Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

brecherischeu Wilden, von Menschen einer inferioren Race erzeugt haben, ist
hiernach klar angezeigt; sie liegen auf dem Gebiete der Erziehung, namentlich
der häuslichen, auf dem Gebiete einer Reform des Gefängnißwesens und auf
dem der öffentlichen Gesundheitspflege. Das letzte und höchste Wort der Reli¬
gion der Liebe ist Erbarmen, das Gebot der Humanität Erziehung zum men¬
schenwürdigen Dasein. Die Resultate objektiver wissenschaftlicher Untersuchungen,
von keinem Gefühl geleitet, zeigen denselben Weg. Aber auch die Wege der
Volkswirthschaft, die bei öffentlichen Reformen eine fo wichtige Rolle spielt,
führen, obschon von anderen und entgegengesetzten Punkten ausgehend, als die
der Ethik, doch an gleicher Stelle mit dieser zusammen. Der Furcht gegenüber,
welche namentlich kommunale Behörden vor den Kosten reformatorischer Ein¬
richtungen haben, stellt der Verfasser eine bis in's Einzelne gehende Berechnung
über die thatsächlichen Kosten der Gemeinde für 1200 Mitglieder der Juke-
Familie in 75 Jahren gegenüber; sie belaufen sich nach den geringsten An¬
sätzen auf 1308000 Dollars!

Die Lehre der Prädestination führt zur Erbarmungslosigkeit, zur Aus-
löschung alles Sinnes für öffentliche Wohlfahrt, zur Verzweifelung an allem
Fortschritt der menschlichen Gattung. Es ist die Lehre ungenügender Beob¬
achtungen und Erfahrungen des Lebens und falscher Schlüsse aus denselben;
es ist nicht die Lehre der Wissenschaft, weder der der Kulturgeschichte, noch der
der Kriminalstatistik und der Forschungen über die sittlichen und wirthschaft-
lichen Lebensbedingungen der Gesellschaft. Usus assit^t inolsin. Die Intelli¬
genz und der freie Wille haben eine Macht über die natürlichen Wirkungen
gesellschaftlicher Uebel, sobald sie deren Gesetze begriffen haben. Wie sie aus
natürlichen Bestimmungen entspringen, so sind sie auch befähigt, natürliche
Bestimmungen neu zu schaffen und umgestaltend auf die Gesellschaft einzu¬
wirken.

Kehren wir nun zu dem Problem zurück, dessen scheinbar unlösbare
Gegensätze wir einander gegenüber gestellt haben, so wird sich jetzt vielleicht
herausstellen, daß dieselben nicht so unvereinbar sind, wenn man mit der
Statistik der großen Zahlen statistische Untersuchungen vergleicht, die. wie die
obigen amerikanischen, individualisirend auf die Entstehung der Zahlen ein¬
gehen und damit ihren Werth für Schlußfolgerungen feststellen. Denn ohne
die schärfste Beobachtung der Thatsachen und Ergründung der Erscheinungen
nicht nur, wie Molpurga meint, im Großen und Ganzen und mit Hilfe
von Wahrscheinlichkeitssätzen über die wichtigsten Fragen des Lebens, sondern
so viel wie möglich im Einzelnen und in biographischer Forschung -- wird
uns der Mechanismus der Statistik gewiß kein Gesetz des Lebens enthüllen.
Die Statistik und ihre mathematische Methode kann uns eben nur die Wahr-


brecherischeu Wilden, von Menschen einer inferioren Race erzeugt haben, ist
hiernach klar angezeigt; sie liegen auf dem Gebiete der Erziehung, namentlich
der häuslichen, auf dem Gebiete einer Reform des Gefängnißwesens und auf
dem der öffentlichen Gesundheitspflege. Das letzte und höchste Wort der Reli¬
gion der Liebe ist Erbarmen, das Gebot der Humanität Erziehung zum men¬
schenwürdigen Dasein. Die Resultate objektiver wissenschaftlicher Untersuchungen,
von keinem Gefühl geleitet, zeigen denselben Weg. Aber auch die Wege der
Volkswirthschaft, die bei öffentlichen Reformen eine fo wichtige Rolle spielt,
führen, obschon von anderen und entgegengesetzten Punkten ausgehend, als die
der Ethik, doch an gleicher Stelle mit dieser zusammen. Der Furcht gegenüber,
welche namentlich kommunale Behörden vor den Kosten reformatorischer Ein¬
richtungen haben, stellt der Verfasser eine bis in's Einzelne gehende Berechnung
über die thatsächlichen Kosten der Gemeinde für 1200 Mitglieder der Juke-
Familie in 75 Jahren gegenüber; sie belaufen sich nach den geringsten An¬
sätzen auf 1308000 Dollars!

