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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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der Beschauer gegriffen; darum breitete der Maler über dem unglücklichen, ver¬
nachlässigten Geschöpfe den Hauch der Verwesung aus, den grünlichen Ton,
welchen gewöhnlich erst die "Wasserleichen" anzunehmen pflegen. Daß das Bild
virtuos gemalt ist, wird durch unsere Besprechung vorausgesetzt. Stümpereien
ignorirt man. Aber der Maler, mit dem wir uns hier beschäftigen, hat wie
kaum ein zweiter alle Töne in seiner Gewalt, mit denen er auf unklare,
weiche Gemüther wirken kann. Man hat gesagt, diese Julia "mit den dunklen
Flechten und dem scharf gezeichneten Munde" könnte ebensowohl eine Miranda,
eine Desdemona, eine Perdita, eine Helena, eine Viola fein. Gewiß. Denn
es fehlt ihr jede Spur von Individualität. Es ist der Max'sche Typus, der
auf allen seinen Gemälden wiederkehrt, von der Lampenverkäuferin an, die den¬
selben scharf geschnittenen Mund, dieselben hageren, vergrämten Züge dem allge¬
meinen Mitleid darbietet. Im Grunde genommen kehrt überall dasselbe Grund¬
thema wieder; nur die Maskerade ist anders, und die Variationen sind so kunst¬
voll arrangirt, daß der harmlose Beschauer gar nicht bis aus den Grund
blicken kann.

Das Motiv zu dem nächsten Bilde war einem Gedichte Chamisso's ent¬
lehnt, der "Löwenbraut". Im Käfig des Löwen liegt die entseelte Tochter des
Thierbändigers, den Brautkranz im Haar, auf dem Boden, die Hände im Todes¬
kampfe in den Sand gegraben:


"Die schöne Gestalt, ein gräßlicher Raub,
Liegt blutig, zerrissen, entstellt in dem Staub."

Der Löwe hat seine Tatzen auf den Körper des Mädchens gelegt, das er eben
getödtet, und erwartet mit erhobenem Haupte, trotzigen Muthes die Kugel aus
der Büchse des ergrimmten Bräutigams, der von draußen herbeistürzt. Der
Löwe legt Zeugniß dafür ab, daß Gabriel Max sich eifrig mit dem Thier¬
studium befaßt hat. Er hätte freilich ein schöneres und kräftigeres Exemplar
auswählen können. Aber um eine so schwächliche Gestalt, die kaum das Kleid
ausfüllt, niederzustrecken, bedürfte es auch keines stolzen Wüstenkönigs. Dem
Bilde fehlt es übrigens an dem Farbenreiz, an der Zartheit des Kolorits, an
der träumerischen Harmonie, die wir an den Gemälden des Künstlers immer
noch bewundern müssen, auch wenn wir sonst nichts zu bewundern haben. Das
Rosa des Kleides, das schmutzige Gelb des Löwen und das graue Grün der
Bäume außerhalb des Käfigs vereinigen sich zu einer Disharmonie, wie sie
schriller und unangenehmer kaum gedacht werden kann.

Im Jahre 1875 versuchte sich Max -- ich glaube zum ersten Male --
auf dem religiösen Gebiete, indem er den Heiland am Bette eines sterbenden
Mädchens als Herrn über Leben und Tod darstellte. Der Maler sagt nur:
"Christus, eine Todte erweckend." Die Frage, ob des Jairus' Töchterlein mit


der Beschauer gegriffen; darum breitete der Maler über dem unglücklichen, ver¬
nachlässigten Geschöpfe den Hauch der Verwesung aus, den grünlichen Ton,
welchen gewöhnlich erst die „Wasserleichen" anzunehmen pflegen. Daß das Bild
virtuos gemalt ist, wird durch unsere Besprechung vorausgesetzt. Stümpereien
ignorirt man. Aber der Maler, mit dem wir uns hier beschäftigen, hat wie
kaum ein zweiter alle Töne in seiner Gewalt, mit denen er auf unklare,
weiche Gemüther wirken kann. Man hat gesagt, diese Julia „mit den dunklen
Flechten und dem scharf gezeichneten Munde" könnte ebensowohl eine Miranda,
eine Desdemona, eine Perdita, eine Helena, eine Viola fein. Gewiß. Denn
es fehlt ihr jede Spur von Individualität. Es ist der Max'sche Typus, der
auf allen seinen Gemälden wiederkehrt, von der Lampenverkäuferin an, die den¬
selben scharf geschnittenen Mund, dieselben hageren, vergrämten Züge dem allge¬
meinen Mitleid darbietet. Im Grunde genommen kehrt überall dasselbe Grund¬
thema wieder; nur die Maskerade ist anders, und die Variationen sind so kunst¬
voll arrangirt, daß der harmlose Beschauer gar nicht bis aus den Grund
blicken kann.

Das Motiv zu dem nächsten Bilde war einem Gedichte Chamisso's ent¬
lehnt, der „Löwenbraut". Im Käfig des Löwen liegt die entseelte Tochter des
Thierbändigers, den Brautkranz im Haar, auf dem Boden, die Hände im Todes¬
kampfe in den Sand gegraben:


„Die schöne Gestalt, ein gräßlicher Raub,
Liegt blutig, zerrissen, entstellt in dem Staub."

Der Löwe hat seine Tatzen auf den Körper des Mädchens gelegt, das er eben
getödtet, und erwartet mit erhobenem Haupte, trotzigen Muthes die Kugel aus
der Büchse des ergrimmten Bräutigams, der von draußen herbeistürzt. Der
Löwe legt Zeugniß dafür ab, daß Gabriel Max sich eifrig mit dem Thier¬
studium befaßt hat. Er hätte freilich ein schöneres und kräftigeres Exemplar
auswählen können. Aber um eine so schwächliche Gestalt, die kaum das Kleid
ausfüllt, niederzustrecken, bedürfte es auch keines stolzen Wüstenkönigs. Dem
Bilde fehlt es übrigens an dem Farbenreiz, an der Zartheit des Kolorits, an
der träumerischen Harmonie, die wir an den Gemälden des Künstlers immer
noch bewundern müssen, auch wenn wir sonst nichts zu bewundern haben. Das
Rosa des Kleides, das schmutzige Gelb des Löwen und das graue Grün der
Bäume außerhalb des Käfigs vereinigen sich zu einer Disharmonie, wie sie
schriller und unangenehmer kaum gedacht werden kann.

Im Jahre 1875 versuchte sich Max — ich glaube zum ersten Male —
auf dem religiösen Gebiete, indem er den Heiland am Bette eines sterbenden
Mädchens als Herrn über Leben und Tod darstellte. Der Maler sagt nur:
„Christus, eine Todte erweckend." Die Frage, ob des Jairus' Töchterlein mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/30>, abgerufen am 27.09.2024.