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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, beträchtlich größer sein, als bei schweren
und gefährlichen Arbeiten. Man denke z. B. an die Arbeit eines Telegraphisten,
die voraussetzt, daß die Hand in gewissem Takte regelmäßige Bewegungen aus¬
führt, aber sonst wenig Anstrengung erfordert, oder eines Klavierspielers, der
in derselben Lage ist, oder eines Sängers, dessen Stimme schnell verloren gehen
kann, oder eines Schauspielers, der das Gehör oder die Schärfe des Gedächt¬
nisses einbüßt u. tgi. In der That zeigen auch die Bühnenkünstler eine sehr
große Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, wie aus einer Abhandlung des
Verfassers in Elsner's Versicherungszeitung (1875, Ur. 89) hervorgeht.

Man erkennt aus allen diesen Betrachtungen, daß bei Errichtung einer auf
rationeller Basis ruhenden Invalidenkasse vieles zu untersuchen und zu erledigen
ist, bevor man zum Ziele gelangt, die ganze Sache überhaupt eine überaus
schwierige ist. Es handelt sich um die Wahrscheinlichkeit des Jnvalidwerdens
für den in Frage stehenden Beruf, um die Sterbens-Wahrscheinlichkeit sowohl
der arbeitsfähigen Personen als auch der Invaliden, die beide sehr verschieden
sein können, und dies Alles für alle Lebensjahre. Bei einer Invalidenkasse,
die allen Personen ohne Ausnahme zugänglich sein soll, mehren sich diese
Schwierigkeiten noch dadurch, daß eine solche Anstalt für jede Gefahrenklasse
einen besondern Beitragstarif haben muß und trotzdem oft genug in die Lage
kommen dürfte, bei Klassifizirung einer Person auf Schwierigkeiten zu stoßen.

Nun sind zur Zeit, wie schon oben bemerkt, diese Unterlagen, die Eisenbahn¬
beamten ausgenommen, noch gar nicht vorhanden. Eine allgemeine Invaliden¬
kasse zu gründen, ist daher für jetzt unmöglich, und wenn es für einen bestimmten
Beruf doch geschehen soll, so kann man es wenigstens nur annäherungsweise
den Regeln der Wissenschaft entsprechend anfangen. Man wird sich darauf
beschränken müssen, auf Bildung eines ansehnlichen Fonds Bedacht zu nehmen
und sich so gewissermaßen für die Zukunft wehrfähig zu machen. Ferner wird
man die eigenen Erfahrungen sorgfältig sammeln und der Rechnung zugänglich
machen müssen. Vor Allem aber wird zu vermeiden sein, die Beiträge nur aus
dem Grunde, um möglichst viele Mitglieder anzulocken, sehr gering anzusetzen,
Wie es in der That geschehen ist. Solche Fehler des Leichtsinnes rächen sich,
wenn auch vielleicht erst in später Zukunft, sehr empfindlich.

Anstalten, welche auf Lebens-Wahrscheinlichkeiten beruhen, wozu die Jn-
validenkassen mit gehören, müssen nach Ablauf gewisser Fristen nach den Regeln
der Wahrscheinlichkeitsrechnung untersuchen, ob der von denselben angesammelte
Fonds genügend ist zur Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeiten. Eine
solche Untersuchung wird eine technische Bilanz genannt und von den größeren
Lebensversicherungsanstalten alljährlich vorgenommen, von kleineren Kassen nach
fünf, wenigstens nach zehn Jahren. Man bestimmt die Aktiven und Passiver


Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, beträchtlich größer sein, als bei schweren
und gefährlichen Arbeiten. Man denke z. B. an die Arbeit eines Telegraphisten,
die voraussetzt, daß die Hand in gewissem Takte regelmäßige Bewegungen aus¬
führt, aber sonst wenig Anstrengung erfordert, oder eines Klavierspielers, der
in derselben Lage ist, oder eines Sängers, dessen Stimme schnell verloren gehen
kann, oder eines Schauspielers, der das Gehör oder die Schärfe des Gedächt¬
nisses einbüßt u. tgi. In der That zeigen auch die Bühnenkünstler eine sehr
große Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, wie aus einer Abhandlung des
Verfassers in Elsner's Versicherungszeitung (1875, Ur. 89) hervorgeht.

Man erkennt aus allen diesen Betrachtungen, daß bei Errichtung einer auf
rationeller Basis ruhenden Invalidenkasse vieles zu untersuchen und zu erledigen
ist, bevor man zum Ziele gelangt, die ganze Sache überhaupt eine überaus
schwierige ist. Es handelt sich um die Wahrscheinlichkeit des Jnvalidwerdens
für den in Frage stehenden Beruf, um die Sterbens-Wahrscheinlichkeit sowohl
der arbeitsfähigen Personen als auch der Invaliden, die beide sehr verschieden
sein können, und dies Alles für alle Lebensjahre. Bei einer Invalidenkasse,
die allen Personen ohne Ausnahme zugänglich sein soll, mehren sich diese
Schwierigkeiten noch dadurch, daß eine solche Anstalt für jede Gefahrenklasse
einen besondern Beitragstarif haben muß und trotzdem oft genug in die Lage
kommen dürfte, bei Klassifizirung einer Person auf Schwierigkeiten zu stoßen.