Die Lehre der Prädestination führt zur Erbarmungslosigkeit, zur Aus-
löschung alles Sinnes für öffentliche Wohlfahrt, zur Verzweifelung an allem
Fortschritt der menschlichen Gattung. Es ist die Lehre ungenügender Beob¬
achtungen und Erfahrungen des Lebens und falscher Schlüsse aus denselben;
es ist nicht die Lehre der Wissenschaft, weder der der Kulturgeschichte, noch der
der Kriminalstatistik und der Forschungen über die sittlichen und wirthschaft-
lichen Lebensbedingungen der Gesellschaft. Usus assit^t inolsin. Die Intelli¬
genz und der freie Wille haben eine Macht über die natürlichen Wirkungen
gesellschaftlicher Uebel, sobald sie deren Gesetze begriffen haben. Wie sie aus
natürlichen Bestimmungen entspringen, so sind sie auch befähigt, natürliche
Bestimmungen neu zu schaffen und umgestaltend auf die Gesellschaft einzu¬
wirken.

Kehren wir nun zu dem Problem zurück, dessen scheinbar unlösbare
Gegensätze wir einander gegenüber gestellt haben, so wird sich jetzt vielleicht
herausstellen, daß dieselben nicht so unvereinbar sind, wenn man mit der
Statistik der großen Zahlen statistische Untersuchungen vergleicht, die. wie die
obigen amerikanischen, individualisirend auf die Entstehung der Zahlen ein¬
gehen und damit ihren Werth für Schlußfolgerungen feststellen. Denn ohne
die schärfste Beobachtung der Thatsachen und Ergründung der Erscheinungen
nicht nur, wie Molpurga meint, im Großen und Ganzen und mit Hilfe
von Wahrscheinlichkeitssätzen über die wichtigsten Fragen des Lebens, sondern
so viel wie möglich im Einzelnen und in biographischer Forschung — wird
uns der Mechanismus der Statistik gewiß kein Gesetz des Lebens enthüllen.
Die Statistik und ihre mathematische Methode kann uns eben nur die Wahr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142222"/>
          <p xml:id="ID_768" prev="#ID_767"> brecherischeu Wilden, von Menschen einer inferioren Race erzeugt haben, ist<lb/>
hiernach klar angezeigt; sie liegen auf dem Gebiete der Erziehung, namentlich<lb/>
der häuslichen, auf dem Gebiete einer Reform des Gefängnißwesens und auf<lb/>
dem der öffentlichen Gesundheitspflege. Das letzte und höchste Wort der Reli¬<lb/>
gion der Liebe ist Erbarmen, das Gebot der Humanität Erziehung zum men¬<lb/>
schenwürdigen Dasein. Die Resultate objektiver wissenschaftlicher Untersuchungen,<lb/>
von keinem Gefühl geleitet, zeigen denselben Weg. Aber auch die Wege der<lb/>
Volkswirthschaft, die bei öffentlichen Reformen eine fo wichtige Rolle spielt,<lb/>
führen, obschon von anderen und entgegengesetzten Punkten ausgehend, als die<lb/>
der Ethik, doch an gleicher Stelle mit dieser zusammen. Der Furcht gegenüber,<lb/>
welche namentlich kommunale Behörden vor den Kosten reformatorischer Ein¬<lb/>
richtungen haben, stellt der Verfasser eine bis in's Einzelne gehende Berechnung<lb/>
über die thatsächlichen Kosten der Gemeinde für 1200 Mitglieder der Juke-<lb/>
Familie in 75 Jahren gegenüber; sie belaufen sich nach den geringsten An¬<lb/>
sätzen auf 1308000 Dollars!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_769"> Die Lehre der Prädestination führt zur Erbarmungslosigkeit, zur Aus-<lb/>
löschung alles Sinnes für öffentliche Wohlfahrt, zur Verzweifelung an allem<lb/>
Fortschritt der menschlichen Gattung. Es ist die Lehre ungenügender Beob¬<lb/>
achtungen und Erfahrungen des Lebens und falscher Schlüsse aus denselben;<lb/>
es ist nicht die Lehre der Wissenschaft, weder der der Kulturgeschichte, noch der<lb/>
der Kriminalstatistik und der Forschungen über die sittlichen und wirthschaft-<lb/>
lichen Lebensbedingungen der Gesellschaft. Usus assit^t inolsin. Die Intelli¬<lb/>
genz und der freie Wille haben eine Macht über die natürlichen Wirkungen<lb/>
gesellschaftlicher Uebel, sobald sie deren Gesetze begriffen haben. Wie sie aus<lb/>
natürlichen Bestimmungen entspringen, so sind sie auch befähigt, natürliche<lb/>
Bestimmungen neu zu schaffen und umgestaltend auf die Gesellschaft einzu¬<lb/>
