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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Die Landschaft war überdies von dem Herannahen des Staatsstreichs durch
den vertrauten Kammerdiener des Herzogs, neuster, vollkommen unterrichtet.
Sie wußte, daß die Vorhut der Bischöflichen bereits in Mergentheim stand,
daß man Vorräthe für sie bereit hielt, und daß man die Entwaffnung des ge¬
stimmten Landes vorhatte, daß Ludwigsburg voll herzoglicher Soldaten war,
und daß man die Söhne des Herzogs fortgeschickt hatte.

Jetzt verließ auch Karl Alexander am 12. März 1737 Stuttgart und be¬
gab sich zunächst nach Ludwigsburg, um von da seine Reise in's Ausland
anzutreten. Kaum war er in Ludwigsburg eingetroffen, so holte ihn eine
Abordnung der Landschaft ein. Er stritt sich mit ihr und entließ sie sehr
ungnädig. Am Abend erschien eine zweite Deputation, als er sich schon in
sein Schlafgemach zurückgezogen und, wie er es gewohnt war, eine Dosis
Aphrodisiakum genommen hatte, und es kam zu einem äußerst heftigen Auf¬
tritte. Horcher hörten Fußgestampf und die Ausrufe "Ketzer, Mörder, Hoch¬
verräther", dann waren die Herren wieder gegangen und unter rasch von
bannen gefahren. Nach einer Weile aber ruft der Herzog aus dem Fenster
um Hilfe; denn niemand ist zur Hand, die Dienerschaft ist zu dem Balle ge¬
gangen, der in einem anderen Flügel des Schlosses stattfindet. Neuffer kommt
und läßt ihm zur Ader. Da springt der Herzog plötzlich mit den Worten:
"Herr Jesus, wie wird mir, ich muß sterben!" vom Stuhle auf, um sofort
wieder zurückzusinken. Er hatte aufgehört zu leben.

"Die von dem Kammerdiener Neuffer diesmal verdoppelte Dosis Aphro¬
disiakum und der Aerger mit der Deputation", sagte das Gerücht; "der Teufel
hat ihm das Genick gebrochen", meinte der Volksglaube, und der todte Herzog
hatte mit seinem aufgeschwollenen, blauschwarzen Gesicht, seinen stier hervor¬
tretenden Augen und den krampfhaft geballten Händen, von denen die eine am
Halse lag, danach ausgesehen. "Ein Stickfluß", lautete das Visum rsxkrwm
der Leibarzte.

Mit dem Staatsstreiche, der am nächsten Tage stattfinden sollte, wurde es
nun nichts. An seine Stelle trat das Strafgericht, nachdem der Herzog Karl
Rudolf von Württemberg-Neuenstadt auf Ersuchen der Landschaft und des
Geheimrathes die Regentschaft übernommen. Die bisherigen Räthe Karl
Alexander's wurden verhaftet, darunter auch Süß, der nach langer Haft und
einer Untersuchung, die wir hier nicht verfolgen können, bei der es aber nicht
ganz mit rechten Dingen zugegangen zu sein scheint, zum Tode durch den
Strang verurtheilt wurde. Vergebens hatte er sich darauf berufen, daß er
kein eigentlicher Beamter gewesen, und daß der Herzog alle seine Maßregeln
gutgeheißen. Das Verfahren gegen ihn war nicht ganz ordnungsmäßig, das
Urtheil aber war gerecht, und es war nur das Eine zu bedauern, daß


Grenzboten II. 1879. 51

Die Landschaft war überdies von dem Herannahen des Staatsstreichs durch
den vertrauten Kammerdiener des Herzogs, neuster, vollkommen unterrichtet.
Sie wußte, daß die Vorhut der Bischöflichen bereits in Mergentheim stand,
daß man Vorräthe für sie bereit hielt, und daß man die Entwaffnung des ge¬
stimmten Landes vorhatte, daß Ludwigsburg voll herzoglicher Soldaten war,
und daß man die Söhne des Herzogs fortgeschickt hatte.

Jetzt verließ auch Karl Alexander am 12. März 1737 Stuttgart und be¬
gab sich zunächst nach Ludwigsburg, um von da seine Reise in's Ausland
anzutreten. Kaum war er in Ludwigsburg eingetroffen, so holte ihn eine
Abordnung der Landschaft ein. Er stritt sich mit ihr und entließ sie sehr
ungnädig. Am Abend erschien eine zweite Deputation, als er sich schon in
sein Schlafgemach zurückgezogen und, wie er es gewohnt war, eine Dosis
Aphrodisiakum genommen hatte, und es kam zu einem äußerst heftigen Auf¬
tritte. Horcher hörten Fußgestampf und die Ausrufe „Ketzer, Mörder, Hoch¬
verräther", dann waren die Herren wieder gegangen und unter rasch von
bannen gefahren. Nach einer Weile aber ruft der Herzog aus dem Fenster
um Hilfe; denn niemand ist zur Hand, die Dienerschaft ist zu dem Balle ge¬
gangen, der in einem anderen Flügel des Schlosses stattfindet. Neuffer kommt
und läßt ihm zur Ader. Da springt der Herzog plötzlich mit den Worten:
„Herr Jesus, wie wird mir, ich muß sterben!" vom Stuhle auf, um sofort
wieder zurückzusinken. Er hatte aufgehört zu leben.

