Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Aufmerksamkeit -- sich bildet. Also von einem einheitlichen Selbstbewußt¬
sein der Seele, ja von der Seele als Einheit, weiß der empirische Realismus
nichts, das seelische Leben ist eine Vielheit selbstbewußter Elemente. Wo kommt
denn aber die erfahrungsmäßige Einheit her? Dieser Auffassung entspricht es
denn auch, daß das Denken als Bewegungsprozesse der einzelnen Gestaltungen
bezeichnet wird, die von selbst und ohne nachweisbare Anstrengung unsrerseits
sich vollziehen. Man sieht, dieser Theorie fehlt das Subjekt seelischen und gei¬
stigen Handelns und das zusammenfassende Band. Seele und Geist sind ihm
nur der Schauplatz, auf dem eigenthümliche Elemente und Vorgänge ihr bald
zufälliges, bald geregeltes Spiel treiben. Und was nimmt denn nun die Seele
wahr? Es ist dies einmal eine Fülle von Vorstellungen und Denkprozessen,
es ist dies sodann eine Vielheit von Gefühlen, es ist dies endlich eine Mannich-
faltigkeit von Begehrungen. Unter den Gefühlen findet Wolff auch das sitt¬
liche Gefühl, das er beschreibt als Gefühl der Achtung vor der Menschheit im
Einzelnen und Allgemeinen und vor den Regeln, die aus dieser Achtung zur
Regulirung des Handelns für den Einzelnen hervorgequollen sind. Dieselben
fordern, daß wir jeden Menschen als eine eigene, selbständige, selbstbewußte,
eigene Ziele und Zwecke verfolgende Persönlichkeit schützen. -- Ganz recht, Ach¬
tung kann nur eine Persönlichkeit und was von ihr geleistet ist, in Anspruch
nehmen, aber der empirische Realismus hat nicht einmal Raum für den Be¬
griff eines Subjekts, geschweige denn für die Idee der Persönlichkeit. Wolff
redet freilich in einem besonderen Abschnitte von Jchbewußtsein, aber wie das¬
selbe zu Stande kommt und was es leistet, bleibt dunkel. Es ist charakteristisch,
daß dieser so wichtige Gegenstand nur so kurz und skizzenhaft behandelt wird.
Wir werden auch nicht klüger, wenn wir an einer anderen Stelle belehrt
werden, daß wir das verschmolzene einheitliche Ganze der verschiedenen durch¬
aus eigenartigen und von einander nicht ableitbaren Qualitäten des Bewußt¬
seins mit dem Worte "Seele" zu bezeichnen pflegen. Es ist eben von den
Voraussetzungen des empirischen Realismus aus völlig unerklärbar, wie diese
Qualitäten einheitlich verschmelzen können.

Wir enthalten uns, weiter die Haltlosigkeit des empirischen Realismus
nachzuweisen; es ist klar, wie verhängnißvoll es ist, wenn den apriorischen
Formen der Vernunft nur eine regulative, nicht eine konstitutive Dignität für
N. ^s--z^. die Ermöglichung der Erfahrung zuerkannt wird.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig-

— Aufmerksamkeit — sich bildet. Also von einem einheitlichen Selbstbewußt¬
sein der Seele, ja von der Seele als Einheit, weiß der empirische Realismus
nichts, das seelische Leben ist eine Vielheit selbstbewußter Elemente. Wo kommt
denn aber die erfahrungsmäßige Einheit her? Dieser Auffassung entspricht es
denn auch, daß das Denken als Bewegungsprozesse der einzelnen Gestaltungen
bezeichnet wird, die von selbst und ohne nachweisbare Anstrengung unsrerseits
sich vollziehen. Man sieht, dieser Theorie fehlt das Subjekt seelischen und gei¬
stigen Handelns und das zusammenfassende Band. Seele und Geist sind ihm
nur der Schauplatz, auf dem eigenthümliche Elemente und Vorgänge ihr bald
zufälliges, bald geregeltes Spiel treiben. Und was nimmt denn nun die Seele
wahr? Es ist dies einmal eine Fülle von Vorstellungen und Denkprozessen,
es ist dies sodann eine Vielheit von Gefühlen, es ist dies endlich eine Mannich-
faltigkeit von Begehrungen. Unter den Gefühlen findet Wolff auch das sitt¬
liche Gefühl, das er beschreibt als Gefühl der Achtung vor der Menschheit im
Einzelnen und Allgemeinen und vor den Regeln, die aus dieser Achtung zur
Regulirung des Handelns für den Einzelnen hervorgequollen sind. Dieselben
fordern, daß wir jeden Menschen als eine eigene, selbständige, selbstbewußte,
eigene Ziele und Zwecke verfolgende Persönlichkeit schützen. — Ganz recht, Ach¬
tung kann nur eine Persönlichkeit und was von ihr geleistet ist, in Anspruch
nehmen, aber der empirische Realismus hat nicht einmal Raum für den Be¬
griff eines Subjekts, geschweige denn für die Idee der Persönlichkeit. Wolff
redet freilich in einem besonderen Abschnitte von Jchbewußtsein, aber wie das¬
selbe zu Stande kommt und was es leistet, bleibt dunkel. Es ist charakteristisch,
daß dieser so wichtige Gegenstand nur so kurz und skizzenhaft behandelt wird.
Wir werden auch nicht klüger, wenn wir an einer anderen Stelle belehrt
werden, daß wir das verschmolzene einheitliche Ganze der verschiedenen durch¬
aus eigenartigen und von einander nicht ableitbaren Qualitäten des Bewußt¬
seins mit dem Worte „Seele" zu bezeichnen pflegen. Es ist eben von den
Voraussetzungen des empirischen Realismus aus völlig unerklärbar, wie diese
Qualitäten einheitlich verschmelzen können.

