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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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erschienenen Buche "1b.s ^ukss" gegeben, worin die Untersuchungen niedergelegt
sind, welche R. S. Dugdale mit Beihilfe eines Arztes, E. Harris, einerseits
über den Stammbaum und die Lebensläufe einer weitverbreiteten Verbrecher¬
familie, andererseits über die Lebensgeschichte und die Verhältnisse von einer
großen Anzahl von Verbrecher" in den New-Iorker Staatsgefängnissen im
Auftrag der "?ris0n-^8S0<zia,lion" von New-Iork angestellt hat.

Mit der Findigkeit und dem Scharfsinn eines Historikers, der die Genea¬
logie eiues Herrschergeschlechts im Dunkel der Vergangenheit aufsucht, werden
hier alle Wurzeln und Zweige der Verbrecherfamilie, die den fingirten Namen
"^rckss" erhält, "weil noch anständige Glieder dieser Familie leben", dargelegt
und durch sieben Generationen verfolgt. Aber es bleibt nicht bei trockenen
statistischen Tabellen. Die beiden Hauptziele der Untersuchung, die Erforschung
der erblichen Anlagen und die des Einflusses der Erziehung und der äußeren
Lebensumstände haben mit den richtigen Fragestellungen zu einer ingeniösen
Methode geführt, welche die Fehlerquellen der rein numerischen Statistik aus¬
schließt. Die Daten werden nicht einfach in Tabellen registrirt, sondern durch
biographische Einzelstudien beleuchtet und individualisirt. Hier kamen dem
Verfasser die ärztlichen Kenntnisse seines Assistenten trefflich zu Statten. Der
Ahnherr dieser Verbrecherfamilie war ein Abkömmling der ersten holländischen
Ansiedler, ein Jäger und Backwoodman in den amerikanischen Wäldern ge¬
wesen, Jäger und Fischer, ein starker Trinker, lustig und umgänglich und jeder
stetigen Arbeit abhold, oft. hart mit einem Anlauf arbeitend und dann wieder
dem Müßiggang ergeben. Er hatte zahlreiche Kinder, darunter illegitime. Die
Zahl der registrirten Abkömmlinge umfaßt 540 Individuen, blutsverwandt und
verwandt untereinander durch Heirath und wilde Ehen. Die Frauen waren
meist lüderlich. Hervorragend unter ihnen war Ada Jule, bekannt unter dem
Namen "Margarethe, die Mutter von Verbrechern". Die Geschichte der Familie
beginnt im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts.

Wichtig ist hier schon die Lebensweise der ersten Glieder. Die Wohnungen
dieser Familien waren elende Hütten und Blockhäuser im bewaldeten Gebirge,
wo die Familienglieder ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts in
einem Raume vereinigt wohnten und schliefen, die Männer bald mit Jagd,
Fischerei und Holzfällen beschäftigt, bald müßig umherschweifend, die Mädchen
und Frauen dies halbwilde Leben theilend und zügellos in ihren Sitten. Wir
sehen im Verlauf dieser Lebensgeschichten, wie eine der Hauptbedingungen für
die Entstehung eines weitverbreiteten Geschlechts von Armen und Verbrechern
die Ausschweifung und die Prostitution bei den Frauen war. Die Erblich¬
keitsgesetze wirken hier offenbar, wie aus zahlreichen Fällen hervorgeht, in der
kausalen Richtung von Prostitution zum Verbrechen. Die ersten Lebensmn-


erschienenen Buche „1b.s ^ukss" gegeben, worin die Untersuchungen niedergelegt
sind, welche R. S. Dugdale mit Beihilfe eines Arztes, E. Harris, einerseits
über den Stammbaum und die Lebensläufe einer weitverbreiteten Verbrecher¬
familie, andererseits über die Lebensgeschichte und die Verhältnisse von einer
großen Anzahl von Verbrecher» in den New-Iorker Staatsgefängnissen im
Auftrag der „?ris0n-^8S0<zia,lion" von New-Iork angestellt hat.

Mit der Findigkeit und dem Scharfsinn eines Historikers, der die Genea¬
logie eiues Herrschergeschlechts im Dunkel der Vergangenheit aufsucht, werden
hier alle Wurzeln und Zweige der Verbrecherfamilie, die den fingirten Namen
„^rckss" erhält, „weil noch anständige Glieder dieser Familie leben", dargelegt
und durch sieben Generationen verfolgt. Aber es bleibt nicht bei trockenen
statistischen Tabellen. Die beiden Hauptziele der Untersuchung, die Erforschung
der erblichen Anlagen und die des Einflusses der Erziehung und der äußeren
Lebensumstände haben mit den richtigen Fragestellungen zu einer ingeniösen
Methode geführt, welche die Fehlerquellen der rein numerischen Statistik aus¬
schließt. Die Daten werden nicht einfach in Tabellen registrirt, sondern durch
biographische Einzelstudien beleuchtet und individualisirt. Hier kamen dem
Verfasser die ärztlichen Kenntnisse seines Assistenten trefflich zu Statten. Der
Ahnherr dieser Verbrecherfamilie war ein Abkömmling der ersten holländischen
Ansiedler, ein Jäger und Backwoodman in den amerikanischen Wäldern ge¬
wesen, Jäger und Fischer, ein starker Trinker, lustig und umgänglich und jeder
stetigen Arbeit abhold, oft. hart mit einem Anlauf arbeitend und dann wieder
dem Müßiggang ergeben. Er hatte zahlreiche Kinder, darunter illegitime. Die
Zahl der registrirten Abkömmlinge umfaßt 540 Individuen, blutsverwandt und
verwandt untereinander durch Heirath und wilde Ehen. Die Frauen waren
meist lüderlich. Hervorragend unter ihnen war Ada Jule, bekannt unter dem
Namen „Margarethe, die Mutter von Verbrechern". Die Geschichte der Familie
beginnt im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts.

