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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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einigem Besinnen meinte er: "Na, Sie könnten es einmal mit Muttermilch
Probiren." Das sollte ich alle Tage fünf bis sechs Mal einnehmen. Ich könnte
mir ja eine Amme halten, und übrigens hätte meine Frau ein säugendes Kind
so ginge es am Ende, daß ich an ihr tränke. Darauf erklärte ich ihm, daß
ich auch darin ekelhaft wäre, und daß es mir schwer fallen würde, mich dazu
zu verstehen. Ob er mir denn weiter gar nichts anrathen könnte. "Nein,"
sprach er, "dieß ist das Allerletzte. Sie könnten indessen wohl noch Kräuter¬
wein Probiren, doch damit geht die Genesung zu langweilig vor sich." Ich
sagte, daß ich's mit dem Wein versuchen wollte, und er schrieb mir die Species
dazu auf, und diese ließ ich mir dann aus der Apotheke holen. Ich goß wohl
fünf Maß Wein darüber, mochte aber dieses Getränk auch nicht; denn es ekelte
Mich gleichfalls an. Was sollte ich nun thun? Meine Frau hatte wohl
Milch, aber mir graute davor. Endlich, da es sein mußte, entschloß ich mich
doch dazu. Ich probirte es also, nahm von meiner Frau Milch und trank
sie. Meine Sophie bekam dann immer mehr Milch, und ich trunk alle Tage,
was sie von der Säugung des Kindes erübrigte. Als sie dasselbe entwöhnt
hatte, trunk ich ihre Milch allein wohl zwei Monate lang. Ich wurde davon
auch uach und nach wieder gesund. Da nun meine Frau Muhme Lauterbachin
w Alsbach auch Gelegenheit bot, mir Milch von ihr abzulassen, so machte ich
davon ebenfalls Gebrauch. Sie schickte mir alle Tage beinahe ein Maß voll,
und so trank ich Muttermilch, bis auch sie keine mehr hatte. Ich aber war
davon ganz gesund geworden, sodaß ich wieder arbeiten konnte wie früher. --
"

Im zweiten Anhang zu Grimmelshausen's "Simplicissimus erzählt der
Held, wie man ihn zu einem reichen Kranken ruft, dem man vergeblich das
Nasenbluten durch -- Blutentziehung zu stillen versucht hat. "Denselben fand
ich mehr todt als lebendig; denn er sah schon bleich, grün und bleifarben aus.
Es stund ein Kübel voll Blut dort, das ich auf fünfunddreißig Wetzen schätzte,
ohne dasjenige, so allbereits anders wohin verschüttet worden." Man hatte
ihn erschreckt, ihn mit kaltem Wasser begossen, ihm kühlende und zusammen¬
ziehende Sachen eingegeben, ihm Brust, Arme und Schenkel zusammengeschnürt
und ihn dann wieder mit Aderlässen und Schröpfköpfen bearbeitet. Alles
vergeblich, "er fiel aus einer Ohnmacht in die andere". Da hilft ihm endlich
Simplicissimus "vermittelst der Sympathia", indem er dem Kranken aus dessen
eigenem Blute einen "köstlichen Schnupftabak" bereitet. Diese Kur wird um
die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts vollzogen, sie wäre aber auch in der
Zweiten Hälfte des achtzehnten nichts Ungewöhnliches gewesen.

Den meisten Schaden thaten wohl die wandernden Charlatane, die das
Lied vom Doktor Eisenbart verspottet, und die vorzüglich als Bruch-, Stein-
und Wurmschneider, dann als Zahnbrecher und Verkäufer von wunderwirkenden


einigem Besinnen meinte er: „Na, Sie könnten es einmal mit Muttermilch
Probiren." Das sollte ich alle Tage fünf bis sechs Mal einnehmen. Ich könnte
mir ja eine Amme halten, und übrigens hätte meine Frau ein säugendes Kind
so ginge es am Ende, daß ich an ihr tränke. Darauf erklärte ich ihm, daß
ich auch darin ekelhaft wäre, und daß es mir schwer fallen würde, mich dazu
zu verstehen. Ob er mir denn weiter gar nichts anrathen könnte. „Nein,"
sprach er, „dieß ist das Allerletzte. Sie könnten indessen wohl noch Kräuter¬
wein Probiren, doch damit geht die Genesung zu langweilig vor sich." Ich
sagte, daß ich's mit dem Wein versuchen wollte, und er schrieb mir die Species
dazu auf, und diese ließ ich mir dann aus der Apotheke holen. Ich goß wohl
fünf Maß Wein darüber, mochte aber dieses Getränk auch nicht; denn es ekelte
Mich gleichfalls an. Was sollte ich nun thun? Meine Frau hatte wohl
Milch, aber mir graute davor. Endlich, da es sein mußte, entschloß ich mich
doch dazu. Ich probirte es also, nahm von meiner Frau Milch und trank
sie. Meine Sophie bekam dann immer mehr Milch, und ich trunk alle Tage,
was sie von der Säugung des Kindes erübrigte. Als sie dasselbe entwöhnt
hatte, trunk ich ihre Milch allein wohl zwei Monate lang. Ich wurde davon
auch uach und nach wieder gesund. Da nun meine Frau Muhme Lauterbachin
w Alsbach auch Gelegenheit bot, mir Milch von ihr abzulassen, so machte ich
davon ebenfalls Gebrauch. Sie schickte mir alle Tage beinahe ein Maß voll,
und so trank ich Muttermilch, bis auch sie keine mehr hatte. Ich aber war
davon ganz gesund geworden, sodaß ich wieder arbeiten konnte wie früher. —
"

Im zweiten Anhang zu Grimmelshausen's „Simplicissimus erzählt der
Held, wie man ihn zu einem reichen Kranken ruft, dem man vergeblich das
Nasenbluten durch — Blutentziehung zu stillen versucht hat. „Denselben fand
ich mehr todt als lebendig; denn er sah schon bleich, grün und bleifarben aus.
Es stund ein Kübel voll Blut dort, das ich auf fünfunddreißig Wetzen schätzte,
ohne dasjenige, so allbereits anders wohin verschüttet worden." Man hatte
ihn erschreckt, ihn mit kaltem Wasser begossen, ihm kühlende und zusammen¬
ziehende Sachen eingegeben, ihm Brust, Arme und Schenkel zusammengeschnürt
und ihn dann wieder mit Aderlässen und Schröpfköpfen bearbeitet. Alles
vergeblich, „er fiel aus einer Ohnmacht in die andere". Da hilft ihm endlich
Simplicissimus „vermittelst der Sympathia", indem er dem Kranken aus dessen
eigenem Blute einen „köstlichen Schnupftabak" bereitet. Diese Kur wird um
die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts vollzogen, sie wäre aber auch in der
Zweiten Hälfte des achtzehnten nichts Ungewöhnliches gewesen.

Den meisten Schaden thaten wohl die wandernden Charlatane, die das
Lied vom Doktor Eisenbart verspottet, und die vorzüglich als Bruch-, Stein-
und Wurmschneider, dann als Zahnbrecher und Verkäufer von wunderwirkenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/279>, abgerufen am 29.12.2024.