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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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In Lakedämon bekundet sich weiter das sozialistische Prinzip in der ganzen
Einrichtung der Jugenderziehung. Nur bis zum siebenten Jahre wurde der
Knabe dem elterlichen Hause und den weiblichen Händen überlassen, aber auch
dies nicht ohne daß der Staat ein Auge darauf hatte, daß die Erziehung eine
zweckmäßige sei. Mit dem siebenten Jahre aber wurde der Knabe dem Hause
entnommen und mit seinem Eintritt in eine der Knaben-Abtheilungen unter
die direkte Erziehung und Beaufsichtigung des Staates gestellt. Von den staat¬
lichen Oberen wurde ihm nun auf's genaueste seine Diät und Lebensweise
vorgeschrieben, seiue Spiele und Beschäftigungen geleitet, seine körperliche und
geistige Entwickelung dirigirt. Denn der Spartaner sollte nicht sich oder seiner
Familie, sondern dem Gemeinwesen angehören, und die Pflichten gegen dieses
waren die höchsten, welche er kannte. Daher auch das enge familienhafte Ver¬
hältniß nicht blos der Männer unter sich, sondern auch zwischen ihnen einer¬
seits und der Gesammtheit der Knaben andrerseits, welches die Annehmlichkeiten
der Familie in einer dem Interesse des Staates entsprechenden Weise ersetzen
sollte. In Sparta wie in Kreta wurden die Knaben zu den Männerwahlen
und -Versammlungen mitgenommen, und die Männer bethätigten großes Inter¬
esse an den Spielen und Uebungen jener. Jeder Erwachsene sollte von der
Jugend als ein Vater betrachtet und geehrt werden und hatte das Recht, zu
ernähren, zu tadeln und zu strafen. Bei Platon ist dieses Verhältniß, gestützt
auf die Weibergemeinschaft, in der absolutesten Weise durchgeführt. Die Kinder
dürfen ihre Eltern gar nicht kennen, und ebenso umgekehrt. Jeder Knabe soll
in allen Männern seine Väter, in allen Altersgenossen seine Brüder sehen und
sich des entsprechenden Benehmens befleißigen; auch sollen die Namen "Vater",
"Mutter," "Bruder," "Sohn" ohne Unterschied von Allen gebraucht werden.
In dem engen familienhaften Verkehr und dem vorbildlichen Verhältniß, das
die ganze männliche Bevölkerung verband, sah man in den dorischen Staaten
das beste Mittel, den Gemeinsinn lebendig zu erhalten und die Bürgertugenden
fortzupflanzen. Denselben Sinn haben auch -- wenigstens in der Zeit der
guten Zucht und Sitte -- die durchaus nicht auffälligen engen Freundschafts¬
bündnisse und zärtlichen Verhältnisse zwischen Personen desselben Geschlechtes
gehabt. Sie waren der Ausdruck reiner Freundschaft, bei den Joniern oft
verbunden mit Schönheits-Begeisterung, und nur selten und spät haben sie sich
der allbekannten häßlichen Ausschreitungen schuldig gemacht. Daß derartige
Ausschreitungen der Vernachlässigung des Familienlebens und dem einseitigen
staatlichen Männerkultus mit zur Last fallen, ist nicht zu leugnen.

Die dorische Knabenerziehung ging einzig darauf aus, gehorsame Bürger
und tüchtige Krieger heranzuziehen, und dies ist in Sparta durch die lykur¬
gische Gesetzgebung vollständig erreicht worden. Dagegen blieb die geistige


In Lakedämon bekundet sich weiter das sozialistische Prinzip in der ganzen
Einrichtung der Jugenderziehung. Nur bis zum siebenten Jahre wurde der
Knabe dem elterlichen Hause und den weiblichen Händen überlassen, aber auch
dies nicht ohne daß der Staat ein Auge darauf hatte, daß die Erziehung eine
zweckmäßige sei. Mit dem siebenten Jahre aber wurde der Knabe dem Hause
entnommen und mit seinem Eintritt in eine der Knaben-Abtheilungen unter
die direkte Erziehung und Beaufsichtigung des Staates gestellt. Von den staat¬
lichen Oberen wurde ihm nun auf's genaueste seine Diät und Lebensweise
vorgeschrieben, seiue Spiele und Beschäftigungen geleitet, seine körperliche und
geistige Entwickelung dirigirt. Denn der Spartaner sollte nicht sich oder seiner
Familie, sondern dem Gemeinwesen angehören, und die Pflichten gegen dieses
waren die höchsten, welche er kannte. Daher auch das enge familienhafte Ver¬
hältniß nicht blos der Männer unter sich, sondern auch zwischen ihnen einer¬
seits und der Gesammtheit der Knaben andrerseits, welches die Annehmlichkeiten
der Familie in einer dem Interesse des Staates entsprechenden Weise ersetzen
sollte. In Sparta wie in Kreta wurden die Knaben zu den Männerwahlen
und -Versammlungen mitgenommen, und die Männer bethätigten großes Inter¬
esse an den Spielen und Uebungen jener. Jeder Erwachsene sollte von der
Jugend als ein Vater betrachtet und geehrt werden und hatte das Recht, zu
ernähren, zu tadeln und zu strafen. Bei Platon ist dieses Verhältniß, gestützt
auf die Weibergemeinschaft, in der absolutesten Weise durchgeführt. Die Kinder
dürfen ihre Eltern gar nicht kennen, und ebenso umgekehrt. Jeder Knabe soll
in allen Männern seine Väter, in allen Altersgenossen seine Brüder sehen und
sich des entsprechenden Benehmens befleißigen; auch sollen die Namen „Vater",
„Mutter," „Bruder," „Sohn" ohne Unterschied von Allen gebraucht werden.
In dem engen familienhaften Verkehr und dem vorbildlichen Verhältniß, das
die ganze männliche Bevölkerung verband, sah man in den dorischen Staaten
das beste Mittel, den Gemeinsinn lebendig zu erhalten und die Bürgertugenden
fortzupflanzen. Denselben Sinn haben auch — wenigstens in der Zeit der
guten Zucht und Sitte — die durchaus nicht auffälligen engen Freundschafts¬
bündnisse und zärtlichen Verhältnisse zwischen Personen desselben Geschlechtes
gehabt. Sie waren der Ausdruck reiner Freundschaft, bei den Joniern oft
verbunden mit Schönheits-Begeisterung, und nur selten und spät haben sie sich
der allbekannten häßlichen Ausschreitungen schuldig gemacht. Daß derartige
Ausschreitungen der Vernachlässigung des Familienlebens und dem einseitigen
staatlichen Männerkultus mit zur Last fallen, ist nicht zu leugnen.

