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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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That getrieben. Ein schwarzer UmHang ist von der Schulter der Kindesmör¬
derin herabgeglitten. Ihre schönen Züge, welche natürlich wieder die interessante,
gelbgrüne Leichenblässe zeigen, welche Gabriel Max und Makart gemeinsam ist,
sind durch die Reue über ihre That, durch Verzweifelung, durch Furcht oder
ähnliche Gefühle nicht entstellt. Die Augen sprechen nur wenig mit, da sie
von deu gesenkten Augenlidern halb geschlossen sind. Während sich der Hinter-
und Mittelgrund des Bildes in dämmerhaftes Dunkel verliert, ergießt sich über
das Mädchen und das gemordete, mit grauenerregender Naturwahrheit gemalte
Kind ein greller Schein. Man weiß zwar nicht, von wannen er kommt; aber
er ist da und verfehlt seine gespenstische Wirkung nicht.

Man erzählt, der Künstler habe mit dem Studium von Kinderkadavern
kein Ende finden können! Nicht weniger als fünf Kinderleichen soll er als
Modelle gebraucht haben, bis er seinen Zweck erreicht, und daraus erklärt sich
wohl auch, daß das so zu Stande gekommene Kind schon eine ganz respektable
Größe hat.

Auf diesem Wege ist die Kunst glücklich dahin gerathen, ihre Vorbilder
in der Morgue zu suchen, und darum konnte es uns nicht weiter verwundern,
daß ein Berliner Maler durch die "Kindesmörderin" auf deu Gedanken gebracht
wurde, einen Mann zu malen, der, scheintodt in die Morgue geschafft, plötzlich
inmitten der auf den Tischen aufgelegten Leichname wieder zum Leben erwacht
und mit entsetzensvollen Blicken auf seine grauenhafte Umgebung starrt.

Immerhin treten aber solche künstlerische Erscheinungen wie Gabriel Max,
wie Hans Makart und Arnold Böcklin noch so sporadisch auf, daß von einer
epidemischen Krankheit, welche das Heiligthum der deutschen Kunst zu verwüsten
droht, noch nicht die Rede sein kann. Solche krankhafte Auswüchse hat es am
gesunden Stamm der Kunst immer gegeben, ohne daß dieser in seinem Wachsthum
gefährdet worden wäre .Aber selten ist die Stimmung der Zeit derartigen Ver-
irrungen so günstig gewesen, so sehr entgegengekommen, als in unserer zerris¬
senen, unklaren, in immerwährender Gährung begriffenen Epoche des Ueberganges."


Adolf Rosenberg.


Unser Artikel über Hortschakoff und die fremde Messe.

Der Aufsatz d. Bl. über die Gortschakoff'sche Politik hat auch im Auslande
Aufmerksamkeit erregt und allerlei Besprechungen veranlaßt, die mehr oder
minder Beachtung verdienen. Im Folgenden greifen wir einige von diesen


That getrieben. Ein schwarzer UmHang ist von der Schulter der Kindesmör¬
derin herabgeglitten. Ihre schönen Züge, welche natürlich wieder die interessante,
gelbgrüne Leichenblässe zeigen, welche Gabriel Max und Makart gemeinsam ist,
sind durch die Reue über ihre That, durch Verzweifelung, durch Furcht oder
ähnliche Gefühle nicht entstellt. Die Augen sprechen nur wenig mit, da sie
von deu gesenkten Augenlidern halb geschlossen sind. Während sich der Hinter-
und Mittelgrund des Bildes in dämmerhaftes Dunkel verliert, ergießt sich über
das Mädchen und das gemordete, mit grauenerregender Naturwahrheit gemalte
Kind ein greller Schein. Man weiß zwar nicht, von wannen er kommt; aber
er ist da und verfehlt seine gespenstische Wirkung nicht.

Man erzählt, der Künstler habe mit dem Studium von Kinderkadavern
kein Ende finden können! Nicht weniger als fünf Kinderleichen soll er als
Modelle gebraucht haben, bis er seinen Zweck erreicht, und daraus erklärt sich
wohl auch, daß das so zu Stande gekommene Kind schon eine ganz respektable
Größe hat.

