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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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diesem Umstände, daß der Zusammenhang von Pulverkammer und Rohr buch¬
stäblich "an einem seidenen Faden hängt", geht hervor, daß es sich nur um
eine äußerst geringe Anfangsgeschwindigkeit des Projektils und nur um eine
ganz kurze Schußweite gehandelt haben kann; andernfalls wäre der Faden
unfehlbar zerrissen. Uebrigens wurden nicht nur Pfeile, sondern auch Kugeln
(bonäokch") aus solchen Rohren geschossen. Neben den neuen Schußwaffen
zeigt das Petersburger Manuskript auch all' die alten Feuerwaffen in vollem
Gebrauche: Feuerlanzen, Feuertöpfe, Madfaa's und Feuerkolben. Ferner
berichtet es von einer seltsamen Methode, ganze Reiter mit Feuer zu um¬
geben und dadurch feindliche Reiterei zu erschrecken und in die Flucht zu
jagen -- eine Erfindung, die von den Orientalen, wie alles Vorzügliche,
Alexander dem Großen zugeschrieben wird. Der Reiter soll sich zu diesem Zwecke
mit einem leinenen Burnus bekleiden, der durch und durch mit Rüböl getränkt
und mit Wergbüscheln besetzt ist, und das Pferd ebenso einkleiden. Den Kopf
soll er mit einem eisernen Helme bedecken, auf dem ein rothes Feuer lodert,
das sich von Asphaltfils nährt; die Hände und das Gesicht sollen mit Talk¬
stein eingerieben werden. Dann werden die Wergbüschel angezündet und brennen
wie Dochte, Auf solche Weise, wird versichert, hätten sich die Aegypter der
tatarischen Reiterheere entledigt. Ein arabisches Manuskript der Pariser Biblio¬
thek erläutert das Verfahren noch dahin, daß unter dem Obergewand ein un-
verbrennlich gemachtes Filzkleid zu tragen sei, welches man mit Weinessig,
Blutstein, Fischleim und Sandarachharz präparire. Die ausgenähten Werg¬
büschel sollen mit Naphtha getränkt sein. "Reiter, die so ausgerüstet sind." sagt
das Manuskript, "flößen den Feinden Gottes Schrecken ein, besonders bei der
Nacht; denn die präparirten Reiter gewähren einen ganz fürchterlichen Anblick,
zumal wenn sie in geschlossener Masse anrücken." Freilich sei es nothwendig,
die Pferde an diese Ausstattung zu gewöhnen, weil sie sonst den Dienst ver¬
sagen. Zu diesem Zwecke verstopfe man ihnen die Ohren mit Baumwolle und
lasse dann erst kleine Madfaa auf dem Rücken der Thiere detoniren, lasse ferner
Raketen an ihrem Kopfe vorbeisausen, entferne dabei die Baumwolle erst aus
dem einen, dann aus dem andern Ohre u. s. w. Vor jedem Reiter müsse aber
ein Fußgänger mit Feuerkolben einhergehen. So begleitet sollten die Feuer¬
reiter dem Heere vorausziehen und unter keinen Umständen weichen; denn sonst
würden sie die ganze Trnppenmasse in die schlimmste Verwirrung bringen.
Sie hätten aber auch niemand zu fürchten; kein Mensch würde es wagen, sie
mit dem Säbel oder der Lanze anzugreifen. Alle die Materialien, welche man



^) Das arabische Wort "doMoK" bedeutete ursprünglich Haselnuß; seit dem 10. Jahr¬
hundert bezeichnete es die mit der Armbrust geschossene Kugel; heutzutage ist es ein Aus¬
druck für Handfeuerwaffe überhaupt.

diesem Umstände, daß der Zusammenhang von Pulverkammer und Rohr buch¬
stäblich „an einem seidenen Faden hängt", geht hervor, daß es sich nur um
eine äußerst geringe Anfangsgeschwindigkeit des Projektils und nur um eine
ganz kurze Schußweite gehandelt haben kann; andernfalls wäre der Faden
unfehlbar zerrissen. Uebrigens wurden nicht nur Pfeile, sondern auch Kugeln
(bonäokch") aus solchen Rohren geschossen. Neben den neuen Schußwaffen
zeigt das Petersburger Manuskript auch all' die alten Feuerwaffen in vollem
Gebrauche: Feuerlanzen, Feuertöpfe, Madfaa's und Feuerkolben. Ferner
berichtet es von einer seltsamen Methode, ganze Reiter mit Feuer zu um¬
geben und dadurch feindliche Reiterei zu erschrecken und in die Flucht zu
jagen — eine Erfindung, die von den Orientalen, wie alles Vorzügliche,
Alexander dem Großen zugeschrieben wird. Der Reiter soll sich zu diesem Zwecke
mit einem leinenen Burnus bekleiden, der durch und durch mit Rüböl getränkt
und mit Wergbüscheln besetzt ist, und das Pferd ebenso einkleiden. Den Kopf
soll er mit einem eisernen Helme bedecken, auf dem ein rothes Feuer lodert,
das sich von Asphaltfils nährt; die Hände und das Gesicht sollen mit Talk¬
stein eingerieben werden. Dann werden die Wergbüschel angezündet und brennen
wie Dochte, Auf solche Weise, wird versichert, hätten sich die Aegypter der
tatarischen Reiterheere entledigt. Ein arabisches Manuskript der Pariser Biblio¬
thek erläutert das Verfahren noch dahin, daß unter dem Obergewand ein un-
verbrennlich gemachtes Filzkleid zu tragen sei, welches man mit Weinessig,
Blutstein, Fischleim und Sandarachharz präparire. Die ausgenähten Werg¬
büschel sollen mit Naphtha getränkt sein. „Reiter, die so ausgerüstet sind." sagt
das Manuskript, „flößen den Feinden Gottes Schrecken ein, besonders bei der
Nacht; denn die präparirten Reiter gewähren einen ganz fürchterlichen Anblick,
zumal wenn sie in geschlossener Masse anrücken." Freilich sei es nothwendig,
die Pferde an diese Ausstattung zu gewöhnen, weil sie sonst den Dienst ver¬
sagen. Zu diesem Zwecke verstopfe man ihnen die Ohren mit Baumwolle und
lasse dann erst kleine Madfaa auf dem Rücken der Thiere detoniren, lasse ferner
Raketen an ihrem Kopfe vorbeisausen, entferne dabei die Baumwolle erst aus
dem einen, dann aus dem andern Ohre u. s. w. Vor jedem Reiter müsse aber
ein Fußgänger mit Feuerkolben einhergehen. So begleitet sollten die Feuer¬
reiter dem Heere vorausziehen und unter keinen Umständen weichen; denn sonst
würden sie die ganze Trnppenmasse in die schlimmste Verwirrung bringen.
Sie hätten aber auch niemand zu fürchten; kein Mensch würde es wagen, sie
mit dem Säbel oder der Lanze anzugreifen. Alle die Materialien, welche man



