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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Konubium unter den verschiedenen Ständen und über die Erb Verhältnisse. So
durften in Elis die Güter nur bis zu einem bestimmten Bruchtheil ihres
Werthes mit Schulden belastet werden. Philolaos gab in Theben besondere
Gesetze über die Adoption, und Pheidon versuchte in Korinth dafür Sorge zu
tragen, daß die Güter nicht vermindert und die Bürgerzahl nicht vermehrt
würde -- gewiß von seinem Standpunkte aus eine wahrhaft sozialistische Be¬
strebung, wenngleich nur auf das Wohlergehen einer kleinen Zahl der Staats¬
angehörigen gerichtet, die aber streng genommen allein die Bürgerschaft aus¬
machten.

Eine Demokratie im modernen Sinne und speziell eine solche, wie sie der
Sozialismus als nothwendige Voraussetzung ansieht, hat es in Griechenland
nie gegeben. Alle, auch die fortgeschrittensten hellenischen Demokratien müssen
unsern Sozial-Republikanern noch als ganz unbefriedigende und unerträgliche
Oligarchieen erscheinen, weil in allen ein bedeutender Theil der Bevölkerung
der politischen, rechtlichen und sozialen Gleichstellung ermangelte. Dessenunge¬
achtet kann man ganz extrem-sozialistische Elemente in ihnen finden, die aber
natürlich nur für den Kreis der wirklichen Bürger oder für ihr Wohl berechnet
waren, da die Uebrigen eben gar nicht in Betracht kamen. Für diese Art des
Sozialismus war eine wahre sozialdemokratische Regierungsform so wenig
Voraussetzung, daß wir ihn sogar in den oligarchischen Staaten in höherem
Grade entwickelt finden, und mehrere der entschiedenen Demokratie sogar feind¬
liche Gesetzgeber und Staats-Theoretiker ihm in ausgedehntem Maße huldigen.

Sehr frühzeitig sind in Griechenland politische Denker aufgetreten, welche
sich mit Reformen des staatlichen sowie des sozialen Lebens beschäftigt und
Staatstheorieen aufgestellt, zum Theil auch praktisch durchgeführt haben. Unsere
Kenntniß davon ist leider eine fehr fragmentarische. Der Theosoph Epimenides
von Kreta, der als Greis 596 nach Athen berufen wurde, begnügte sich nicht,
dort den Kultus zu reorganisiren, sondern suchte auch staatliche Reformen
herbeizuführen und das sittliche Verhalten zu regeln; ebenso scheint er in
Sparta auf die Ordnung der staatlichen Verhältnisse von Einfluß gewesen zu
sein. Aehnlich haben Chilon in Sparta, Bias in Priene, Kleobulos in Lindos,
Lykurg und Solon gewirkt. Einer der bedeutendsten theoretischen Reformatoren
war im 6. Jahrhundert Pythagoras, der in Kroton jenen Bund stiftete, welcher
nicht blos als eine philosophisch-religiöse Sekte zu betrachten ist, sondern auch
Politische Reformtendenzeu verfolgte und sich in politischen Klubs fortpflanzte.
Auch Empedokles, Parmenides und Zenon sowie der Sophist Protagorns
haben sich mit Verfassungsreformen beschäftigt. Phaleas von Chalkedon stellte
den Entwurf eines Jdealstaates auf, in welchem zum ersten Male die kühne
Forderung der Besitzgleichheit auftrat, welche er u, a. dadurch erhalten wissen


Konubium unter den verschiedenen Ständen und über die Erb Verhältnisse. So
durften in Elis die Güter nur bis zu einem bestimmten Bruchtheil ihres
Werthes mit Schulden belastet werden. Philolaos gab in Theben besondere
Gesetze über die Adoption, und Pheidon versuchte in Korinth dafür Sorge zu
tragen, daß die Güter nicht vermindert und die Bürgerzahl nicht vermehrt
würde — gewiß von seinem Standpunkte aus eine wahrhaft sozialistische Be¬
strebung, wenngleich nur auf das Wohlergehen einer kleinen Zahl der Staats¬
angehörigen gerichtet, die aber streng genommen allein die Bürgerschaft aus¬
machten.

Eine Demokratie im modernen Sinne und speziell eine solche, wie sie der
Sozialismus als nothwendige Voraussetzung ansieht, hat es in Griechenland
nie gegeben. Alle, auch die fortgeschrittensten hellenischen Demokratien müssen
unsern Sozial-Republikanern noch als ganz unbefriedigende und unerträgliche
Oligarchieen erscheinen, weil in allen ein bedeutender Theil der Bevölkerung
der politischen, rechtlichen und sozialen Gleichstellung ermangelte. Dessenunge¬
achtet kann man ganz extrem-sozialistische Elemente in ihnen finden, die aber
natürlich nur für den Kreis der wirklichen Bürger oder für ihr Wohl berechnet
waren, da die Uebrigen eben gar nicht in Betracht kamen. Für diese Art des
Sozialismus war eine wahre sozialdemokratische Regierungsform so wenig
Voraussetzung, daß wir ihn sogar in den oligarchischen Staaten in höherem
Grade entwickelt finden, und mehrere der entschiedenen Demokratie sogar feind¬
liche Gesetzgeber und Staats-Theoretiker ihm in ausgedehntem Maße huldigen.

