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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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kung lief darauf hinaus, daß sie dieselbe dem Antagonismus zwischen der inneren
Hitze des Schwefels und der inneren Kälte des Salpeters zuschrieben. Hatte man
aber einen Salpeter in Verdacht, zu kalt, d. h. gar zu unrein zu sein, so galt es,
ihn zu erwärmen. Anfangs versuchte man das durch Zusätze, insbesondere von
Zinnober, der, seiner rothen Farbe wegen, als sehr "heiß" erschien, oder durch
Beimischung von menschlichem Urin und zwar solchem von Weintrinkern. Der
Harn der Wassertrinker und der Biertrinker galt als zu kalt. Allmählich aber
kam man auf den Gedanken, den Salpeter zu raffiniren, indem man zwei als
wesentlich heiß geltende Substanzen: ungelöschten Kalk und Holzasche, zu Hilfe
nahm. Mit ihnen behandelte man die wässerige Lösung des Salpeters, und
so gelang es am Ende, ihn von einem Theile der diesen Stoff gewöhnlich be¬
gleitenden fremden Salze zu befreien. Gleichzeitig studirte Roger Bacon die
Eigenschaften des Salpeters und kam dahin, ihn durch vollständige Lösung in
Wasser und durch Krystallisation zu raffiniren. Nunmehr erwies die Pulver¬
mischung sich weit wirksamer als bisher und zugleich als seh> viel besser
geeignet, eine gewisse Zeit lang trocken aufbewahrt zu werden; denn sie zog
die Feuchtigkeit der Luft nicht mehr in so hohem Grade an wie früher.
Da sich nun die Triebkraft des Pulvers bedeutend gesteigert zeigte, so kam
einerseits die Rakete immer mehr in Aufnahme und wurde bald durch Ein¬
führung des Raketenstabes verbessert; andererseits wendete man den Feuerrohren,
welche Pfeile und Bondoks schössen, erhöhte Aufmerksamkeit zu. Und während
die Rakete im Abendlande bald in Vergessenheit gerieth, dermaßen, daß ihre
Wiedereinführung zu Anfang unseres Jahrhunderts unmittelbar der feindlichen
Berührung englischer Truppen mit den Streitkräften eines indischen Fürsten,
Tippu Sahib, zu danken ist/) so beschäftigte man sich im Occident, und zwar
anscheinend besonders in Italien, mit jenen Feuerrohren, und fast sollte man
glauben, daß von ihnen ans nur noch ein einziger Schritt gewesen sei zur
Arkebuse oder zur Kanone. Indessen: noch war das Pulver nicht gekörnt"
noch galt es, ein zur Konstruktion von Feuerwaffen gut geeignetes Metall
auszuwählen; es galt, solide Geschosse herzustellen, Erfahrungen zu machen
über Gewicht und Gestalt der Ladung, über Schäftung und Laffetiruug; es galt,
die nothwendige Uebereinstimmung herbeizuführen zwischen den einzelnen Theilen
der Maschine und ihrem Endzweck, und endlich blieb es auch dieser Erfindung
nicht erspart, jene tausendfältigen widerstrebenden Mächte bekämpfen zu müssen,
die bald passiv, bald aktiv als Routine, Gleich giltigleit, Handwerksneid, Vor-



*) Bei der Belagerung von Seringapatam. Congreve brachte die Raketen dann nach
Europa und wendete sie 1306 gegen die Flotille von Boulogne, 1S07 beim Bombardement
von Kopenhagen an.

kung lief darauf hinaus, daß sie dieselbe dem Antagonismus zwischen der inneren
Hitze des Schwefels und der inneren Kälte des Salpeters zuschrieben. Hatte man
aber einen Salpeter in Verdacht, zu kalt, d. h. gar zu unrein zu sein, so galt es,
ihn zu erwärmen. Anfangs versuchte man das durch Zusätze, insbesondere von
Zinnober, der, seiner rothen Farbe wegen, als sehr „heiß" erschien, oder durch
Beimischung von menschlichem Urin und zwar solchem von Weintrinkern. Der
Harn der Wassertrinker und der Biertrinker galt als zu kalt. Allmählich aber
kam man auf den Gedanken, den Salpeter zu raffiniren, indem man zwei als
wesentlich heiß geltende Substanzen: ungelöschten Kalk und Holzasche, zu Hilfe
nahm. Mit ihnen behandelte man die wässerige Lösung des Salpeters, und
so gelang es am Ende, ihn von einem Theile der diesen Stoff gewöhnlich be¬
gleitenden fremden Salze zu befreien. Gleichzeitig studirte Roger Bacon die
Eigenschaften des Salpeters und kam dahin, ihn durch vollständige Lösung in
Wasser und durch Krystallisation zu raffiniren. Nunmehr erwies die Pulver¬
mischung sich weit wirksamer als bisher und zugleich als seh> viel besser
geeignet, eine gewisse Zeit lang trocken aufbewahrt zu werden; denn sie zog
die Feuchtigkeit der Luft nicht mehr in so hohem Grade an wie früher.
Da sich nun die Triebkraft des Pulvers bedeutend gesteigert zeigte, so kam
einerseits die Rakete immer mehr in Aufnahme und wurde bald durch Ein¬
führung des Raketenstabes verbessert; andererseits wendete man den Feuerrohren,
welche Pfeile und Bondoks schössen, erhöhte Aufmerksamkeit zu. Und während
die Rakete im Abendlande bald in Vergessenheit gerieth, dermaßen, daß ihre
Wiedereinführung zu Anfang unseres Jahrhunderts unmittelbar der feindlichen
Berührung englischer Truppen mit den Streitkräften eines indischen Fürsten,
Tippu Sahib, zu danken ist/) so beschäftigte man sich im Occident, und zwar
anscheinend besonders in Italien, mit jenen Feuerrohren, und fast sollte man
glauben, daß von ihnen ans nur noch ein einziger Schritt gewesen sei zur
Arkebuse oder zur Kanone. Indessen: noch war das Pulver nicht gekörnt»
noch galt es, ein zur Konstruktion von Feuerwaffen gut geeignetes Metall
auszuwählen; es galt, solide Geschosse herzustellen, Erfahrungen zu machen
über Gewicht und Gestalt der Ladung, über Schäftung und Laffetiruug; es galt,
die nothwendige Uebereinstimmung herbeizuführen zwischen den einzelnen Theilen
der Maschine und ihrem Endzweck, und endlich blieb es auch dieser Erfindung
nicht erspart, jene tausendfältigen widerstrebenden Mächte bekämpfen zu müssen,
die bald passiv, bald aktiv als Routine, Gleich giltigleit, Handwerksneid, Vor-



*) Bei der Belagerung von Seringapatam. Congreve brachte die Raketen dann nach
Europa und wendete sie 1306 gegen die Flotille von Boulogne, 1S07 beim Bombardement
von Kopenhagen an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/358>, abgerufen am 29.12.2024.