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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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eine ausgedehnte staatliche Pflege der Gymnastik, ans der Anschauung beruhend,
daß die leibliche Vollkommenheit und harmonische Ausbildung ebenso noth¬
wendig sei als die geistige.

Der gymnastischen Erziehung wurde bei den Doriern auch das weibliche
Geschlecht unterworfen. In Sparta und vermuthlich auch in Kreta ordnete
das Gesetz für die Mädchen körperliche Uebungen an. Sie wurden auf öffent¬
lichen Uebungsplätzen im Laufen, Springen und Speerwerfen geübt, trugen
dabei eine sehr leichte und unvollkommene Bekleidung und wurden dadurch so
sehr der Prüderie entwöhnt oder vielmehr vor ihr geschützt, daß sie unbedenklich
den Uebungen und Wettkämpfen der unbekleideten Jünglinge zuschauen konnten.
Die lakedämonischen Mädchen und Frauen litten dabei an ihrer Sittlichkeit
keinen Schaden; wohl aber wurden sie die schönsten und kräftigsten von allen
Helleninnen und find als solche auch von denjenigen Landsleuten, die nicht
dem gleichen Erziehungsprinzip huldigten, willig anerkannt worden. Daß der
spartanische Staat den Frauen als den Müttern der kommenden Bürgergene¬
ration besondere Aufmerksamkeit zuwendete und Pflichten auferlegte, ist schon
berührt worden. Doch ist keine Gesetzgebung darin nur annähernd so weit
gegangen als der Entwurf Platon's, der wegen der frappanten sozialistischen
Anklänge hier eine etwas ausführlichere Betrachtung verdient.

Platon sieht in den Weibern nicht blos die Mütter und ersten Ernährer
und Erzieher der zukünftigen Staatsbürger, sondern auch vollberechtigte Bürger,
die deshalb auf dieselbe Art der Ausbildung wie die Männer Anspruch haben.
Daher trägt er kein Bedenken, das weibliche Geschlecht in einem Maße, welches
nach seinem eigenen Geständniß anfangs lächerlich erscheinen muß, also jeden¬
falls weit über die hellenische Sitte hinausging, zu männlicher Thätigkeit her¬
anzuziehen. Sie sollen entblößt auf den Uebungsplätzen erscheinen und alle
gymnastischen Exerzitien durchmachen, sollen den Waffendienst leisten zu Fuß
und zu Roß und sollen gemeinsame Mahle und Wohnungen ungetrennt von
den Männern haben. Es war die "Emanzipation" des weiblichen Geschlechts
in einer Ausdehnung, wie sie von keinem Zweiten ernstlich gefordert worden
ist. Mit der griechischen Sitte stand sie in solchem Widerspruch, daß der Philo¬
soph sich bewogen fühlte, sie eingehender als seine übrigen Forderungen durch
psychologische und politische Gründe zu rechtfertigen.

Thatsache ist, daß der griechische Staat bis auf Platon nichts mit der
Frau anzufangen wußte. AIs Individuum paßte sie in kein Staatswesen recht
hinein, und an die Familie als ein selbständiges, dem Staats-Organismus fest
eingefügtes Glied dachte man noch nicht. Im Gegentheil hatte der Staat die
Familie immer als eine Art Nebenbuhler, ihre Ansprüche als den seinigen
feindlich betrachtet und deshalb ihren Einfluß nur immer zu beschränken und


eine ausgedehnte staatliche Pflege der Gymnastik, ans der Anschauung beruhend,
daß die leibliche Vollkommenheit und harmonische Ausbildung ebenso noth¬
wendig sei als die geistige.

Der gymnastischen Erziehung wurde bei den Doriern auch das weibliche
Geschlecht unterworfen. In Sparta und vermuthlich auch in Kreta ordnete
das Gesetz für die Mädchen körperliche Uebungen an. Sie wurden auf öffent¬
lichen Uebungsplätzen im Laufen, Springen und Speerwerfen geübt, trugen
dabei eine sehr leichte und unvollkommene Bekleidung und wurden dadurch so
sehr der Prüderie entwöhnt oder vielmehr vor ihr geschützt, daß sie unbedenklich
den Uebungen und Wettkämpfen der unbekleideten Jünglinge zuschauen konnten.
Die lakedämonischen Mädchen und Frauen litten dabei an ihrer Sittlichkeit
keinen Schaden; wohl aber wurden sie die schönsten und kräftigsten von allen
Helleninnen und find als solche auch von denjenigen Landsleuten, die nicht
dem gleichen Erziehungsprinzip huldigten, willig anerkannt worden. Daß der
spartanische Staat den Frauen als den Müttern der kommenden Bürgergene¬
ration besondere Aufmerksamkeit zuwendete und Pflichten auferlegte, ist schon
berührt worden. Doch ist keine Gesetzgebung darin nur annähernd so weit
gegangen als der Entwurf Platon's, der wegen der frappanten sozialistischen
Anklänge hier eine etwas ausführlichere Betrachtung verdient.