^) Das arabische Wort „doMoK" bedeutete ursprünglich Haselnuß; seit dem 10. Jahr¬
hundert bezeichnete es die mit der Armbrust geschossene Kugel; heutzutage ist es ein Aus¬
druck für Handfeuerwaffe überhaupt.
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[0356] diesem Umstände, daß der Zusammenhang von Pulverkammer und Rohr buch¬ stäblich „an einem seidenen Faden hängt", geht hervor, daß es sich nur um eine äußerst geringe Anfangsgeschwindigkeit des Projektils und nur um eine ganz kurze Schußweite gehandelt haben kann; andernfalls wäre der Faden unfehlbar zerrissen. Uebrigens wurden nicht nur Pfeile, sondern auch Kugeln (bonäokch") aus solchen Rohren geschossen. Neben den neuen Schußwaffen zeigt das Petersburger Manuskript auch all' die alten Feuerwaffen in vollem Gebrauche: Feuerlanzen, Feuertöpfe, Madfaa's und Feuerkolben. Ferner berichtet es von einer seltsamen Methode, ganze Reiter mit Feuer zu um¬ geben und dadurch feindliche Reiterei zu erschrecken und in die Flucht zu jagen — eine Erfindung, die von den Orientalen, wie alles Vorzügliche, Alexander dem Großen zugeschrieben wird. Der Reiter soll sich zu diesem Zwecke mit einem leinenen Burnus bekleiden, der durch und durch mit Rüböl getränkt und mit Wergbüscheln besetzt ist, und das Pferd ebenso einkleiden. Den Kopf soll er mit einem eisernen Helme bedecken, auf dem ein rothes Feuer lodert, das sich von Asphaltfils nährt; die Hände und das Gesicht sollen mit Talk¬ stein eingerieben werden. Dann werden die Wergbüschel angezündet und brennen wie Dochte, Auf solche Weise, wird versichert, hätten sich die Aegypter der tatarischen Reiterheere entledigt. Ein arabisches Manuskript der Pariser Biblio¬ thek erläutert das Verfahren noch dahin, daß unter dem Obergewand ein un- verbrennlich gemachtes Filzkleid zu tragen sei, welches man mit Weinessig, Blutstein, Fischleim und Sandarachharz präparire. Die ausgenähten Werg¬ büschel sollen mit Naphtha getränkt sein. „Reiter, die so ausgerüstet sind." sagt das Manuskript, „flößen den Feinden Gottes Schrecken ein, besonders bei der Nacht; denn die präparirten Reiter gewähren einen ganz fürchterlichen Anblick, zumal wenn sie in geschlossener Masse anrücken." Freilich sei es nothwendig, die Pferde an diese Ausstattung zu gewöhnen, weil sie sonst den Dienst ver¬ sagen. Zu diesem Zwecke verstopfe man ihnen die Ohren mit Baumwolle und lasse dann erst kleine Madfaa auf dem Rücken der Thiere detoniren, lasse ferner Raketen an ihrem Kopfe vorbeisausen, entferne dabei die Baumwolle erst aus dem einen, dann aus dem andern Ohre u. s. w. Vor jedem Reiter müsse aber ein Fußgänger mit Feuerkolben einhergehen. So begleitet sollten die Feuer¬ reiter dem Heere vorausziehen und unter keinen Umständen weichen; denn sonst würden sie die ganze Trnppenmasse in die schlimmste Verwirrung bringen. Sie hätten aber auch niemand zu fürchten; kein Mensch würde es wagen, sie mit dem Säbel oder der Lanze anzugreifen. Alle die Materialien, welche man ^) Das arabische Wort „doMoK" bedeutete ursprünglich Haselnuß; seit dem 10. Jahr¬ hundert bezeichnete es die mit der Armbrust geschossene Kugel; heutzutage ist es ein Aus¬ druck für Handfeuerwaffe überhaupt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/356>, abgerufen am 27.09.2024.