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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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früher Professor der Theologie -- Kaufmann und Fabrikant -- Repräsentant
deutscher Eisenhüttenwerke -- Advokat --- Jurist, Geheimer Oberregierungsrath,
Pensionär -- Rechtsanwalt.

Blicken wir zurück, sortiren wir. Mit einem Juristen begann unsere Liste,
mit einem Juristen endigte sie, Juristen bilden in ihr nahezu die Mehrheit;
nicht weniger als siebzehn von den Herren auf ihr waren oder sind Advokaten.
Die Majorität der Uebrigen besteht aus Publizisten, Professoren, Rentiers und
Pensionären. Nur ganz selten stoßen wir bei ihr auf einen Fabrikanten, einen
aktiven Kaufmann, einen kleineren Landwirth, überhaupt auf jemand, der auf
dem Boden der realen Verhältnisse steht und lebt, der die Fragen, um die es
sich handelt, nicht aus Büchern, sondern aus eigener Erfahrung kennt und zu
beurtheilen vermag.

Werfen wir einen Blick auf die Minorität der 109 Abgeordneten, die am
23. Mai gegen die Bewilligung der Getreidezölle nach der Regierungsvorlage
stimmte und sich dabei wieder einer Majorität von mehr als dem Doppelten
ihrer Stärke gegenübersah, so bemerken wir im Wesentlichen das Gleiche.

Die Schlüsse, die wir daraus ziehen, ergeben sich von selbst, und so
könnten wir sie verschweigen. Wir wollen sie aber mit einigen Erinnerungen
andeuten, die sich uns bei der Musterung unserer Liste aufdrängten, und welche
die freihändlerische Opposition und namentlich deren Führer unserer Empfin¬
dung nach mehr oder minder deutlich begreifen lehren und als Leute charakte-
risiren, welche, wie der Abgeordnete Berger sagte und nachwies, in der Theorie
unübertrefflich sind, auf dem Gebiete der Wirklichkeit, der Praxis aber ohne
Unterlaß in Fehler und Irrthümer verfallen.

Das erste, woran unsere Liste uns erinnerte, ist ein Passus in der Rede
des Reichskanzlers vom 8. Mai, in welcher er dem Abgeordneten Laster be¬
merkte, er treibe die Politik eines Besitzlosen, und in der er dann ungefähr
fortfuhr, wie folgt:

Er gehört zu den Herren, die bisher in allen Stadien der Herstellung
unserer Gesetze die Majorität bildeten, und von denen die Schrift sagt, sie
säen nicht, sie ernten nicht, sie spinnen nicht, sie weben nicht, und doch sind
sie gekleidet und nähren sich. Mit anderen Worten: man wird zugeben müssen,
daß die Mehrheit unserer Gesetzgeber aus solchen besteht, die weder Industrie
noch Landwirthschaft treiben, und diese verlieren leicht den Blick und das
Mitgefühl für die Interessen, die hier von der Regierung vertreten werden.
Sie^ diese Nichtbesitzer, diese Nichtindustriellen in unseren Parlamenten, diese
Legislatoren, die von Gehalt, Honorar, Pension oder Renten leben, von der
Presse, der Advokatur, der Medizin oder irgend einem andern Zweige gelehrten
Erwerbes, namentlich aber die Führer, welche durch ihre Beredtsamkeit und


früher Professor der Theologie — Kaufmann und Fabrikant — Repräsentant
deutscher Eisenhüttenwerke — Advokat -— Jurist, Geheimer Oberregierungsrath,
Pensionär — Rechtsanwalt.

Blicken wir zurück, sortiren wir. Mit einem Juristen begann unsere Liste,
mit einem Juristen endigte sie, Juristen bilden in ihr nahezu die Mehrheit;
nicht weniger als siebzehn von den Herren auf ihr waren oder sind Advokaten.
Die Majorität der Uebrigen besteht aus Publizisten, Professoren, Rentiers und
Pensionären. Nur ganz selten stoßen wir bei ihr auf einen Fabrikanten, einen
aktiven Kaufmann, einen kleineren Landwirth, überhaupt auf jemand, der auf
dem Boden der realen Verhältnisse steht und lebt, der die Fragen, um die es
sich handelt, nicht aus Büchern, sondern aus eigener Erfahrung kennt und zu
beurtheilen vermag.

Werfen wir einen Blick auf die Minorität der 109 Abgeordneten, die am
23. Mai gegen die Bewilligung der Getreidezölle nach der Regierungsvorlage
stimmte und sich dabei wieder einer Majorität von mehr als dem Doppelten
ihrer Stärke gegenübersah, so bemerken wir im Wesentlichen das Gleiche.

