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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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herkommen sollte, als der "Hausvater" erschien. In ihm erkannte sogleich der
rechtschaffene Mann, was ihm das Theater noch um so theurer machen mußte,
das allgemein Menschliche. Auch der Schauspieler lernte von ihm: er solle
nichts ausdrücken als was jeder ausdrücken konnte, der es verstand und fühlte;
und daß jeder seine Rolle verstand und fühlte, dafür hatte Diderot gesorgt."

Wo Lessing nicht durch Prätensionen gereizt wird, geht er in den "Literatur¬
briefen" im Ganzen glimpflich zu Werke. So läßt er sich die Nymphen im
Reifrock und die galanten Marquis im Schäferkostüm gefallen, die in Gleim's
und Weiße's "scherzhaften Liedern" sich breit machen; für die "Tändeleien"
v. Gerstenberg's, der damals in Jena studirte, wird er sogar warm: und
doch waren diese kleinen, halb poetischen, halb prosaischen Bilderchen von
Faunen, Nymphen, Amoretten, Schäfern und Schäferinnen eigentlich den
Franzosen abgesehen.

Dagegen ist die Anzeige, die Lessing im Januar 1759 über Wieland
gibt, bis zur Grausamkeit hart; er zählt sein ganzes Südenregister auf und
geht bis zu seiner Knabenzeit in Klosterbergen zurück! Er nennt ihn einen
bedeutenden Dichter, aber zählt nur seine Schwächen auf, hauptsächlich spottet
er über seine verhimmelnden Bilder.

"Wieland ist ein erklärter Feind von Allem, was einige Anstrengung
des Verstandes erfordert, und da er alle Wissenschaften in ein artiges Geschwätz
verwandelt wissen will, warum nicht auch die Theologie? . . . Die christliche
Religion ist bei ihm immer das dritte Wort: man prahlt oft mit dem, was
man gar nicht hat!... Er beschreibt Empfindungen eines Christen: eines Christen
nämlich, der zugleich ein witziger Kopf ist, der die Geheimnisse der Religion
zu Gegenständen des schönen Denkens macht, der sich in die Ausschweifungen
seiner Einbildungskraft verliebt, und darin die Religion zu haben glaubt; der,
um mit seinen geistlichen Schriften zugleich zu amüsiren, die Religion weg¬
witzelt."

Ans Wie land mußte diese Kritik einen seltsamen Eindruck machen: er
wurde gescholten wegen eines Standpunktes, den er bereits völlig überwunden
zu haben glaubte. Seine Werke aus dem Jahre vorher, ein Epos in Hexa¬
metern, nach der Cyropädie bearbeitet, und eine Tragödie "Johanna Gray"
in fünffüßigen Jamben predigen freilich ein leeres Tugend-Ideal und sind ganz
Grandison, bewegen sich aber doch nicht mehr im Aether. Und weit mehr noch
als in seinen Dichtungen spricht sich seine Sinnesänderung in den Briefen an
Zimmermann vom Jahre 1758 aus.

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Mvnäo. Plato war einst mein Liebling, jetzt ist es Xenophon. Und doch


herkommen sollte, als der „Hausvater" erschien. In ihm erkannte sogleich der
rechtschaffene Mann, was ihm das Theater noch um so theurer machen mußte,
das allgemein Menschliche. Auch der Schauspieler lernte von ihm: er solle
nichts ausdrücken als was jeder ausdrücken konnte, der es verstand und fühlte;
und daß jeder seine Rolle verstand und fühlte, dafür hatte Diderot gesorgt."

Wo Lessing nicht durch Prätensionen gereizt wird, geht er in den „Literatur¬
briefen" im Ganzen glimpflich zu Werke. So läßt er sich die Nymphen im
Reifrock und die galanten Marquis im Schäferkostüm gefallen, die in Gleim's
und Weiße's „scherzhaften Liedern" sich breit machen; für die „Tändeleien"
v. Gerstenberg's, der damals in Jena studirte, wird er sogar warm: und
doch waren diese kleinen, halb poetischen, halb prosaischen Bilderchen von
Faunen, Nymphen, Amoretten, Schäfern und Schäferinnen eigentlich den
Franzosen abgesehen.

Dagegen ist die Anzeige, die Lessing im Januar 1759 über Wieland
gibt, bis zur Grausamkeit hart; er zählt sein ganzes Südenregister auf und
geht bis zu seiner Knabenzeit in Klosterbergen zurück! Er nennt ihn einen
bedeutenden Dichter, aber zählt nur seine Schwächen auf, hauptsächlich spottet
er über seine verhimmelnden Bilder.

„Wieland ist ein erklärter Feind von Allem, was einige Anstrengung
des Verstandes erfordert, und da er alle Wissenschaften in ein artiges Geschwätz
verwandelt wissen will, warum nicht auch die Theologie? . . . Die christliche
Religion ist bei ihm immer das dritte Wort: man prahlt oft mit dem, was
man gar nicht hat!... Er beschreibt Empfindungen eines Christen: eines Christen
nämlich, der zugleich ein witziger Kopf ist, der die Geheimnisse der Religion
zu Gegenständen des schönen Denkens macht, der sich in die Ausschweifungen
seiner Einbildungskraft verliebt, und darin die Religion zu haben glaubt; der,
um mit seinen geistlichen Schriften zugleich zu amüsiren, die Religion weg¬
witzelt."

Ans Wie land mußte diese Kritik einen seltsamen Eindruck machen: er
wurde gescholten wegen eines Standpunktes, den er bereits völlig überwunden
zu haben glaubte. Seine Werke aus dem Jahre vorher, ein Epos in Hexa¬
metern, nach der Cyropädie bearbeitet, und eine Tragödie „Johanna Gray"
in fünffüßigen Jamben predigen freilich ein leeres Tugend-Ideal und sind ganz
Grandison, bewegen sich aber doch nicht mehr im Aether. Und weit mehr noch
als in seinen Dichtungen spricht sich seine Sinnesänderung in den Briefen an
Zimmermann vom Jahre 1758 aus.

„>1c> suis xas Mssi ?lÄtorli^ii6 <zus vous ins vroz^W, Ur. 1s Dootsur.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/306>, abgerufen am 27.09.2024.