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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Kein deutsches Land hatte eine so freie Verfassung. Dennoch bewahrte
sie Württemberg nicht vor arger Mißregierung. Die Vortheile, die sie gewährte,
kamen zum großen Theil einer kleinen Minderheit zu gute, indem alle ein¬
flußreichen und einträglichen Beamtenstellen herkömmlich als erblicher Besitz
einer Anzahl "guter Familien" augesehen und behandelt wurden, die auch im
engeren Ausschusse die Hauptrolle spielten. Sodann aber thaten die Fürsten
der Zeit, von der wir reden, trotz der Verfassung in vielen Dingen, was ihnen
beliebte, da sie unter jenen Beamten bereitwillige Werkzeuge zur Ausführung
ihrer Pläne fanden. Das schändliche Regiment der Grävenitz, welches volle
zwanzig Jahre währte und das Land mit Schulden überhäufte, ist zu bekannt,
um hier mehr als der Erwähnung zu bedürfen.

Am 31. Oktober 1733 war der Herzog Eberhard Ludwig, unter dem die
Grävenitz geherrscht hatte, gestorben, und mit dem Einzuge des neuen Herzogs,
der am 16. Dezember erfolgte, schienen bessere Zeiten zu kommen. Karl
Alexander, bisher kaiserlicher Feldmarschall und Statthalter in Serbien, war
nicht blos ein berühmter Kriegsheld, der u. a. beim Sturme auf Belgrad
durch persönliche Tapferkeit den Sieg über die Türken entschieden hatte, sondern
stand auch in dem Rufe eines überaus leutseligen Herrn.*) Er äußerte im
Hinblick auf die Thatsache, daß sein Vorgänger die Regierung seiner Favoritin
und deren Kreaturen überlassen hatte, bei seinem Empfange durch die Stutt¬
garter Bürgerschaft: "Ich will selbst regieren, ich will alle Unordnungen
bessern und mein Volk hören und ihm helfen." Er verkündete in einer An¬
sprache, die drei Sonntage hintereinander von den Kanzeln verlesen und gedruckt
an das Rathhaus jeder Gemeinde angeschlagen wurde, vielverheißende Grund¬
sätze und Absichten. Liebe und Gerechtigkeit, so hieß es da, seien die Grund¬
säulen des Staates. In allen Stücken solle ferner nach alter Treue und
Redlichkeit gehandelt werden. Nach eines Jeden persönlichem Verdienste werde
er seine Gnade abmessen, das Böse bestrafen und das Gute belohnen. Wer
in einer fürstlichen Kanzlei einer Untreue sich schuldig mache, Geschenke gebe
oder nehme, die Gerechtigkeit aus Geiz oder anderen Leidenschaften beeinträch¬
tige und unschuldige Leute durch Verfolgung oder Verleumdung kränke, wer
in Verwaltungs-, Finanz-, Justiz- oder Gnadensachen eines vorsätzlichen Un¬
rechts überführt werde, der werde ohne Ansehen der Person an Ehre und
Gut, nach Umständen an Leib und Leben gestraft werden. Seit zwanzig Jahren
seien "entsetzlich große Schindereien und AbPressungen" bei Besetzung geiht-



*) Wir folgen von hier an mit einigen Abweichungen im Urtheil über den Haupt¬
gegenstand der Darstellung M- Zimmermann's aktemnnßig bearbeiteter Schrift: "Josef
Süß Oppenhcimer". Stuttgart, Rieger.

Kein deutsches Land hatte eine so freie Verfassung. Dennoch bewahrte
sie Württemberg nicht vor arger Mißregierung. Die Vortheile, die sie gewährte,
kamen zum großen Theil einer kleinen Minderheit zu gute, indem alle ein¬
flußreichen und einträglichen Beamtenstellen herkömmlich als erblicher Besitz
einer Anzahl „guter Familien" augesehen und behandelt wurden, die auch im
engeren Ausschusse die Hauptrolle spielten. Sodann aber thaten die Fürsten
der Zeit, von der wir reden, trotz der Verfassung in vielen Dingen, was ihnen
beliebte, da sie unter jenen Beamten bereitwillige Werkzeuge zur Ausführung
ihrer Pläne fanden. Das schändliche Regiment der Grävenitz, welches volle
zwanzig Jahre währte und das Land mit Schulden überhäufte, ist zu bekannt,
um hier mehr als der Erwähnung zu bedürfen.

Am 31. Oktober 1733 war der Herzog Eberhard Ludwig, unter dem die
Grävenitz geherrscht hatte, gestorben, und mit dem Einzuge des neuen Herzogs,
der am 16. Dezember erfolgte, schienen bessere Zeiten zu kommen. Karl
Alexander, bisher kaiserlicher Feldmarschall und Statthalter in Serbien, war
nicht blos ein berühmter Kriegsheld, der u. a. beim Sturme auf Belgrad
durch persönliche Tapferkeit den Sieg über die Türken entschieden hatte, sondern
stand auch in dem Rufe eines überaus leutseligen Herrn.*) Er äußerte im
Hinblick auf die Thatsache, daß sein Vorgänger die Regierung seiner Favoritin
und deren Kreaturen überlassen hatte, bei seinem Empfange durch die Stutt¬
garter Bürgerschaft: „Ich will selbst regieren, ich will alle Unordnungen
bessern und mein Volk hören und ihm helfen." Er verkündete in einer An¬
sprache, die drei Sonntage hintereinander von den Kanzeln verlesen und gedruckt
an das Rathhaus jeder Gemeinde angeschlagen wurde, vielverheißende Grund¬
sätze und Absichten. Liebe und Gerechtigkeit, so hieß es da, seien die Grund¬
säulen des Staates. In allen Stücken solle ferner nach alter Treue und
Redlichkeit gehandelt werden. Nach eines Jeden persönlichem Verdienste werde
er seine Gnade abmessen, das Böse bestrafen und das Gute belohnen. Wer
in einer fürstlichen Kanzlei einer Untreue sich schuldig mache, Geschenke gebe
oder nehme, die Gerechtigkeit aus Geiz oder anderen Leidenschaften beeinträch¬
tige und unschuldige Leute durch Verfolgung oder Verleumdung kränke, wer
in Verwaltungs-, Finanz-, Justiz- oder Gnadensachen eines vorsätzlichen Un¬
rechts überführt werde, der werde ohne Ansehen der Person an Ehre und
Gut, nach Umständen an Leib und Leben gestraft werden. Seit zwanzig Jahren
seien „entsetzlich große Schindereien und AbPressungen" bei Besetzung geiht-



*) Wir folgen von hier an mit einigen Abweichungen im Urtheil über den Haupt¬
gegenstand der Darstellung M- Zimmermann's aktemnnßig bearbeiteter Schrift: „Josef
Süß Oppenhcimer". Stuttgart, Rieger.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/389>, abgerufen am 27.09.2024.