„Die von dem Kammerdiener Neuffer diesmal verdoppelte Dosis Aphro¬
disiakum und der Aerger mit der Deputation", sagte das Gerücht; „der Teufel
hat ihm das Genick gebrochen", meinte der Volksglaube, und der todte Herzog
hatte mit seinem aufgeschwollenen, blauschwarzen Gesicht, seinen stier hervor¬
tretenden Augen und den krampfhaft geballten Händen, von denen die eine am
Halse lag, danach ausgesehen. „Ein Stickfluß", lautete das Visum rsxkrwm
der Leibarzte.

Mit dem Staatsstreiche, der am nächsten Tage stattfinden sollte, wurde es
nun nichts. An seine Stelle trat das Strafgericht, nachdem der Herzog Karl
Rudolf von Württemberg-Neuenstadt auf Ersuchen der Landschaft und des
Geheimrathes die Regentschaft übernommen. Die bisherigen Räthe Karl
Alexander's wurden verhaftet, darunter auch Süß, der nach langer Haft und
einer Untersuchung, die wir hier nicht verfolgen können, bei der es aber nicht
ganz mit rechten Dingen zugegangen zu sein scheint, zum Tode durch den
Strang verurtheilt wurde. Vergebens hatte er sich darauf berufen, daß er
kein eigentlicher Beamter gewesen, und daß der Herzog alle seine Maßregeln
gutgeheißen. Das Verfahren gegen ihn war nicht ganz ordnungsmäßig, das
Urtheil aber war gerecht, und es war nur das Eine zu bedauern, daß


Grenzboten II. 1879. 51
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[0401] Die Landschaft war überdies von dem Herannahen des Staatsstreichs durch den vertrauten Kammerdiener des Herzogs, neuster, vollkommen unterrichtet. Sie wußte, daß die Vorhut der Bischöflichen bereits in Mergentheim stand, daß man Vorräthe für sie bereit hielt, und daß man die Entwaffnung des ge¬ stimmten Landes vorhatte, daß Ludwigsburg voll herzoglicher Soldaten war, und daß man die Söhne des Herzogs fortgeschickt hatte. Jetzt verließ auch Karl Alexander am 12. März 1737 Stuttgart und be¬ gab sich zunächst nach Ludwigsburg, um von da seine Reise in's Ausland anzutreten. Kaum war er in Ludwigsburg eingetroffen, so holte ihn eine Abordnung der Landschaft ein. Er stritt sich mit ihr und entließ sie sehr ungnädig. Am Abend erschien eine zweite Deputation, als er sich schon in sein Schlafgemach zurückgezogen und, wie er es gewohnt war, eine Dosis Aphrodisiakum genommen hatte, und es kam zu einem äußerst heftigen Auf¬ tritte. Horcher hörten Fußgestampf und die Ausrufe „Ketzer, Mörder, Hoch¬ verräther", dann waren die Herren wieder gegangen und unter rasch von bannen gefahren. Nach einer Weile aber ruft der Herzog aus dem Fenster um Hilfe; denn niemand ist zur Hand, die Dienerschaft ist zu dem Balle ge¬ gangen, der in einem anderen Flügel des Schlosses stattfindet. Neuffer kommt und läßt ihm zur Ader. Da springt der Herzog plötzlich mit den Worten: „Herr Jesus, wie wird mir, ich muß sterben!" vom Stuhle auf, um sofort wieder zurückzusinken. Er hatte aufgehört zu leben. „Die von dem Kammerdiener Neuffer diesmal verdoppelte Dosis Aphro¬ disiakum und der Aerger mit der Deputation", sagte das Gerücht; „der Teufel hat ihm das Genick gebrochen", meinte der Volksglaube, und der todte Herzog hatte mit seinem aufgeschwollenen, blauschwarzen Gesicht, seinen stier hervor¬ tretenden Augen und den krampfhaft geballten Händen, von denen die eine am Halse lag, danach ausgesehen. „Ein Stickfluß", lautete das Visum rsxkrwm der Leibarzte. Mit dem Staatsstreiche, der am nächsten Tage stattfinden sollte, wurde es nun nichts. An seine Stelle trat das Strafgericht, nachdem der Herzog Karl Rudolf von Württemberg-Neuenstadt auf Ersuchen der Landschaft und des Geheimrathes die Regentschaft übernommen. Die bisherigen Räthe Karl Alexander's wurden verhaftet, darunter auch Süß, der nach langer Haft und einer Untersuchung, die wir hier nicht verfolgen können, bei der es aber nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen zu sein scheint, zum Tode durch den Strang verurtheilt wurde. Vergebens hatte er sich darauf berufen, daß er kein eigentlicher Beamter gewesen, und daß der Herzog alle seine Maßregeln gutgeheißen. Das Verfahren gegen ihn war nicht ganz ordnungsmäßig, das Urtheil aber war gerecht, und es war nur das Eine zu bedauern, daß Grenzboten II. 1879. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/401>, abgerufen am 27.09.2024.