Wichtig ist hier schon die Lebensweise der ersten Glieder. Die Wohnungen
dieser Familien waren elende Hütten und Blockhäuser im bewaldeten Gebirge,
wo die Familienglieder ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts in
einem Raume vereinigt wohnten und schliefen, die Männer bald mit Jagd,
Fischerei und Holzfällen beschäftigt, bald müßig umherschweifend, die Mädchen
und Frauen dies halbwilde Leben theilend und zügellos in ihren Sitten. Wir
sehen im Verlauf dieser Lebensgeschichten, wie eine der Hauptbedingungen für
die Entstehung eines weitverbreiteten Geschlechts von Armen und Verbrechern
die Ausschweifung und die Prostitution bei den Frauen war. Die Erblich¬
keitsgesetze wirken hier offenbar, wie aus zahlreichen Fällen hervorgeht, in der
kausalen Richtung von Prostitution zum Verbrechen. Die ersten Lebensmn-


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[0264] erschienenen Buche „1b.s ^ukss" gegeben, worin die Untersuchungen niedergelegt sind, welche R. S. Dugdale mit Beihilfe eines Arztes, E. Harris, einerseits über den Stammbaum und die Lebensläufe einer weitverbreiteten Verbrecher¬ familie, andererseits über die Lebensgeschichte und die Verhältnisse von einer großen Anzahl von Verbrecher» in den New-Iorker Staatsgefängnissen im Auftrag der „?ris0n-^8S0<zia,lion" von New-Iork angestellt hat. Mit der Findigkeit und dem Scharfsinn eines Historikers, der die Genea¬ logie eiues Herrschergeschlechts im Dunkel der Vergangenheit aufsucht, werden hier alle Wurzeln und Zweige der Verbrecherfamilie, die den fingirten Namen „^rckss" erhält, „weil noch anständige Glieder dieser Familie leben", dargelegt und durch sieben Generationen verfolgt. Aber es bleibt nicht bei trockenen statistischen Tabellen. Die beiden Hauptziele der Untersuchung, die Erforschung der erblichen Anlagen und die des Einflusses der Erziehung und der äußeren Lebensumstände haben mit den richtigen Fragestellungen zu einer ingeniösen Methode geführt, welche die Fehlerquellen der rein numerischen Statistik aus¬ schließt. Die Daten werden nicht einfach in Tabellen registrirt, sondern durch biographische Einzelstudien beleuchtet und individualisirt. Hier kamen dem Verfasser die ärztlichen Kenntnisse seines Assistenten trefflich zu Statten. Der Ahnherr dieser Verbrecherfamilie war ein Abkömmling der ersten holländischen Ansiedler, ein Jäger und Backwoodman in den amerikanischen Wäldern ge¬ wesen, Jäger und Fischer, ein starker Trinker, lustig und umgänglich und jeder stetigen Arbeit abhold, oft. hart mit einem Anlauf arbeitend und dann wieder dem Müßiggang ergeben. Er hatte zahlreiche Kinder, darunter illegitime. Die Zahl der registrirten Abkömmlinge umfaßt 540 Individuen, blutsverwandt und verwandt untereinander durch Heirath und wilde Ehen. Die Frauen waren meist lüderlich. Hervorragend unter ihnen war Ada Jule, bekannt unter dem Namen „Margarethe, die Mutter von Verbrechern". Die Geschichte der Familie beginnt im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Wichtig ist hier schon die Lebensweise der ersten Glieder. Die Wohnungen dieser Familien waren elende Hütten und Blockhäuser im bewaldeten Gebirge, wo die Familienglieder ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts in einem Raume vereinigt wohnten und schliefen, die Männer bald mit Jagd, Fischerei und Holzfällen beschäftigt, bald müßig umherschweifend, die Mädchen und Frauen dies halbwilde Leben theilend und zügellos in ihren Sitten. Wir sehen im Verlauf dieser Lebensgeschichten, wie eine der Hauptbedingungen für die Entstehung eines weitverbreiteten Geschlechts von Armen und Verbrechern die Ausschweifung und die Prostitution bei den Frauen war. Die Erblich¬ keitsgesetze wirken hier offenbar, wie aus zahlreichen Fällen hervorgeht, in der kausalen Richtung von Prostitution zum Verbrechen. Die ersten Lebensmn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/264>, abgerufen am 27.09.2024.