Die Schlüsse, die wir daraus ziehen, ergeben sich von selbst, und so
könnten wir sie verschweigen. Wir wollen sie aber mit einigen Erinnerungen
andeuten, die sich uns bei der Musterung unserer Liste aufdrängten, und welche
die freihändlerische Opposition und namentlich deren Führer unserer Empfin¬
dung nach mehr oder minder deutlich begreifen lehren und als Leute charakte-
risiren, welche, wie der Abgeordnete Berger sagte und nachwies, in der Theorie
unübertrefflich sind, auf dem Gebiete der Wirklichkeit, der Praxis aber ohne
Unterlaß in Fehler und Irrthümer verfallen.

Das erste, woran unsere Liste uns erinnerte, ist ein Passus in der Rede
des Reichskanzlers vom 8. Mai, in welcher er dem Abgeordneten Laster be¬
merkte, er treibe die Politik eines Besitzlosen, und in der er dann ungefähr
fortfuhr, wie folgt:

Er gehört zu den Herren, die bisher in allen Stadien der Herstellung
unserer Gesetze die Majorität bildeten, und von denen die Schrift sagt, sie
säen nicht, sie ernten nicht, sie spinnen nicht, sie weben nicht, und doch sind
sie gekleidet und nähren sich. Mit anderen Worten: man wird zugeben müssen,
daß die Mehrheit unserer Gesetzgeber aus solchen besteht, die weder Industrie
noch Landwirthschaft treiben, und diese verlieren leicht den Blick und das
Mitgefühl für die Interessen, die hier von der Regierung vertreten werden.
Sie^ diese Nichtbesitzer, diese Nichtindustriellen in unseren Parlamenten, diese
Legislatoren, die von Gehalt, Honorar, Pension oder Renten leben, von der
Presse, der Advokatur, der Medizin oder irgend einem andern Zweige gelehrten
Erwerbes, namentlich aber die Führer, welche durch ihre Beredtsamkeit und


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[0331] früher Professor der Theologie — Kaufmann und Fabrikant — Repräsentant deutscher Eisenhüttenwerke — Advokat -— Jurist, Geheimer Oberregierungsrath, Pensionär — Rechtsanwalt. Blicken wir zurück, sortiren wir. Mit einem Juristen begann unsere Liste, mit einem Juristen endigte sie, Juristen bilden in ihr nahezu die Mehrheit; nicht weniger als siebzehn von den Herren auf ihr waren oder sind Advokaten. Die Majorität der Uebrigen besteht aus Publizisten, Professoren, Rentiers und Pensionären. Nur ganz selten stoßen wir bei ihr auf einen Fabrikanten, einen aktiven Kaufmann, einen kleineren Landwirth, überhaupt auf jemand, der auf dem Boden der realen Verhältnisse steht und lebt, der die Fragen, um die es sich handelt, nicht aus Büchern, sondern aus eigener Erfahrung kennt und zu beurtheilen vermag. Werfen wir einen Blick auf die Minorität der 109 Abgeordneten, die am 23. Mai gegen die Bewilligung der Getreidezölle nach der Regierungsvorlage stimmte und sich dabei wieder einer Majorität von mehr als dem Doppelten ihrer Stärke gegenübersah, so bemerken wir im Wesentlichen das Gleiche. Die Schlüsse, die wir daraus ziehen, ergeben sich von selbst, und so könnten wir sie verschweigen. Wir wollen sie aber mit einigen Erinnerungen andeuten, die sich uns bei der Musterung unserer Liste aufdrängten, und welche die freihändlerische Opposition und namentlich deren Führer unserer Empfin¬ dung nach mehr oder minder deutlich begreifen lehren und als Leute charakte- risiren, welche, wie der Abgeordnete Berger sagte und nachwies, in der Theorie unübertrefflich sind, auf dem Gebiete der Wirklichkeit, der Praxis aber ohne Unterlaß in Fehler und Irrthümer verfallen. Das erste, woran unsere Liste uns erinnerte, ist ein Passus in der Rede des Reichskanzlers vom 8. Mai, in welcher er dem Abgeordneten Laster be¬ merkte, er treibe die Politik eines Besitzlosen, und in der er dann ungefähr fortfuhr, wie folgt: Er gehört zu den Herren, die bisher in allen Stadien der Herstellung unserer Gesetze die Majorität bildeten, und von denen die Schrift sagt, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie spinnen nicht, sie weben nicht, und doch sind sie gekleidet und nähren sich. Mit anderen Worten: man wird zugeben müssen, daß die Mehrheit unserer Gesetzgeber aus solchen besteht, die weder Industrie noch Landwirthschaft treiben, und diese verlieren leicht den Blick und das Mitgefühl für die Interessen, die hier von der Regierung vertreten werden. Sie^ diese Nichtbesitzer, diese Nichtindustriellen in unseren Parlamenten, diese Legislatoren, die von Gehalt, Honorar, Pension oder Renten leben, von der Presse, der Advokatur, der Medizin oder irgend einem andern Zweige gelehrten Erwerbes, namentlich aber die Führer, welche durch ihre Beredtsamkeit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/331>, abgerufen am 27.09.2024.