Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

ganzen Zeit von 1479 bis 1491 ist unter allen erhaltenen Leipziger Drucken
nicht ein einziger nachweisbar, der Frisner's Namen trüge. Weshalb hätte er
sich aber in Leipzig nicht ebensogut auf seinen Drucken nennen sollen, wie auf
denen, die er früher in Nürnberg in Gemeinschaft mit Sensenschmidt gedruckt
hatte? Aber selbst das noch zugestanden, daß hierbei der Zufall die Hand
im Spiele haben kann, und Frisner's sämmtliche Leipziger Drucke vernichtet
sein können, müßten dann nicht wenigstens Exemplare davon in seinem eigenen
Besitz gewesen sein? In seinem Testamente aber, in welchem er weit über
hundert Bücher aufführt und zu einzelnen Titeln ausdrücklich die Bemerkung
hinzufügt, daß die Bücher "von ihm gedruckt" oder daß sie "von ihm in
Nürnberg gedruckt" seien, ist nicht ein einziges Buch erwähnt, welches er als
Erzeugniß seiner Leipziger Druckerthätigkeit bezeichnete.

Es ist also wohl kaum ein Zweifel: von einer gewerbsmäßigen Drucker¬
thätigkeit Frisner's in Leipzig und davon, daß er "den Buchdruck nach Leipzig
gebracht" habe, kann nicht gut die Rede sein. Hatte Frisner in Leipzig eine
Presse, so gehörte er eben zu den zahlreichen Gelehrten jener Zeit, die eine
Druckerei zu ihrem Privatgebrauch besaßen, dann und wann kleinere, von
ihnen selbst verfaßte Schriften zur Vertheilung an ihre Freunde darauf druckten,
aber nimmermehr fremde Druckaufträge ausführten. Frisner war ein Ge¬
lehrter, aber kein Drucker; am Setzkasten wird er sich schwerlich viel zu schaffen
gemacht haben.

Nun, und dennoch gegenwärtig ein 400jähriges Jubiläum des Leipziger
Buchdruckes? Wenn die Frisner-Legende schwindet, wo soll dann noch das
Recht zum Jubiliren herkommen? Der erste erhaltene Leipziger Druck, der
eine Jahrzahl, leider aber keinen Druckernamen trägt, stammt aus dem Jahre
1481. Es ist eine lateinisch geschriebene, auf die Unterwerfung der Türken
bezogene Auslegung der Offenbarung Johannis, verfaßt von einem italienischen
Dominikaner Anilins von Viterbo. Sie war zuerst 1480 in Genua erschienen,
das Jahr darauf wurde sie in Leipzig nachgedruckt, vermuthlich von einem
der zahlreichen damals mit ihrer Presse wandernden Drucker, denn die Typen der
Schrift stehen, wie eine Vergleichung mit zahlreichen andern Leipziger Wiegen¬
drucken ergeben hat, völlig vereinzelt da. Wäre es da nicht das Einfachste,
sich an dieses Datum zu halten? Was nöthigt uns, bei dem Jahre 1479
stehen zu bleiben?

Es hat sich neuerdings ein positives Zeugniß dafür gefunden, daß es bereits
im Jahre 1479 eine gewerbsmäßige Druckerei in Leipzig gegeben haben muß.
Auf einem losen Zettel, der in den Leipziger Stadtkassenrechnungen von
1480 liegt, wird unter denen, die im Dezember 1479 mit dem "Wächter¬
geld" in Rückstand geblieben waren, auch erwähnt ein "lang Nickel puchtrucker,


ganzen Zeit von 1479 bis 1491 ist unter allen erhaltenen Leipziger Drucken
nicht ein einziger nachweisbar, der Frisner's Namen trüge. Weshalb hätte er
sich aber in Leipzig nicht ebensogut auf seinen Drucken nennen sollen, wie auf
denen, die er früher in Nürnberg in Gemeinschaft mit Sensenschmidt gedruckt
hatte? Aber selbst das noch zugestanden, daß hierbei der Zufall die Hand
im Spiele haben kann, und Frisner's sämmtliche Leipziger Drucke vernichtet
sein können, müßten dann nicht wenigstens Exemplare davon in seinem eigenen
Besitz gewesen sein? In seinem Testamente aber, in welchem er weit über
hundert Bücher aufführt und zu einzelnen Titeln ausdrücklich die Bemerkung
hinzufügt, daß die Bücher „von ihm gedruckt" oder daß sie „von ihm in
Nürnberg gedruckt" seien, ist nicht ein einziges Buch erwähnt, welches er als
Erzeugniß seiner Leipziger Druckerthätigkeit bezeichnete.