Platon sieht in den Weibern nicht blos die Mütter und ersten Ernährer
und Erzieher der zukünftigen Staatsbürger, sondern auch vollberechtigte Bürger,
die deshalb auf dieselbe Art der Ausbildung wie die Männer Anspruch haben.
Daher trägt er kein Bedenken, das weibliche Geschlecht in einem Maße, welches
nach seinem eigenen Geständniß anfangs lächerlich erscheinen muß, also jeden¬
falls weit über die hellenische Sitte hinausging, zu männlicher Thätigkeit her¬
anzuziehen. Sie sollen entblößt auf den Uebungsplätzen erscheinen und alle
gymnastischen Exerzitien durchmachen, sollen den Waffendienst leisten zu Fuß
und zu Roß und sollen gemeinsame Mahle und Wohnungen ungetrennt von
den Männern haben. Es war die „Emanzipation" des weiblichen Geschlechts
in einer Ausdehnung, wie sie von keinem Zweiten ernstlich gefordert worden
ist. Mit der griechischen Sitte stand sie in solchem Widerspruch, daß der Philo¬
soph sich bewogen fühlte, sie eingehender als seine übrigen Forderungen durch
psychologische und politische Gründe zu rechtfertigen.

Thatsache ist, daß der griechische Staat bis auf Platon nichts mit der
Frau anzufangen wußte. AIs Individuum paßte sie in kein Staatswesen recht
hinein, und an die Familie als ein selbständiges, dem Staats-Organismus fest
eingefügtes Glied dachte man noch nicht. Im Gegentheil hatte der Staat die
Familie immer als eine Art Nebenbuhler, ihre Ansprüche als den seinigen
feindlich betrachtet und deshalb ihren Einfluß nur immer zu beschränken und


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[0436] eine ausgedehnte staatliche Pflege der Gymnastik, ans der Anschauung beruhend, daß die leibliche Vollkommenheit und harmonische Ausbildung ebenso noth¬ wendig sei als die geistige. Der gymnastischen Erziehung wurde bei den Doriern auch das weibliche Geschlecht unterworfen. In Sparta und vermuthlich auch in Kreta ordnete das Gesetz für die Mädchen körperliche Uebungen an. Sie wurden auf öffent¬ lichen Uebungsplätzen im Laufen, Springen und Speerwerfen geübt, trugen dabei eine sehr leichte und unvollkommene Bekleidung und wurden dadurch so sehr der Prüderie entwöhnt oder vielmehr vor ihr geschützt, daß sie unbedenklich den Uebungen und Wettkämpfen der unbekleideten Jünglinge zuschauen konnten. Die lakedämonischen Mädchen und Frauen litten dabei an ihrer Sittlichkeit keinen Schaden; wohl aber wurden sie die schönsten und kräftigsten von allen Helleninnen und find als solche auch von denjenigen Landsleuten, die nicht dem gleichen Erziehungsprinzip huldigten, willig anerkannt worden. Daß der spartanische Staat den Frauen als den Müttern der kommenden Bürgergene¬ ration besondere Aufmerksamkeit zuwendete und Pflichten auferlegte, ist schon berührt worden. Doch ist keine Gesetzgebung darin nur annähernd so weit gegangen als der Entwurf Platon's, der wegen der frappanten sozialistischen Anklänge hier eine etwas ausführlichere Betrachtung verdient. Platon sieht in den Weibern nicht blos die Mütter und ersten Ernährer und Erzieher der zukünftigen Staatsbürger, sondern auch vollberechtigte Bürger, die deshalb auf dieselbe Art der Ausbildung wie die Männer Anspruch haben. Daher trägt er kein Bedenken, das weibliche Geschlecht in einem Maße, welches nach seinem eigenen Geständniß anfangs lächerlich erscheinen muß, also jeden¬ falls weit über die hellenische Sitte hinausging, zu männlicher Thätigkeit her¬ anzuziehen. Sie sollen entblößt auf den Uebungsplätzen erscheinen und alle gymnastischen Exerzitien durchmachen, sollen den Waffendienst leisten zu Fuß und zu Roß und sollen gemeinsame Mahle und Wohnungen ungetrennt von den Männern haben. Es war die „Emanzipation" des weiblichen Geschlechts in einer Ausdehnung, wie sie von keinem Zweiten ernstlich gefordert worden ist. Mit der griechischen Sitte stand sie in solchem Widerspruch, daß der Philo¬ soph sich bewogen fühlte, sie eingehender als seine übrigen Forderungen durch psychologische und politische Gründe zu rechtfertigen. Thatsache ist, daß der griechische Staat bis auf Platon nichts mit der Frau anzufangen wußte. AIs Individuum paßte sie in kein Staatswesen recht hinein, und an die Familie als ein selbständiges, dem Staats-Organismus fest eingefügtes Glied dachte man noch nicht. Im Gegentheil hatte der Staat die Familie immer als eine Art Nebenbuhler, ihre Ansprüche als den seinigen feindlich betrachtet und deshalb ihren Einfluß nur immer zu beschränken und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/436>, abgerufen am 20.10.2024.