Die dorische Knabenerziehung ging einzig darauf aus, gehorsame Bürger
und tüchtige Krieger heranzuziehen, und dies ist in Sparta durch die lykur¬
gische Gesetzgebung vollständig erreicht worden. Dagegen blieb die geistige


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[0434] In Lakedämon bekundet sich weiter das sozialistische Prinzip in der ganzen Einrichtung der Jugenderziehung. Nur bis zum siebenten Jahre wurde der Knabe dem elterlichen Hause und den weiblichen Händen überlassen, aber auch dies nicht ohne daß der Staat ein Auge darauf hatte, daß die Erziehung eine zweckmäßige sei. Mit dem siebenten Jahre aber wurde der Knabe dem Hause entnommen und mit seinem Eintritt in eine der Knaben-Abtheilungen unter die direkte Erziehung und Beaufsichtigung des Staates gestellt. Von den staat¬ lichen Oberen wurde ihm nun auf's genaueste seine Diät und Lebensweise vorgeschrieben, seiue Spiele und Beschäftigungen geleitet, seine körperliche und geistige Entwickelung dirigirt. Denn der Spartaner sollte nicht sich oder seiner Familie, sondern dem Gemeinwesen angehören, und die Pflichten gegen dieses waren die höchsten, welche er kannte. Daher auch das enge familienhafte Ver¬ hältniß nicht blos der Männer unter sich, sondern auch zwischen ihnen einer¬ seits und der Gesammtheit der Knaben andrerseits, welches die Annehmlichkeiten der Familie in einer dem Interesse des Staates entsprechenden Weise ersetzen sollte. In Sparta wie in Kreta wurden die Knaben zu den Männerwahlen und -Versammlungen mitgenommen, und die Männer bethätigten großes Inter¬ esse an den Spielen und Uebungen jener. Jeder Erwachsene sollte von der Jugend als ein Vater betrachtet und geehrt werden und hatte das Recht, zu ernähren, zu tadeln und zu strafen. Bei Platon ist dieses Verhältniß, gestützt auf die Weibergemeinschaft, in der absolutesten Weise durchgeführt. Die Kinder dürfen ihre Eltern gar nicht kennen, und ebenso umgekehrt. Jeder Knabe soll in allen Männern seine Väter, in allen Altersgenossen seine Brüder sehen und sich des entsprechenden Benehmens befleißigen; auch sollen die Namen „Vater", „Mutter," „Bruder," „Sohn" ohne Unterschied von Allen gebraucht werden. In dem engen familienhaften Verkehr und dem vorbildlichen Verhältniß, das die ganze männliche Bevölkerung verband, sah man in den dorischen Staaten das beste Mittel, den Gemeinsinn lebendig zu erhalten und die Bürgertugenden fortzupflanzen. Denselben Sinn haben auch — wenigstens in der Zeit der guten Zucht und Sitte — die durchaus nicht auffälligen engen Freundschafts¬ bündnisse und zärtlichen Verhältnisse zwischen Personen desselben Geschlechtes gehabt. Sie waren der Ausdruck reiner Freundschaft, bei den Joniern oft verbunden mit Schönheits-Begeisterung, und nur selten und spät haben sie sich der allbekannten häßlichen Ausschreitungen schuldig gemacht. Daß derartige Ausschreitungen der Vernachlässigung des Familienlebens und dem einseitigen staatlichen Männerkultus mit zur Last fallen, ist nicht zu leugnen. Die dorische Knabenerziehung ging einzig darauf aus, gehorsame Bürger und tüchtige Krieger heranzuziehen, und dies ist in Sparta durch die lykur¬ gische Gesetzgebung vollständig erreicht worden. Dagegen blieb die geistige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/434>, abgerufen am 20.10.2024.