Es ist also wohl kaum ein Zweifel: von einer gewerbsmäßigen Drucker¬
thätigkeit Frisner's in Leipzig und davon, daß er „den Buchdruck nach Leipzig
gebracht" habe, kann nicht gut die Rede sein. Hatte Frisner in Leipzig eine
Presse, so gehörte er eben zu den zahlreichen Gelehrten jener Zeit, die eine
Druckerei zu ihrem Privatgebrauch besaßen, dann und wann kleinere, von
ihnen selbst verfaßte Schriften zur Vertheilung an ihre Freunde darauf druckten,
aber nimmermehr fremde Druckaufträge ausführten. Frisner war ein Ge¬
lehrter, aber kein Drucker; am Setzkasten wird er sich schwerlich viel zu schaffen
gemacht haben.

Nun, und dennoch gegenwärtig ein 400jähriges Jubiläum des Leipziger
Buchdruckes? Wenn die Frisner-Legende schwindet, wo soll dann noch das
Recht zum Jubiliren herkommen? Der erste erhaltene Leipziger Druck, der
eine Jahrzahl, leider aber keinen Druckernamen trägt, stammt aus dem Jahre
1481. Es ist eine lateinisch geschriebene, auf die Unterwerfung der Türken
bezogene Auslegung der Offenbarung Johannis, verfaßt von einem italienischen
Dominikaner Anilins von Viterbo. Sie war zuerst 1480 in Genua erschienen,
das Jahr darauf wurde sie in Leipzig nachgedruckt, vermuthlich von einem
der zahlreichen damals mit ihrer Presse wandernden Drucker, denn die Typen der
Schrift stehen, wie eine Vergleichung mit zahlreichen andern Leipziger Wiegen¬
drucken ergeben hat, völlig vereinzelt da. Wäre es da nicht das Einfachste,
sich an dieses Datum zu halten? Was nöthigt uns, bei dem Jahre 1479
stehen zu bleiben?

