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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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eigentlichen Typus der türkischen Dinge verändert solcher Wechsel kaum auf
der Oberfläche, und wer einmal in die bezüglichen Verhältnisse sich eingelebt
hat, wird für alle eintretenden Fälle der Orientirung nicht ermangeln. Mit
einer gewissen Milde im Auftreten verbindet Fürst Lobcmoff eine den hohen
russischen Beamten nicht häufig eigene Urbanität. Er kann sehr verbindlich
sein und nimmt keinen Anstand, diese seine Eigenschaft selbst da, wo er formelle
und ganz kategorische Forderungen zu stellen hat, nach Möglichkeit noch vorwiegen
zu lassen. Dies war unmittelbar nach dem Februar-Verträge der Fall. Seine
damals in der Angelegenheit der Kriegsentschädigungs-Frage eingereichten Noten
gaben den ihm gewordenen Aufträgen augenscheinlich den bestimmtesten Ausdruck,
aber immer doch in einer Art und Weise, welche alles Verletzende sorgsam
vermied.

Unter den, den gegenwärtigen Repräsentanten des Kaisers Alexander bei
der Pforte umgebenden Persönlichkeiten nimmt, wenn auch nicht dem Range,
so doch der eigentlichen Bedeutung nach, Staatsrath Onon die hervor¬
ragendste Stellung ein. Seit etwa zwanzig Jahren bereits in Konstantinopel
und unausgesetzt im dortigen diplomatischen Dienst in der Branche des Drago-
manats verwendet, für welche er die trefflichste Vorbereitung als ehemaliger
Zögling der orientalischen Akademie zu Se. Petersburg erhalten hatte, war er
der beste Gehilfe, den General Jgnatieff, als es sich um die Präliminarien
handelte, auswählen konnte, und wenn bei diesen Verhandlungen Fehler be¬
gangen worden sind, so kommen sie auf Onon's Rechnung am allerwenigsten.
Entschiedener noch traten seine eminenten Fähigkeiten bei Einleitung und
Durchführung der in jeder Beziehung höchst schwierigen Negoziation her¬
vor, welche er an der Seite des Fürsten Lobanoff und wohl eigentlich als
dessen rechte Hand, im letztvergangenen Winter zu führen hatte, und deren
Endergebniß der Traktat vom 8. Februar war. Wenn die Angabe be¬
gründet wäre, wonach der heutige russische Vertreter demnächst vou seinem
hiesigen Posten abberufen werden würde, um in London an die Stelle des
Grafen Peter Schuwaloff zu treten, so könnte unter allen Umständen des Staats¬
rathes Onon Bedeutung dadurch nur gesteigert werden, weil jeder neue czarische
Botschafter zu Konstantinopel, wer es auch immer werden möge, bei Erle¬
digung der an ihn übergehenden Hauptfragen der Beihilfe eines Mannes nicht
entbehren könnte, der so wie jener heute als die bedeutendste russische Autorität
in orientalischen Dingen angesehen werden muß.

Der Augenblick, in dem ich dies schreibe, ist einer der wichtigsten für die
Weiterentwickelung der Beziehungen Rußland's zur Türkei. Seit dem 3. Mai
Abends weilt der General-Adjutant des Czaren, Obrutscheff, hier und hatte
bald danach eine Audienz beim Sultan, um demselben ein autographes


eigentlichen Typus der türkischen Dinge verändert solcher Wechsel kaum auf
der Oberfläche, und wer einmal in die bezüglichen Verhältnisse sich eingelebt
hat, wird für alle eintretenden Fälle der Orientirung nicht ermangeln. Mit
einer gewissen Milde im Auftreten verbindet Fürst Lobcmoff eine den hohen
russischen Beamten nicht häufig eigene Urbanität. Er kann sehr verbindlich
sein und nimmt keinen Anstand, diese seine Eigenschaft selbst da, wo er formelle
und ganz kategorische Forderungen zu stellen hat, nach Möglichkeit noch vorwiegen
zu lassen. Dies war unmittelbar nach dem Februar-Verträge der Fall. Seine
damals in der Angelegenheit der Kriegsentschädigungs-Frage eingereichten Noten
gaben den ihm gewordenen Aufträgen augenscheinlich den bestimmtesten Ausdruck,
aber immer doch in einer Art und Weise, welche alles Verletzende sorgsam
vermied.

Unter den, den gegenwärtigen Repräsentanten des Kaisers Alexander bei
der Pforte umgebenden Persönlichkeiten nimmt, wenn auch nicht dem Range,
so doch der eigentlichen Bedeutung nach, Staatsrath Onon die hervor¬
ragendste Stellung ein. Seit etwa zwanzig Jahren bereits in Konstantinopel
und unausgesetzt im dortigen diplomatischen Dienst in der Branche des Drago-
manats verwendet, für welche er die trefflichste Vorbereitung als ehemaliger
Zögling der orientalischen Akademie zu Se. Petersburg erhalten hatte, war er
der beste Gehilfe, den General Jgnatieff, als es sich um die Präliminarien
handelte, auswählen konnte, und wenn bei diesen Verhandlungen Fehler be¬
gangen worden sind, so kommen sie auf Onon's Rechnung am allerwenigsten.
Entschiedener noch traten seine eminenten Fähigkeiten bei Einleitung und
Durchführung der in jeder Beziehung höchst schwierigen Negoziation her¬
vor, welche er an der Seite des Fürsten Lobanoff und wohl eigentlich als
dessen rechte Hand, im letztvergangenen Winter zu führen hatte, und deren
Endergebniß der Traktat vom 8. Februar war. Wenn die Angabe be¬
gründet wäre, wonach der heutige russische Vertreter demnächst vou seinem
hiesigen Posten abberufen werden würde, um in London an die Stelle des
Grafen Peter Schuwaloff zu treten, so könnte unter allen Umständen des Staats¬
rathes Onon Bedeutung dadurch nur gesteigert werden, weil jeder neue czarische
Botschafter zu Konstantinopel, wer es auch immer werden möge, bei Erle¬
digung der an ihn übergehenden Hauptfragen der Beihilfe eines Mannes nicht
entbehren könnte, der so wie jener heute als die bedeutendste russische Autorität
in orientalischen Dingen angesehen werden muß.

Der Augenblick, in dem ich dies schreibe, ist einer der wichtigsten für die
Weiterentwickelung der Beziehungen Rußland's zur Türkei. Seit dem 3. Mai
Abends weilt der General-Adjutant des Czaren, Obrutscheff, hier und hatte
bald danach eine Audienz beim Sultan, um demselben ein autographes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/292>, abgerufen am 27.09.2024.