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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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hervorzugehen, daß Herr v. Forckenbeck am Montag noch nicht an die Nieder¬
legung dachte, sonst hätte er die National - Zeitung und zahlreiche befreundete
Korrespondenten nicht dahin informiren können, vor dieser Voraussetzung zu
warnen. Noch weniger hat er also die Tischrede in der Absicht gehalten, den
Rücktritt vom Präsidium mit derselben einzuleiten. Diesem schwer anfechtbaren
Sachverhalt gegenüber wird man sich eines befremdenden Eindruckes nicht
erwehren können.

Die Präsidentenstellung im Parlamente wird anders bei uns aufgefaßt
als in England. Seltsam, daß wir, ewig bemüht, den englischen Parlamenta¬
rismus, der so vieles hat, was unübertragbar, und so vieles, was nicht im
geringsten nachahmenswert!) ist, in allen Stücken nachzuahmen, uns von dem
einzigen guten Beispiele emanzipiren, das er uns geben könnte. Der Sprecher
des Unterhauses, gleichviel durch welche Partei in's Haus gesendet, ist von dem
Tage, wo ihn das Haus zum Amte des Sprechers berufen, nur noch bemüht,
der Diener des ganzen Hauses zu sein wie zu scheinen. Der Sprecher ver¬
meidet daher jede Gelegenheit, als Parteimann aufzutreten, der er in seinem
Amte nicht mehr ist noch sein darf. Persönlichkeiten, welche sich zu Partei¬
führern eignen, oder welche sich das Talent zum großen Redner zutrauen,
gibt keine Partei zum Sprecheramte her, so wenig als solche Persönlichkeiten
ihrerseits das Verlangen nach diesem Amte tragen. Es bedarf keines Wortes,
daß diese Einrichtung die allein richtige und die selbstverständliche ist. Was
haben wir in Deutschland dafür angenommen? Auch vom deutschen Präsi¬
denten verlangt man die Unparteilichkeit, erwartet man, daß er der Diener des
ganzen Hauses sei. Man glaubt, daß dieser Forderung Genüge geleistet werde,
wenn der Präsident dem Namen nach aus der Fraktion austritt, der er etwa
angehört hat. Aber ganz abweichend von der englischen Auffassung verlangt
man vom Präsidenten, daß er das Vertrauen des Hauses nicht nur für die
Geschäftsführung genieße, sondern daß er zugleich der Repräsentant der poli¬
tischen Gesinnung der Majorität sei. Und was der englischen Ausfassung noch
fremder wäre, man legt bei der Wahl den höchsten Werth darauf, welcher
Fraktion der Präsident angehört, und jede Fraktion präsentirt zur Wahl ihre
bedeutendsten Mitglieder, die es sind nicht etwa durch technisch präsidiale Be¬
fähigung, sondern vor allem durch die Wirksamkeit in der Parteileitung. So
wird denn die angebliche Resignation des Präsidenten auf den Fraktionszu¬
sammenhang ein leeres Symbol, er bleibt der Führer seiner Fraktion, deren
Vorsitz zwar von einem Stellvertreter eingenommen, aber dem eigentlichen
Inhaber vorbehalten wird.

Es bedarf wiederum keines Wortes, das diese Sitte eine zweckwidrige,
geradezu eine Absurdität ist. Wie ist sie entstanden? muß man fragen. Die


hervorzugehen, daß Herr v. Forckenbeck am Montag noch nicht an die Nieder¬
legung dachte, sonst hätte er die National - Zeitung und zahlreiche befreundete
Korrespondenten nicht dahin informiren können, vor dieser Voraussetzung zu
warnen. Noch weniger hat er also die Tischrede in der Absicht gehalten, den
Rücktritt vom Präsidium mit derselben einzuleiten. Diesem schwer anfechtbaren
Sachverhalt gegenüber wird man sich eines befremdenden Eindruckes nicht
erwehren können.

Die Präsidentenstellung im Parlamente wird anders bei uns aufgefaßt
als in England. Seltsam, daß wir, ewig bemüht, den englischen Parlamenta¬
rismus, der so vieles hat, was unübertragbar, und so vieles, was nicht im
geringsten nachahmenswert!) ist, in allen Stücken nachzuahmen, uns von dem
einzigen guten Beispiele emanzipiren, das er uns geben könnte. Der Sprecher
des Unterhauses, gleichviel durch welche Partei in's Haus gesendet, ist von dem
Tage, wo ihn das Haus zum Amte des Sprechers berufen, nur noch bemüht,
der Diener des ganzen Hauses zu sein wie zu scheinen. Der Sprecher ver¬
meidet daher jede Gelegenheit, als Parteimann aufzutreten, der er in seinem
Amte nicht mehr ist noch sein darf. Persönlichkeiten, welche sich zu Partei¬
führern eignen, oder welche sich das Talent zum großen Redner zutrauen,
gibt keine Partei zum Sprecheramte her, so wenig als solche Persönlichkeiten
ihrerseits das Verlangen nach diesem Amte tragen. Es bedarf keines Wortes,
daß diese Einrichtung die allein richtige und die selbstverständliche ist. Was
haben wir in Deutschland dafür angenommen? Auch vom deutschen Präsi¬
denten verlangt man die Unparteilichkeit, erwartet man, daß er der Diener des
ganzen Hauses sei. Man glaubt, daß dieser Forderung Genüge geleistet werde,
wenn der Präsident dem Namen nach aus der Fraktion austritt, der er etwa
angehört hat. Aber ganz abweichend von der englischen Auffassung verlangt
man vom Präsidenten, daß er das Vertrauen des Hauses nicht nur für die
Geschäftsführung genieße, sondern daß er zugleich der Repräsentant der poli¬
tischen Gesinnung der Majorität sei. Und was der englischen Ausfassung noch
fremder wäre, man legt bei der Wahl den höchsten Werth darauf, welcher
Fraktion der Präsident angehört, und jede Fraktion präsentirt zur Wahl ihre
bedeutendsten Mitglieder, die es sind nicht etwa durch technisch präsidiale Be¬
fähigung, sondern vor allem durch die Wirksamkeit in der Parteileitung. So
wird denn die angebliche Resignation des Präsidenten auf den Fraktionszu¬
sammenhang ein leeres Symbol, er bleibt der Führer seiner Fraktion, deren
Vorsitz zwar von einem Stellvertreter eingenommen, aber dem eigentlichen
Inhaber vorbehalten wird.

Es bedarf wiederum keines Wortes, das diese Sitte eine zweckwidrige,
geradezu eine Absurdität ist. Wie ist sie entstanden? muß man fragen. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/366>, abgerufen am 20.10.2024.