wirken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_770" next="#ID_771"> Kehren wir nun zu dem Problem zurück, dessen scheinbar unlösbare<lb/>
Gegensätze wir einander gegenüber gestellt haben, so wird sich jetzt vielleicht<lb/>
herausstellen, daß dieselben nicht so unvereinbar sind, wenn man mit der<lb/>
Statistik der großen Zahlen statistische Untersuchungen vergleicht, die. wie die<lb/>
obigen amerikanischen, individualisirend auf die Entstehung der Zahlen ein¬<lb/>
gehen und damit ihren Werth für Schlußfolgerungen feststellen. Denn ohne<lb/>
die schärfste Beobachtung der Thatsachen und Ergründung der Erscheinungen<lb/>
nicht nur, wie Molpurga meint, im Großen und Ganzen und mit Hilfe<lb/>
von Wahrscheinlichkeitssätzen über die wichtigsten Fragen des Lebens, sondern<lb/>
so viel wie möglich im Einzelnen und in biographischer Forschung &#x2014; wird<lb/>
uns der Mechanismus der Statistik gewiß kein Gesetz des Lebens enthüllen.<lb/>
Die Statistik und ihre mathematische Methode kann uns eben nur die Wahr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] brecherischeu Wilden, von Menschen einer inferioren Race erzeugt haben, ist hiernach klar angezeigt; sie liegen auf dem Gebiete der Erziehung, namentlich der häuslichen, auf dem Gebiete einer Reform des Gefängnißwesens und auf dem der öffentlichen Gesundheitspflege. Das letzte und höchste Wort der Reli¬ gion der Liebe ist Erbarmen, das Gebot der Humanität Erziehung zum men¬ schenwürdigen Dasein. Die Resultate objektiver wissenschaftlicher Untersuchungen, von keinem Gefühl geleitet, zeigen denselben Weg. Aber auch die Wege der Volkswirthschaft, die bei öffentlichen Reformen eine fo wichtige Rolle spielt, führen, obschon von anderen und entgegengesetzten Punkten ausgehend, als die der Ethik, doch an gleicher Stelle mit dieser zusammen. Der Furcht gegenüber, welche namentlich kommunale Behörden vor den Kosten reformatorischer Ein¬ richtungen haben, stellt der Verfasser eine bis in's Einzelne gehende Berechnung über die thatsächlichen Kosten der Gemeinde für 1200 Mitglieder der Juke- Familie in 75 Jahren gegenüber; sie belaufen sich nach den geringsten An¬ sätzen auf 1308000 Dollars! Die Lehre der Prädestination führt zur Erbarmungslosigkeit, zur Aus- löschung alles Sinnes für öffentliche Wohlfahrt, zur Verzweifelung an allem Fortschritt der menschlichen Gattung. Es ist die Lehre ungenügender Beob¬ achtungen und Erfahrungen des Lebens und falscher Schlüsse aus denselben; es ist nicht die Lehre der Wissenschaft, weder der der Kulturgeschichte, noch der der Kriminalstatistik und der Forschungen über die sittlichen und wirthschaft- lichen Lebensbedingungen der Gesellschaft. Usus assit^t inolsin. Die Intelli¬ genz und der freie Wille haben eine Macht über die natürlichen Wirkungen gesellschaftlicher Uebel, sobald sie deren Gesetze begriffen haben. Wie sie aus natürlichen Bestimmungen entspringen, so sind sie auch befähigt, natürliche Bestimmungen neu zu schaffen und umgestaltend auf die Gesellschaft einzu¬ wirken. Kehren wir nun zu dem Problem zurück, dessen scheinbar unlösbare Gegensätze wir einander gegenüber gestellt haben, so wird sich jetzt vielleicht herausstellen, daß dieselben nicht so unvereinbar sind, wenn man mit der Statistik der großen Zahlen statistische Untersuchungen vergleicht, die. wie die obigen amerikanischen, individualisirend auf die Entstehung der Zahlen ein¬ gehen und damit ihren Werth für Schlußfolgerungen feststellen. Denn ohne die schärfste Beobachtung der Thatsachen und Ergründung der Erscheinungen nicht nur, wie Molpurga meint, im Großen und Ganzen und mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitssätzen über die wichtigsten Fragen des Lebens, sondern so viel wie möglich im Einzelnen und in biographischer Forschung — wird uns der Mechanismus der Statistik gewiß kein Gesetz des Lebens enthüllen. Die Statistik und ihre mathematische Methode kann uns eben nur die Wahr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/267>, abgerufen am 27.09.2024.