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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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gezüchtigt werden, und empfinden daher den Schmerz als Wohlthat. Die Wirk¬
samkeit dieser Bußen wird unterstützt durch Zeichnungen in der Felswand oder
auf dem Boden, durch Zurufe, durch unwillkürlich auftauchende Phantasiegebilde,
die bald von der abzubüßenden Sünde zu lassen, bald der ihr gegenüberstehenden
Tugend sich zuzuwenden mahnen. Es ist daher hier nicht allein, ja überhaupt
nicht in erster Linie darauf abgesehen, böse Thaten durch gerechte Strafen zu
sühnen, als vielmehr böse Neigungen zu überwinden, die Gesinnung zu läutern.
Welche Sünde führt nun aber in die Hölle, und von welcher Sünde kann das
Fegefeuer reinigen? Darüber entscheidet nicht die objektive Erscheinung der
Sünde, sondern die subjektive Beziehung des Sünders zu ihr. Der unbu߬
fertige Sünder ist der Hölle verfallen, für den reuigen Sünder ist die Reini¬
gungsstätte des Purgatoriums geöffnet.

Wir stehen am Schlüsse unserer Berichterstattung. Nicht als ob außer
den genannten Aufsätzen nicht auch noch mancher andere für einen größeren
Leserkreis anziehend sein könnte. Namentlich gern würden wir noch zwei weitere
Abhandlungen: "Dante's Weltgebäude" und "Die Thierwelt in der göttlichen
Komödie" in den Kreis unserer Besprechung gezogen haben, wenn es dazu nicht
eingehenderer Erörterungen bedürfte.
'

Wir scheiden von Wittes Dante-Forschungen mit aufrichtigem Dank für
die reiche Belehrung, die sie uns gewährt, zugleich mit Dank für den künst¬
lerischen Genuß, den die beigefügten Stiche Julius Thüter's, Dante's Bildnisse
nach Giotto und nach Masaccio (?), uns bereitet haben. Willkommen ist auch
der im zweiten Bande gegebene Plan von Florenz gegen Ende des 13. Jahr¬
hunderts.




Lin Aesuch im Mdis-KiosK.

Der in den letzten Jahren vielgenannte Jildis-Kiosk oder Stern-Pavillon,
die Residenz des jetzt regierenden Sultans Abd ni Herald, gehört nicht zu den
in neuerer Zeit entstand'euer großen, im modernen Stile und aus kostbarem
Steinmaterial aufgeführte" Palästen, die, hart am Ufer der Meerenge gelegen,
ihre glänzenden marmornen Fciyaden in den Fluthen des Bosporus spiegeln.
Alle jene Bauten, das Palais von Dolma Bagdsche, das von Tschiraghan und
von Beylerbey, mit ihren weit am Gestade sich hinziehenden Dependenzen, auch
verschiedene Jalis oder Uferhäuser im oberen Bereich der Seestraße, sie stehen
heute einsam da, ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen und halb verlassen.

Im Tschiraghan-Palais wird zwar noch einer der Nebenflügel nach wie
vor vom Exsultan Murad bewohnt. Allein der unglückliche Fürst befindet
sich dort unter strenger Bewachung, und Schildwachen stehen vor allen Aus¬
gängen, nicht als Ehrenposten, sondern um den Eintritt zu wehren, der nur
der Dienerschaft und wenigen anderen Personen gestattet ist. Auf diesem mit
unermeßlichen Kosten auf einem ungünstigen Bangrunde in der mittleren Periode
der Regierungszeit des Sultan Abd ni Assis errichteten Residenzschlosse liegt
noch der Schatten des traurigen und nicht ganz aufgeklärten Ereignisses vom
20. Mai vergangenen Jahres, des wahnwitzigen Versuchs Ali Suavi Effendi's,


gezüchtigt werden, und empfinden daher den Schmerz als Wohlthat. Die Wirk¬
samkeit dieser Bußen wird unterstützt durch Zeichnungen in der Felswand oder
auf dem Boden, durch Zurufe, durch unwillkürlich auftauchende Phantasiegebilde,
die bald von der abzubüßenden Sünde zu lassen, bald der ihr gegenüberstehenden
Tugend sich zuzuwenden mahnen. Es ist daher hier nicht allein, ja überhaupt
nicht in erster Linie darauf abgesehen, böse Thaten durch gerechte Strafen zu
sühnen, als vielmehr böse Neigungen zu überwinden, die Gesinnung zu läutern.
Welche Sünde führt nun aber in die Hölle, und von welcher Sünde kann das
Fegefeuer reinigen? Darüber entscheidet nicht die objektive Erscheinung der
Sünde, sondern die subjektive Beziehung des Sünders zu ihr. Der unbu߬
fertige Sünder ist der Hölle verfallen, für den reuigen Sünder ist die Reini¬
gungsstätte des Purgatoriums geöffnet.

Wir stehen am Schlüsse unserer Berichterstattung. Nicht als ob außer
den genannten Aufsätzen nicht auch noch mancher andere für einen größeren
Leserkreis anziehend sein könnte. Namentlich gern würden wir noch zwei weitere
Abhandlungen: „Dante's Weltgebäude" und „Die Thierwelt in der göttlichen
Komödie" in den Kreis unserer Besprechung gezogen haben, wenn es dazu nicht
eingehenderer Erörterungen bedürfte.
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Wir scheiden von Wittes Dante-Forschungen mit aufrichtigem Dank für
die reiche Belehrung, die sie uns gewährt, zugleich mit Dank für den künst¬
lerischen Genuß, den die beigefügten Stiche Julius Thüter's, Dante's Bildnisse
nach Giotto und nach Masaccio (?), uns bereitet haben. Willkommen ist auch
der im zweiten Bande gegebene Plan von Florenz gegen Ende des 13. Jahr¬
hunderts.




Lin Aesuch im Mdis-KiosK.

Der in den letzten Jahren vielgenannte Jildis-Kiosk oder Stern-Pavillon,
die Residenz des jetzt regierenden Sultans Abd ni Herald, gehört nicht zu den
in neuerer Zeit entstand'euer großen, im modernen Stile und aus kostbarem
Steinmaterial aufgeführte» Palästen, die, hart am Ufer der Meerenge gelegen,
ihre glänzenden marmornen Fciyaden in den Fluthen des Bosporus spiegeln.
Alle jene Bauten, das Palais von Dolma Bagdsche, das von Tschiraghan und
von Beylerbey, mit ihren weit am Gestade sich hinziehenden Dependenzen, auch
verschiedene Jalis oder Uferhäuser im oberen Bereich der Seestraße, sie stehen
heute einsam da, ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen und halb verlassen.

Im Tschiraghan-Palais wird zwar noch einer der Nebenflügel nach wie
vor vom Exsultan Murad bewohnt. Allein der unglückliche Fürst befindet
sich dort unter strenger Bewachung, und Schildwachen stehen vor allen Aus¬
gängen, nicht als Ehrenposten, sondern um den Eintritt zu wehren, der nur
der Dienerschaft und wenigen anderen Personen gestattet ist. Auf diesem mit
unermeßlichen Kosten auf einem ungünstigen Bangrunde in der mittleren Periode
der Regierungszeit des Sultan Abd ni Assis errichteten Residenzschlosse liegt
noch der Schatten des traurigen und nicht ganz aufgeklärten Ereignisses vom
20. Mai vergangenen Jahres, des wahnwitzigen Versuchs Ali Suavi Effendi's,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/443>, abgerufen am 27.12.2024.