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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Deutschland und wird als Entgegnung des Fürsten Bismarck auf die heftigen
Angriffe betrachtet, deren Gegenstand der Letztere seit einiger Zeit beinahe in
allen russischen Journalen gewesen ist. Von jener Reichsstädter Aeußerung,
die er der Welt auf diese Weise zum ersten Mal enthüllt, geht der Vertraute
des preußischen Ministers ans, um die Verdienste des Fürsten Alexander
Michailowitsch als Staatsmann und Diplomat einer Würdigung zu unter¬
ziehen und dieselben sehr winzig (bion mines) zu finden. Er zeigt ein uner¬
meßliches Mißverhältniß zwischen seiner Eitelkeit und seinem Scharfblick, er
tadelt, daß er sich mit immer schwächer werdenden Händen an die Macht an¬
klammere, und bedauert (was beiläufig in unserm Artikel nicht entfernt ge¬
schehen ist und niemals geschehen könnte) den Kaiser Alexander, der in Folge
einer an Schwäche grenzenden Gutmüthigkeit zögere, sich von einem Diener
zu trennen, dessen hohes Alter viel weniger zu bestreiten ist als je seine Geistes¬
kraft (of-lsur). Dieser Hieb ist von äußerster Grobheit (et'uns ruässss sx-
trZms), und es ist uns unmöglich, den deutschen Reichskanzler nicht zu beklagen,
den ein tragisches Geschick so zu verurtheilen scheint, seine alten und großen
Freundschaften alle eine nach der andern zu brechen. Nach dem Grafen Arnim,
nach Herrn Delbrück, nach Herrn v. (N. as) Camphausen ist die Reihe jetzt
an den liebsten, an den ältesten Genossen, an den illustren Freund von Frank¬
furt gekommen. 1u ciirocius, ?Matth! (Recht schöne Wehmuth, aber weniger
begründet als schön.)

Und doch würde man eine Ungerechtigkeit begehen, wenn man nicht aner¬
kennen wollte, daß in diesem Streite voll Aufregung und Bissigkeit (äSodire-
vuznts) das Recht und die Vernunft auf der Seite des Fürsten Bismarck sind;
denn nur deshalb, weil der deutsche Reichskanzler sich nicht zur Abänderung
des Berliner Vertrages hat hergeben wollen, nur weil er nicht bereit gewesen
ist, die Phantasieen von San Stefano zu Ehren bringen zu helfen, ist er in
der letzten Zeit der Gegenstand moskowitischer Anfeindungen geworden. Nun
aber scheint es uns ebenso naturgemäß als dem Rechte entsprechend zu sein,
daß Herr v. Bismarck, selbst abgesehen von den Interessen Deutschland's, an
der genauen Ausführung der dnrch einen europäischen Areopag feierlich festge¬
stellten Klauseln festhält -- einen Areopag, bei dem er persönlich den Vorsitz
führte. Was auch die Journale von Se. Petersburg sagen mögen, der deutsche
Reichskanzler hat während dieses Krieges im Orient in sehr loyaler und gene¬
röser Weise die Schuld der Erkenntlichkeit abgetragen, die er während des
unheilvollen Jahres 1870 übernommen. Daß diese Erkenntlichkeit ihm leicht und
vortheilhaft, am Schluß der Rechnung sogar vortheilhafter für Deutschland als
für Rußland geworden ist, daraus kann man ihm billigerweise keinen Vorwurf
machen. Ein so großer und so wohlerfahrener Genius wie der des Fürsten


Grenzbowi II, 187S. S

Deutschland und wird als Entgegnung des Fürsten Bismarck auf die heftigen
Angriffe betrachtet, deren Gegenstand der Letztere seit einiger Zeit beinahe in
allen russischen Journalen gewesen ist. Von jener Reichsstädter Aeußerung,
die er der Welt auf diese Weise zum ersten Mal enthüllt, geht der Vertraute
des preußischen Ministers ans, um die Verdienste des Fürsten Alexander
Michailowitsch als Staatsmann und Diplomat einer Würdigung zu unter¬
ziehen und dieselben sehr winzig (bion mines) zu finden. Er zeigt ein uner¬
meßliches Mißverhältniß zwischen seiner Eitelkeit und seinem Scharfblick, er
tadelt, daß er sich mit immer schwächer werdenden Händen an die Macht an¬
klammere, und bedauert (was beiläufig in unserm Artikel nicht entfernt ge¬
schehen ist und niemals geschehen könnte) den Kaiser Alexander, der in Folge
einer an Schwäche grenzenden Gutmüthigkeit zögere, sich von einem Diener
zu trennen, dessen hohes Alter viel weniger zu bestreiten ist als je seine Geistes¬
kraft (of-lsur). Dieser Hieb ist von äußerster Grobheit (et'uns ruässss sx-
trZms), und es ist uns unmöglich, den deutschen Reichskanzler nicht zu beklagen,
den ein tragisches Geschick so zu verurtheilen scheint, seine alten und großen
Freundschaften alle eine nach der andern zu brechen. Nach dem Grafen Arnim,
nach Herrn Delbrück, nach Herrn v. (N. as) Camphausen ist die Reihe jetzt
an den liebsten, an den ältesten Genossen, an den illustren Freund von Frank¬
furt gekommen. 1u ciirocius, ?Matth! (Recht schöne Wehmuth, aber weniger
begründet als schön.)