Auf diesem Wege ist die Kunst glücklich dahin gerathen, ihre Vorbilder
in der Morgue zu suchen, und darum konnte es uns nicht weiter verwundern,
daß ein Berliner Maler durch die „Kindesmörderin" auf deu Gedanken gebracht
wurde, einen Mann zu malen, der, scheintodt in die Morgue geschafft, plötzlich
inmitten der auf den Tischen aufgelegten Leichname wieder zum Leben erwacht
und mit entsetzensvollen Blicken auf seine grauenhafte Umgebung starrt.

Immerhin treten aber solche künstlerische Erscheinungen wie Gabriel Max,
wie Hans Makart und Arnold Böcklin noch so sporadisch auf, daß von einer
epidemischen Krankheit, welche das Heiligthum der deutschen Kunst zu verwüsten
droht, noch nicht die Rede sein kann. Solche krankhafte Auswüchse hat es am
gesunden Stamm der Kunst immer gegeben, ohne daß dieser in seinem Wachsthum
gefährdet worden wäre .Aber selten ist die Stimmung der Zeit derartigen Ver-
irrungen so günstig gewesen, so sehr entgegengekommen, als in unserer zerris¬
senen, unklaren, in immerwährender Gährung begriffenen Epoche des Ueberganges."


Adolf Rosenberg.


Unser Artikel über Hortschakoff und die fremde Messe.

Der Aufsatz d. Bl. über die Gortschakoff'sche Politik hat auch im Auslande
Aufmerksamkeit erregt und allerlei Besprechungen veranlaßt, die mehr oder
minder Beachtung verdienen. Im Folgenden greifen wir einige von diesen


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[0034] That getrieben. Ein schwarzer UmHang ist von der Schulter der Kindesmör¬ derin herabgeglitten. Ihre schönen Züge, welche natürlich wieder die interessante, gelbgrüne Leichenblässe zeigen, welche Gabriel Max und Makart gemeinsam ist, sind durch die Reue über ihre That, durch Verzweifelung, durch Furcht oder ähnliche Gefühle nicht entstellt. Die Augen sprechen nur wenig mit, da sie von deu gesenkten Augenlidern halb geschlossen sind. Während sich der Hinter- und Mittelgrund des Bildes in dämmerhaftes Dunkel verliert, ergießt sich über das Mädchen und das gemordete, mit grauenerregender Naturwahrheit gemalte Kind ein greller Schein. Man weiß zwar nicht, von wannen er kommt; aber er ist da und verfehlt seine gespenstische Wirkung nicht. Man erzählt, der Künstler habe mit dem Studium von Kinderkadavern kein Ende finden können! Nicht weniger als fünf Kinderleichen soll er als Modelle gebraucht haben, bis er seinen Zweck erreicht, und daraus erklärt sich wohl auch, daß das so zu Stande gekommene Kind schon eine ganz respektable Größe hat. Auf diesem Wege ist die Kunst glücklich dahin gerathen, ihre Vorbilder in der Morgue zu suchen, und darum konnte es uns nicht weiter verwundern, daß ein Berliner Maler durch die „Kindesmörderin" auf deu Gedanken gebracht wurde, einen Mann zu malen, der, scheintodt in die Morgue geschafft, plötzlich inmitten der auf den Tischen aufgelegten Leichname wieder zum Leben erwacht und mit entsetzensvollen Blicken auf seine grauenhafte Umgebung starrt. Immerhin treten aber solche künstlerische Erscheinungen wie Gabriel Max, wie Hans Makart und Arnold Böcklin noch so sporadisch auf, daß von einer epidemischen Krankheit, welche das Heiligthum der deutschen Kunst zu verwüsten droht, noch nicht die Rede sein kann. Solche krankhafte Auswüchse hat es am gesunden Stamm der Kunst immer gegeben, ohne daß dieser in seinem Wachsthum gefährdet worden wäre .Aber selten ist die Stimmung der Zeit derartigen Ver- irrungen so günstig gewesen, so sehr entgegengekommen, als in unserer zerris¬ senen, unklaren, in immerwährender Gährung begriffenen Epoche des Ueberganges." Adolf Rosenberg. Unser Artikel über Hortschakoff und die fremde Messe. Der Aufsatz d. Bl. über die Gortschakoff'sche Politik hat auch im Auslande Aufmerksamkeit erregt und allerlei Besprechungen veranlaßt, die mehr oder minder Beachtung verdienen. Im Folgenden greifen wir einige von diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/34>, abgerufen am 27.12.2024.