Nun sind zur Zeit, wie schon oben bemerkt, diese Unterlagen, die Eisenbahn¬
beamten ausgenommen, noch gar nicht vorhanden. Eine allgemeine Invaliden¬
kasse zu gründen, ist daher für jetzt unmöglich, und wenn es für einen bestimmten
Beruf doch geschehen soll, so kann man es wenigstens nur annäherungsweise
den Regeln der Wissenschaft entsprechend anfangen. Man wird sich darauf
beschränken müssen, auf Bildung eines ansehnlichen Fonds Bedacht zu nehmen
und sich so gewissermaßen für die Zukunft wehrfähig zu machen. Ferner wird
man die eigenen Erfahrungen sorgfältig sammeln und der Rechnung zugänglich
machen müssen. Vor Allem aber wird zu vermeiden sein, die Beiträge nur aus
dem Grunde, um möglichst viele Mitglieder anzulocken, sehr gering anzusetzen,
Wie es in der That geschehen ist. Solche Fehler des Leichtsinnes rächen sich,
wenn auch vielleicht erst in später Zukunft, sehr empfindlich.

Anstalten, welche auf Lebens-Wahrscheinlichkeiten beruhen, wozu die Jn-
validenkassen mit gehören, müssen nach Ablauf gewisser Fristen nach den Regeln
der Wahrscheinlichkeitsrechnung untersuchen, ob der von denselben angesammelte
Fonds genügend ist zur Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeiten. Eine
solche Untersuchung wird eine technische Bilanz genannt und von den größeren
Lebensversicherungsanstalten alljährlich vorgenommen, von kleineren Kassen nach
fünf, wenigstens nach zehn Jahren. Man bestimmt die Aktiven und Passiver


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[0319] Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, beträchtlich größer sein, als bei schweren und gefährlichen Arbeiten. Man denke z. B. an die Arbeit eines Telegraphisten, die voraussetzt, daß die Hand in gewissem Takte regelmäßige Bewegungen aus¬ führt, aber sonst wenig Anstrengung erfordert, oder eines Klavierspielers, der in derselben Lage ist, oder eines Sängers, dessen Stimme schnell verloren gehen kann, oder eines Schauspielers, der das Gehör oder die Schärfe des Gedächt¬ nisses einbüßt u. tgi. In der That zeigen auch die Bühnenkünstler eine sehr große Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, wie aus einer Abhandlung des Verfassers in Elsner's Versicherungszeitung (1875, Ur. 89) hervorgeht. Man erkennt aus allen diesen Betrachtungen, daß bei Errichtung einer auf rationeller Basis ruhenden Invalidenkasse vieles zu untersuchen und zu erledigen ist, bevor man zum Ziele gelangt, die ganze Sache überhaupt eine überaus schwierige ist. Es handelt sich um die Wahrscheinlichkeit des Jnvalidwerdens für den in Frage stehenden Beruf, um die Sterbens-Wahrscheinlichkeit sowohl der arbeitsfähigen Personen als auch der Invaliden, die beide sehr verschieden sein können, und dies Alles für alle Lebensjahre. Bei einer Invalidenkasse, die allen Personen ohne Ausnahme zugänglich sein soll, mehren sich diese Schwierigkeiten noch dadurch, daß eine solche Anstalt für jede Gefahrenklasse einen besondern Beitragstarif haben muß und trotzdem oft genug in die Lage kommen dürfte, bei Klassifizirung einer Person auf Schwierigkeiten zu stoßen. Nun sind zur Zeit, wie schon oben bemerkt, diese Unterlagen, die Eisenbahn¬ beamten ausgenommen, noch gar nicht vorhanden. Eine allgemeine Invaliden¬ kasse zu gründen, ist daher für jetzt unmöglich, und wenn es für einen bestimmten Beruf doch geschehen soll, so kann man es wenigstens nur annäherungsweise den Regeln der Wissenschaft entsprechend anfangen. Man wird sich darauf beschränken müssen, auf Bildung eines ansehnlichen Fonds Bedacht zu nehmen und sich so gewissermaßen für die Zukunft wehrfähig zu machen. Ferner wird man die eigenen Erfahrungen sorgfältig sammeln und der Rechnung zugänglich machen müssen. Vor Allem aber wird zu vermeiden sein, die Beiträge nur aus dem Grunde, um möglichst viele Mitglieder anzulocken, sehr gering anzusetzen, Wie es in der That geschehen ist. Solche Fehler des Leichtsinnes rächen sich, wenn auch vielleicht erst in später Zukunft, sehr empfindlich. Anstalten, welche auf Lebens-Wahrscheinlichkeiten beruhen, wozu die Jn- validenkassen mit gehören, müssen nach Ablauf gewisser Fristen nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung untersuchen, ob der von denselben angesammelte Fonds genügend ist zur Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeiten. Eine solche Untersuchung wird eine technische Bilanz genannt und von den größeren Lebensversicherungsanstalten alljährlich vorgenommen, von kleineren Kassen nach fünf, wenigstens nach zehn Jahren. Man bestimmt die Aktiven und Passiver

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/319>, abgerufen am 27.09.2024.