Sehr frühzeitig sind in Griechenland politische Denker aufgetreten, welche
sich mit Reformen des staatlichen sowie des sozialen Lebens beschäftigt und
Staatstheorieen aufgestellt, zum Theil auch praktisch durchgeführt haben. Unsere
Kenntniß davon ist leider eine fehr fragmentarische. Der Theosoph Epimenides
von Kreta, der als Greis 596 nach Athen berufen wurde, begnügte sich nicht,
dort den Kultus zu reorganisiren, sondern suchte auch staatliche Reformen
herbeizuführen und das sittliche Verhalten zu regeln; ebenso scheint er in
Sparta auf die Ordnung der staatlichen Verhältnisse von Einfluß gewesen zu
sein. Aehnlich haben Chilon in Sparta, Bias in Priene, Kleobulos in Lindos,
Lykurg und Solon gewirkt. Einer der bedeutendsten theoretischen Reformatoren
war im 6. Jahrhundert Pythagoras, der in Kroton jenen Bund stiftete, welcher
nicht blos als eine philosophisch-religiöse Sekte zu betrachten ist, sondern auch
Politische Reformtendenzeu verfolgte und sich in politischen Klubs fortpflanzte.
Auch Empedokles, Parmenides und Zenon sowie der Sophist Protagorns
haben sich mit Verfassungsreformen beschäftigt. Phaleas von Chalkedon stellte
den Entwurf eines Jdealstaates auf, in welchem zum ersten Male die kühne
Forderung der Besitzgleichheit auftrat, welche er u, a. dadurch erhalten wissen


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[0429] Konubium unter den verschiedenen Ständen und über die Erb Verhältnisse. So durften in Elis die Güter nur bis zu einem bestimmten Bruchtheil ihres Werthes mit Schulden belastet werden. Philolaos gab in Theben besondere Gesetze über die Adoption, und Pheidon versuchte in Korinth dafür Sorge zu tragen, daß die Güter nicht vermindert und die Bürgerzahl nicht vermehrt würde — gewiß von seinem Standpunkte aus eine wahrhaft sozialistische Be¬ strebung, wenngleich nur auf das Wohlergehen einer kleinen Zahl der Staats¬ angehörigen gerichtet, die aber streng genommen allein die Bürgerschaft aus¬ machten. Eine Demokratie im modernen Sinne und speziell eine solche, wie sie der Sozialismus als nothwendige Voraussetzung ansieht, hat es in Griechenland nie gegeben. Alle, auch die fortgeschrittensten hellenischen Demokratien müssen unsern Sozial-Republikanern noch als ganz unbefriedigende und unerträgliche Oligarchieen erscheinen, weil in allen ein bedeutender Theil der Bevölkerung der politischen, rechtlichen und sozialen Gleichstellung ermangelte. Dessenunge¬ achtet kann man ganz extrem-sozialistische Elemente in ihnen finden, die aber natürlich nur für den Kreis der wirklichen Bürger oder für ihr Wohl berechnet waren, da die Uebrigen eben gar nicht in Betracht kamen. Für diese Art des Sozialismus war eine wahre sozialdemokratische Regierungsform so wenig Voraussetzung, daß wir ihn sogar in den oligarchischen Staaten in höherem Grade entwickelt finden, und mehrere der entschiedenen Demokratie sogar feind¬ liche Gesetzgeber und Staats-Theoretiker ihm in ausgedehntem Maße huldigen. Sehr frühzeitig sind in Griechenland politische Denker aufgetreten, welche sich mit Reformen des staatlichen sowie des sozialen Lebens beschäftigt und Staatstheorieen aufgestellt, zum Theil auch praktisch durchgeführt haben. Unsere Kenntniß davon ist leider eine fehr fragmentarische. Der Theosoph Epimenides von Kreta, der als Greis 596 nach Athen berufen wurde, begnügte sich nicht, dort den Kultus zu reorganisiren, sondern suchte auch staatliche Reformen herbeizuführen und das sittliche Verhalten zu regeln; ebenso scheint er in Sparta auf die Ordnung der staatlichen Verhältnisse von Einfluß gewesen zu sein. Aehnlich haben Chilon in Sparta, Bias in Priene, Kleobulos in Lindos, Lykurg und Solon gewirkt. Einer der bedeutendsten theoretischen Reformatoren war im 6. Jahrhundert Pythagoras, der in Kroton jenen Bund stiftete, welcher nicht blos als eine philosophisch-religiöse Sekte zu betrachten ist, sondern auch Politische Reformtendenzeu verfolgte und sich in politischen Klubs fortpflanzte. Auch Empedokles, Parmenides und Zenon sowie der Sophist Protagorns haben sich mit Verfassungsreformen beschäftigt. Phaleas von Chalkedon stellte den Entwurf eines Jdealstaates auf, in welchem zum ersten Male die kühne Forderung der Besitzgleichheit auftrat, welche er u, a. dadurch erhalten wissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/429>, abgerufen am 20.10.2024.