Es hat sich neuerdings ein positives Zeugniß dafür gefunden, daß es bereits
im Jahre 1479 eine gewerbsmäßige Druckerei in Leipzig gegeben haben muß.
Auf einem losen Zettel, der in den Leipziger Stadtkassenrechnungen von
1480 liegt, wird unter denen, die im Dezember 1479 mit dem „Wächter¬
geld" in Rückstand geblieben waren, auch erwähnt ein „lang Nickel puchtrucker,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142207"/>
          <p xml:id="ID_692" prev="#ID_691"> ganzen Zeit von 1479 bis 1491 ist unter allen erhaltenen Leipziger Drucken<lb/>
nicht ein einziger nachweisbar, der Frisner's Namen trüge. Weshalb hätte er<lb/>
sich aber in Leipzig nicht ebensogut auf seinen Drucken nennen sollen, wie auf<lb/>
denen, die er früher in Nürnberg in Gemeinschaft mit Sensenschmidt gedruckt<lb/>
hatte? Aber selbst das noch zugestanden, daß hierbei der Zufall die Hand<lb/>
im Spiele haben kann, und Frisner's sämmtliche Leipziger Drucke vernichtet<lb/>
sein können, müßten dann nicht wenigstens Exemplare davon in seinem eigenen<lb/>
Besitz gewesen sein? In seinem Testamente aber, in welchem er weit über<lb/>
hundert Bücher aufführt und zu einzelnen Titeln ausdrücklich die Bemerkung<lb/>
hinzufügt, daß die Bücher &#x201E;von ihm gedruckt" oder daß sie &#x201E;von ihm in<lb/>
Nürnberg gedruckt" seien, ist nicht ein einziges Buch erwähnt, welches er als<lb/>
Erzeugniß seiner Leipziger Druckerthätigkeit bezeichnete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_693"> Es ist also wohl kaum ein Zweifel: von einer gewerbsmäßigen Drucker¬<lb/>
thätigkeit Frisner's in Leipzig und davon, daß er &#x201E;den Buchdruck nach Leipzig<lb/>
gebracht" habe, kann nicht gut die Rede sein. Hatte Frisner in Leipzig eine<lb/>
Presse, so gehörte er eben zu den zahlreichen Gelehrten jener Zeit, die eine<lb/>
Druckerei zu ihrem Privatgebrauch besaßen, dann und wann kleinere, von<lb/>
ihnen selbst verfaßte Schriften zur Vertheilung an ihre Freunde darauf druckten,<lb/>
aber nimmermehr fremde Druckaufträge ausführten. Frisner war ein Ge¬<lb/>
lehrter, aber kein Drucker; am Setzkasten wird er sich schwerlich viel zu schaffen<lb/>
gemacht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_694"> Nun, und dennoch gegenwärtig ein 400jähriges Jubiläum des Leipziger<lb/>
Buchdruckes? Wenn die Frisner-Legende schwindet, wo soll dann noch das<lb/>
Recht zum Jubiliren herkommen? Der erste erhaltene Leipziger Druck, der<lb/>
eine Jahrzahl, leider aber keinen Druckernamen trägt, stammt aus dem Jahre<lb/>
1481. Es ist eine lateinisch geschriebene, auf die Unterwerfung der Türken<lb/>
bezogene Auslegung der Offenbarung Johannis, verfaßt von einem italienischen<lb/>
Dominikaner Anilins von Viterbo. Sie war zuerst 1480 in Genua erschienen,<lb/>
das Jahr darauf wurde sie in Leipzig nachgedruckt, vermuthlich von einem<lb/>
der zahlreichen damals mit ihrer Presse wandernden Drucker, denn die Typen der<lb/>
Schrift stehen, wie eine Vergleichung mit zahlreichen andern Leipziger Wiegen¬<lb/>
drucken ergeben hat, völlig vereinzelt da. Wäre es da nicht das Einfachste,<lb/>
sich an dieses Datum zu halten? Was nöthigt uns, bei dem Jahre 1479<lb/>
stehen zu bleiben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Es hat sich neuerdings ein positives Zeugniß dafür gefunden, daß es bereits<lb/>
im Jahre 1479 eine gewerbsmäßige Druckerei in Leipzig gegeben haben muß.<lb/>
Auf einem losen Zettel, der in den Leipziger Stadtkassenrechnungen von<lb/>
1480 liegt, wird unter denen, die im Dezember 1479 mit dem &#x201E;Wächter¬<lb/>
geld" in Rückstand geblieben waren, auch erwähnt ein &#x201E;lang Nickel puchtrucker,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] ganzen Zeit von 1479 bis 1491 ist unter allen erhaltenen Leipziger Drucken nicht ein einziger nachweisbar, der Frisner's Namen trüge. Weshalb hätte er sich aber in Leipzig nicht ebensogut auf seinen Drucken nennen sollen, wie auf denen, die er früher in Nürnberg in Gemeinschaft mit Sensenschmidt gedruckt hatte? Aber selbst das noch zugestanden, daß hierbei der Zufall die Hand im Spiele haben kann, und Frisner's sämmtliche Leipziger Drucke vernichtet sein können, müßten dann nicht wenigstens Exemplare davon in seinem eigenen Besitz gewesen sein? In seinem Testamente aber, in welchem er weit über hundert Bücher aufführt und zu einzelnen Titeln ausdrücklich die Bemerkung hinzufügt, daß die Bücher „von ihm gedruckt" oder daß sie „von ihm in Nürnberg gedruckt" seien, ist nicht ein einziges Buch erwähnt, welches er als Erzeugniß seiner Leipziger Druckerthätigkeit bezeichnete. Es ist also wohl kaum ein Zweifel: von einer gewerbsmäßigen Drucker¬ thätigkeit Frisner's in Leipzig und davon, daß er „den Buchdruck nach Leipzig gebracht" habe, kann nicht gut die Rede sein. Hatte Frisner in Leipzig eine Presse, so gehörte er eben zu den zahlreichen Gelehrten jener Zeit, die eine Druckerei zu ihrem Privatgebrauch besaßen, dann und wann kleinere, von ihnen selbst verfaßte Schriften zur Vertheilung an ihre Freunde darauf druckten, aber nimmermehr fremde Druckaufträge ausführten. Frisner war ein Ge¬ lehrter, aber kein Drucker; am Setzkasten wird er sich schwerlich viel zu schaffen gemacht haben. Nun, und dennoch gegenwärtig ein 400jähriges Jubiläum des Leipziger Buchdruckes? Wenn die Frisner-Legende schwindet, wo soll dann noch das Recht zum Jubiliren herkommen? Der erste erhaltene Leipziger Druck, der eine Jahrzahl, leider aber keinen Druckernamen trägt, stammt aus dem Jahre 1481. Es ist eine lateinisch geschriebene, auf die Unterwerfung der Türken bezogene Auslegung der Offenbarung Johannis, verfaßt von einem italienischen Dominikaner Anilins von Viterbo. Sie war zuerst 1480 in Genua erschienen, das Jahr darauf wurde sie in Leipzig nachgedruckt, vermuthlich von einem der zahlreichen damals mit ihrer Presse wandernden Drucker, denn die Typen der Schrift stehen, wie eine Vergleichung mit zahlreichen andern Leipziger Wiegen¬ drucken ergeben hat, völlig vereinzelt da. Wäre es da nicht das Einfachste, sich an dieses Datum zu halten? Was nöthigt uns, bei dem Jahre 1479 stehen zu bleiben? Es hat sich neuerdings ein positives Zeugniß dafür gefunden, daß es bereits im Jahre 1479 eine gewerbsmäßige Druckerei in Leipzig gegeben haben muß. Auf einem losen Zettel, der in den Leipziger Stadtkassenrechnungen von 1480 liegt, wird unter denen, die im Dezember 1479 mit dem „Wächter¬ geld" in Rückstand geblieben waren, auch erwähnt ein „lang Nickel puchtrucker,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/252>, abgerufen am 27.09.2024.