Und doch würde man eine Ungerechtigkeit begehen, wenn man nicht aner¬
kennen wollte, daß in diesem Streite voll Aufregung und Bissigkeit (äSodire-
vuznts) das Recht und die Vernunft auf der Seite des Fürsten Bismarck sind;
denn nur deshalb, weil der deutsche Reichskanzler sich nicht zur Abänderung
des Berliner Vertrages hat hergeben wollen, nur weil er nicht bereit gewesen
ist, die Phantasieen von San Stefano zu Ehren bringen zu helfen, ist er in
der letzten Zeit der Gegenstand moskowitischer Anfeindungen geworden. Nun
aber scheint es uns ebenso naturgemäß als dem Rechte entsprechend zu sein,
daß Herr v. Bismarck, selbst abgesehen von den Interessen Deutschland's, an
der genauen Ausführung der dnrch einen europäischen Areopag feierlich festge¬
stellten Klauseln festhält — einen Areopag, bei dem er persönlich den Vorsitz
führte. Was auch die Journale von Se. Petersburg sagen mögen, der deutsche
Reichskanzler hat während dieses Krieges im Orient in sehr loyaler und gene¬
röser Weise die Schuld der Erkenntlichkeit abgetragen, die er während des
unheilvollen Jahres 1870 übernommen. Daß diese Erkenntlichkeit ihm leicht und
vortheilhaft, am Schluß der Rechnung sogar vortheilhafter für Deutschland als
für Rußland geworden ist, daraus kann man ihm billigerweise keinen Vorwurf
machen. Ein so großer und so wohlerfahrener Genius wie der des Fürsten


Grenzbowi II, 187S. S
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[0037] Deutschland und wird als Entgegnung des Fürsten Bismarck auf die heftigen Angriffe betrachtet, deren Gegenstand der Letztere seit einiger Zeit beinahe in allen russischen Journalen gewesen ist. Von jener Reichsstädter Aeußerung, die er der Welt auf diese Weise zum ersten Mal enthüllt, geht der Vertraute des preußischen Ministers ans, um die Verdienste des Fürsten Alexander Michailowitsch als Staatsmann und Diplomat einer Würdigung zu unter¬ ziehen und dieselben sehr winzig (bion mines) zu finden. Er zeigt ein uner¬ meßliches Mißverhältniß zwischen seiner Eitelkeit und seinem Scharfblick, er tadelt, daß er sich mit immer schwächer werdenden Händen an die Macht an¬ klammere, und bedauert (was beiläufig in unserm Artikel nicht entfernt ge¬ schehen ist und niemals geschehen könnte) den Kaiser Alexander, der in Folge einer an Schwäche grenzenden Gutmüthigkeit zögere, sich von einem Diener zu trennen, dessen hohes Alter viel weniger zu bestreiten ist als je seine Geistes¬ kraft (of-lsur). Dieser Hieb ist von äußerster Grobheit (et'uns ruässss sx- trZms), und es ist uns unmöglich, den deutschen Reichskanzler nicht zu beklagen, den ein tragisches Geschick so zu verurtheilen scheint, seine alten und großen Freundschaften alle eine nach der andern zu brechen. Nach dem Grafen Arnim, nach Herrn Delbrück, nach Herrn v. (N. as) Camphausen ist die Reihe jetzt an den liebsten, an den ältesten Genossen, an den illustren Freund von Frank¬ furt gekommen. 1u ciirocius, ?Matth! (Recht schöne Wehmuth, aber weniger begründet als schön.) Und doch würde man eine Ungerechtigkeit begehen, wenn man nicht aner¬ kennen wollte, daß in diesem Streite voll Aufregung und Bissigkeit (äSodire- vuznts) das Recht und die Vernunft auf der Seite des Fürsten Bismarck sind; denn nur deshalb, weil der deutsche Reichskanzler sich nicht zur Abänderung des Berliner Vertrages hat hergeben wollen, nur weil er nicht bereit gewesen ist, die Phantasieen von San Stefano zu Ehren bringen zu helfen, ist er in der letzten Zeit der Gegenstand moskowitischer Anfeindungen geworden. Nun aber scheint es uns ebenso naturgemäß als dem Rechte entsprechend zu sein, daß Herr v. Bismarck, selbst abgesehen von den Interessen Deutschland's, an der genauen Ausführung der dnrch einen europäischen Areopag feierlich festge¬ stellten Klauseln festhält — einen Areopag, bei dem er persönlich den Vorsitz führte. Was auch die Journale von Se. Petersburg sagen mögen, der deutsche Reichskanzler hat während dieses Krieges im Orient in sehr loyaler und gene¬ röser Weise die Schuld der Erkenntlichkeit abgetragen, die er während des unheilvollen Jahres 1870 übernommen. Daß diese Erkenntlichkeit ihm leicht und vortheilhaft, am Schluß der Rechnung sogar vortheilhafter für Deutschland als für Rußland geworden ist, daraus kann man ihm billigerweise keinen Vorwurf machen. Ein so großer und so wohlerfahrener Genius wie der des Fürsten Grenzbowi II, 187S. S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/37>, abgerufen am 28.12.2024.