern in dieser Hinsicht, und zwar oft mit geringen Mitteln, sehr Er¬
hebliches geleistet worden. Ich erwähne nur das einfache Jati, in welchem
Mahmud Dmnad Pascha, der Schwager des jetzt regierenden Sultans, vor
dessen Thronbesteigung im Sommer zu wohnen pflegte. Hier sind Haus und
Garten so zu sagen verschmolzen.' Mit weiten, gläsüberdeckten Hallen öffnet
der Hauptbau sich nach derjenigen Seite hin, auf welcher der Park gelegen
ist, und im Frühjahr reichen die nächststehenden Bäume des letzteren mit ihren
blühenden Zweigen in die Hallen hinein.

Der Sultan wird im Jildis-Kiosk verbleiben. Veränderungslust in seinen
häuslichen Arrangements ist ihm nicht eigen. Er wird seine Regierung von
hier aus weiterführen und schließlich auch einmal hier enden. Nur äußerst
selten verläßt er die Residenz; Auffahrten macht er nie, und um seinen reli¬
giösen Pflichten an den Freitagen zu genügen, wählt er die am nächsten
gelegenen Moscheen aus. Dagegen macht er lange Promenaden im Park.
Kürzlich hatte er den persischen Botschafter Mohsin Khan zu sich in den
Jildis-Kiosk eingeladen. Man sah beide Seite an Seite wohl zwei Stunden
lang in den Baumgängen auf und niedergehen. Um was es sich handelte,
wer mag es wissen? Sicherlich nicht um die muselmanische Ligue, von der
Lord Beaconssield träumte.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthel <K Herrmann in Leipzig.

selber unter einem Haufen von Rechnungen zu wühlen und mit Hilfe eines
Schreibers, dem er die betreffenden Ziffern diktirte, lange Auszüge daraus zu
machen. Ob diefes Bemühen zu irgend einem praktischen Resultate geführt
hat, muß dahingestellt bleiben. Immerhin erscheint es als verdienstlich, und
es ist selbst wahrscheinlich, daß die von höchster Stelle aus angestrebte Kon-
trole dem Umsichgreifen der Korruption in einzelnen Fällen gesteuert hat.

Beim Weggehen geleitete man uns über die vom Hauptkorridor zur Halle
am Portale führende breite Paradetreppe. Der Eindruck, den dieser Aufgang
macht, ist ein höchst stattlicher. Gleichwohl überrascht es, daß auch diese
Hauptfront des Jildis-Kiosk zum Garten oder Park in keiner unmittelbaren
Beziehung steht. Wie sind doch, im Vergleich mit diesem mangelhaften Arran¬
gement der Residenz des Beherrschers der Gläubigen, manche Villen und Jalis
seiner Großen ungleich geschmackvoller angelegt! Denn der Leser glaube ja
nicht, daß man sich hier nicht darauf verstehe, eine Sommer-Residenz so zu
gestalten, daß Natur und Kunst, Vegetation und Architektur zu einem einheit¬
lichen und engverbundenen, auch einen höheren Geschmack befriedigenden und
den Anforderungen eines feineren Komforts entsprechenden Ganzen sich ver¬
binden. Im Gegentheil, auf beiden Ufern des Bosporus ist bei türkischen
Landhäusern in dieser Hinsicht, und zwar oft mit geringen Mitteln, sehr Er¬
hebliches geleistet worden. Ich erwähne nur das einfache Jati, in welchem
Mahmud Dmnad Pascha, der Schwager des jetzt regierenden Sultans, vor
dessen Thronbesteigung im Sommer zu wohnen pflegte. Hier sind Haus und
Garten so zu sagen verschmolzen.' Mit weiten, gläsüberdeckten Hallen öffnet
der Hauptbau sich nach derjenigen Seite hin, auf welcher der Park gelegen
ist, und im Frühjahr reichen die nächststehenden Bäume des letzteren mit ihren
blühenden Zweigen in die Hallen hinein.

Der Sultan wird im Jildis-Kiosk verbleiben. Veränderungslust in seinen
häuslichen Arrangements ist ihm nicht eigen. Er wird seine Regierung von
hier aus weiterführen und schließlich auch einmal hier enden. Nur äußerst
selten verläßt er die Residenz; Auffahrten macht er nie, und um seinen reli¬
giösen Pflichten an den Freitagen zu genügen, wählt er die am nächsten
gelegenen Moscheen aus. Dagegen macht er lange Promenaden im Park.
Kürzlich hatte er den persischen Botschafter Mohsin Khan zu sich in den
Jildis-Kiosk eingeladen. Man sah beide Seite an Seite wohl zwei Stunden
lang in den Baumgängen auf und niedergehen. Um was es sich handelte,
wer mag es wissen? Sicherlich nicht um die muselmanische Ligue, von der
Lord Beaconssield träumte.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel <K Herrmann in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/448>, abgerufen am 27.09.2024.