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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Boden einer einheitlichen deutschen Volkswirthschaft, welchen der Zollverein
frei machte, mit der andern Hand wieder zu zerreißen. Den Schlüssel des
indirekten Steuersystems kann in einem getheilten Staat nur die Zentralgewalt
fuhren; der Zollverein besaß gewisse gemeinsame Institutionen, sogar gewisse
gemeinsame Finanzen, aber keine Zentralgewalt. So gab es außer den nicht
einmal gemeinsam verwalteten Eingangszöllen kein gemeinsames, geschweige
denn ein zentrales Steuersystem, darum aber auch in den einzelnen Zollver¬
einsstaaten nur ein schwach entwickeltes indirektes Steuersystem. Die Erschlie¬
ßung dieser wichtigsten Finanzquelle, wie sie erst durch die Errichtung einer
deutschen Zentralgewalt möglich geworden, führt zur Unifikation der deutschen
Staatsfinanzen. Denn wie das indirekte Steuersystem schon als Finanzquelle
der Einzelstaaten wenig ausbildungsfähig war zur Zeit, als es noch keine
gemeinsamen Steuern geben konnte, so würde es zum völligen Widersinn,
wenn es sich mit einem indirekten Reichssteuersystem in irgend erheblichem
Maße kreuzen sollte. Den Einzelstaaten bleiben also mehr und mehr nur die
direkten Steuern, so lange sie ihre Finanzen auf eigene Quellen basiren müssen.
Aber diese Steuern werden ihnen von der andern Seite durch die Ausbildung
und die wachsenden Bedürfnisse der lokalen Selbstverwaltung mehr und mehr
auf dem Wege einer naturgemäßen und nothwendigen Entwickelung entzogen.
Gerade wie die indirekte Steuer nur in den Händen der Zentralgewalt ver¬
meiden kann, Schaden zu stiften, und nur in denselben Händen es erreichen kann,
gewaltigen Nutzen zu bringen, so kann die direkte Steuer mir in den Händen
der lokalen Selbstverwaltung beides bleiben: zugleich gerecht und leistungsfähig
zur Aufbringung hoher Erträge. Daher gehen die deutschen Staatsfinanzen
der Einzelstaaten und des Reiches nothwendig und naturgemäß der Unifikation
durch ein zentrales, indirektes Steuersystem entgegen. Soll dieser Weg nicht
eingeschlagen werden, so wird das Reich nie zu kräftigen Finanzen gelangen,
aber auch die Einzelstaaten werden es nicht; denn wie mit der reicheren sozialen
Entwickelung die Staatsbedürfnisse wachsen, wenn auch nicht im Verhältniß
der ersteren, so reichen die direkten Steuern schon nicht mehr für das Bedürf¬
niß der Einzelstaaten aus und drücken, so lange sie deren Hauptquelle bleiben,
auf das Gedeihen der Selbstverwaltung. Mit den direkten Steuern den drei
Kreisen der Selbstverwaltung, des Einzelstaates und des Reiches zu genügen,
ist ein wesenloser Gedanke. Wollten die Einzelstaaten völlig unabhängig in
ihren Finanzquellen bleiben, so könnten sie dies nur um den Preis, zugleich
das Reich und sich selbst zu verkümmern. So verblendet partikularistisch> so
unpatriotisch und arti-national ist heute nicht mehr die Gesinnung bundesstaat¬
licher Regierungen, sondern nur noch der Doktrinarismus "entschieden" liberaler
Parlamentarier. Bis dahin der erste Abschnitt der Bismarck'schen Schlußkette.


Boden einer einheitlichen deutschen Volkswirthschaft, welchen der Zollverein
frei machte, mit der andern Hand wieder zu zerreißen. Den Schlüssel des
indirekten Steuersystems kann in einem getheilten Staat nur die Zentralgewalt
fuhren; der Zollverein besaß gewisse gemeinsame Institutionen, sogar gewisse
gemeinsame Finanzen, aber keine Zentralgewalt. So gab es außer den nicht
einmal gemeinsam verwalteten Eingangszöllen kein gemeinsames, geschweige
denn ein zentrales Steuersystem, darum aber auch in den einzelnen Zollver¬
einsstaaten nur ein schwach entwickeltes indirektes Steuersystem. Die Erschlie¬
ßung dieser wichtigsten Finanzquelle, wie sie erst durch die Errichtung einer
deutschen Zentralgewalt möglich geworden, führt zur Unifikation der deutschen
Staatsfinanzen. Denn wie das indirekte Steuersystem schon als Finanzquelle
der Einzelstaaten wenig ausbildungsfähig war zur Zeit, als es noch keine
gemeinsamen Steuern geben konnte, so würde es zum völligen Widersinn,
wenn es sich mit einem indirekten Reichssteuersystem in irgend erheblichem
Maße kreuzen sollte. Den Einzelstaaten bleiben also mehr und mehr nur die
direkten Steuern, so lange sie ihre Finanzen auf eigene Quellen basiren müssen.
Aber diese Steuern werden ihnen von der andern Seite durch die Ausbildung
und die wachsenden Bedürfnisse der lokalen Selbstverwaltung mehr und mehr
auf dem Wege einer naturgemäßen und nothwendigen Entwickelung entzogen.
Gerade wie die indirekte Steuer nur in den Händen der Zentralgewalt ver¬
meiden kann, Schaden zu stiften, und nur in denselben Händen es erreichen kann,
gewaltigen Nutzen zu bringen, so kann die direkte Steuer mir in den Händen
der lokalen Selbstverwaltung beides bleiben: zugleich gerecht und leistungsfähig
zur Aufbringung hoher Erträge. Daher gehen die deutschen Staatsfinanzen
der Einzelstaaten und des Reiches nothwendig und naturgemäß der Unifikation
durch ein zentrales, indirektes Steuersystem entgegen. Soll dieser Weg nicht
eingeschlagen werden, so wird das Reich nie zu kräftigen Finanzen gelangen,
aber auch die Einzelstaaten werden es nicht; denn wie mit der reicheren sozialen
Entwickelung die Staatsbedürfnisse wachsen, wenn auch nicht im Verhältniß
der ersteren, so reichen die direkten Steuern schon nicht mehr für das Bedürf¬
niß der Einzelstaaten aus und drücken, so lange sie deren Hauptquelle bleiben,
auf das Gedeihen der Selbstverwaltung. Mit den direkten Steuern den drei
Kreisen der Selbstverwaltung, des Einzelstaates und des Reiches zu genügen,
ist ein wesenloser Gedanke. Wollten die Einzelstaaten völlig unabhängig in
ihren Finanzquellen bleiben, so könnten sie dies nur um den Preis, zugleich
das Reich und sich selbst zu verkümmern. So verblendet partikularistisch> so
unpatriotisch und arti-national ist heute nicht mehr die Gesinnung bundesstaat¬
licher Regierungen, sondern nur noch der Doktrinarismus „entschieden" liberaler
Parlamentarier. Bis dahin der erste Abschnitt der Bismarck'schen Schlußkette.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/324>, abgerufen am 27.09.2024.