Wir enthalten uns, weiter die Haltlosigkeit des empirischen Realismus
nachzuweisen; es ist klar, wie verhängnißvoll es ist, wenn den apriorischen
Formen der Vernunft nur eine regulative, nicht eine konstitutive Dignität für
N. ^s—z^. die Ermöglichung der Erfahrung zuerkannt wird.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142203"/>
            <p xml:id="ID_682" prev="#ID_681"> &#x2014; Aufmerksamkeit &#x2014; sich bildet. Also von einem einheitlichen Selbstbewußt¬<lb/>
sein der Seele, ja von der Seele als Einheit, weiß der empirische Realismus<lb/>
nichts, das seelische Leben ist eine Vielheit selbstbewußter Elemente. Wo kommt<lb/>
denn aber die erfahrungsmäßige Einheit her? Dieser Auffassung entspricht es<lb/>
denn auch, daß das Denken als Bewegungsprozesse der einzelnen Gestaltungen<lb/>
bezeichnet wird, die von selbst und ohne nachweisbare Anstrengung unsrerseits<lb/>
sich vollziehen. Man sieht, dieser Theorie fehlt das Subjekt seelischen und gei¬<lb/>
stigen Handelns und das zusammenfassende Band. Seele und Geist sind ihm<lb/>
nur der Schauplatz, auf dem eigenthümliche Elemente und Vorgänge ihr bald<lb/>
zufälliges, bald geregeltes Spiel treiben. Und was nimmt denn nun die Seele<lb/>
wahr? Es ist dies einmal eine Fülle von Vorstellungen und Denkprozessen,<lb/>
es ist dies sodann eine Vielheit von Gefühlen, es ist dies endlich eine Mannich-<lb/>
faltigkeit von Begehrungen. Unter den Gefühlen findet Wolff auch das sitt¬<lb/>
liche Gefühl, das er beschreibt als Gefühl der Achtung vor der Menschheit im<lb/>
Einzelnen und Allgemeinen und vor den Regeln, die aus dieser Achtung zur<lb/>
Regulirung des Handelns für den Einzelnen hervorgequollen sind. Dieselben<lb/>
fordern, daß wir jeden Menschen als eine eigene, selbständige, selbstbewußte,<lb/>
eigene Ziele und Zwecke verfolgende Persönlichkeit schützen. &#x2014; Ganz recht, Ach¬<lb/>
tung kann nur eine Persönlichkeit und was von ihr geleistet ist, in Anspruch<lb/>
nehmen, aber der empirische Realismus hat nicht einmal Raum für den Be¬<lb/>
griff eines Subjekts, geschweige denn für die Idee der Persönlichkeit. Wolff<lb/>
redet freilich in einem besonderen Abschnitte von Jchbewußtsein, aber wie das¬<lb/>
selbe zu Stande kommt und was es leistet, bleibt dunkel. Es ist charakteristisch,<lb/>
daß dieser so wichtige Gegenstand nur so kurz und skizzenhaft behandelt wird.<lb/>
Wir werden auch nicht klüger, wenn wir an einer anderen Stelle belehrt<lb/>
werden, daß wir das verschmolzene einheitliche Ganze der verschiedenen durch¬<lb/>
aus eigenartigen und von einander nicht ableitbaren Qualitäten des Bewußt¬<lb/>
seins mit dem Worte &#x201E;Seele" zu bezeichnen pflegen. Es ist eben von den<lb/>
Voraussetzungen des empirischen Realismus aus völlig unerklärbar, wie diese<lb/>
Qualitäten einheitlich verschmelzen können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_683"> Wir enthalten uns, weiter die Haltlosigkeit des empirischen Realismus<lb/>
nachzuweisen; es ist klar, wie verhängnißvoll es ist, wenn den apriorischen<lb/>
Formen der Vernunft nur eine regulative, nicht eine konstitutive Dignität für<lb/><note type="byline"> N. ^s&#x2014;z^.</note> die Ermöglichung der Erfahrung zuerkannt wird. </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/>
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. &#x2014; Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig-</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] — Aufmerksamkeit — sich bildet. Also von einem einheitlichen Selbstbewußt¬ sein der Seele, ja von der Seele als Einheit, weiß der empirische Realismus nichts, das seelische Leben ist eine Vielheit selbstbewußter Elemente. Wo kommt denn aber die erfahrungsmäßige Einheit her? Dieser Auffassung entspricht es denn auch, daß das Denken als Bewegungsprozesse der einzelnen Gestaltungen bezeichnet wird, die von selbst und ohne nachweisbare Anstrengung unsrerseits sich vollziehen. Man sieht, dieser Theorie fehlt das Subjekt seelischen und gei¬ stigen Handelns und das zusammenfassende Band. Seele und Geist sind ihm nur der Schauplatz, auf dem eigenthümliche Elemente und Vorgänge ihr bald zufälliges, bald geregeltes Spiel treiben. Und was nimmt denn nun die Seele wahr? Es ist dies einmal eine Fülle von Vorstellungen und Denkprozessen, es ist dies sodann eine Vielheit von Gefühlen, es ist dies endlich eine Mannich- faltigkeit von Begehrungen. Unter den Gefühlen findet Wolff auch das sitt¬ liche Gefühl, das er beschreibt als Gefühl der Achtung vor der Menschheit im Einzelnen und Allgemeinen und vor den Regeln, die aus dieser Achtung zur Regulirung des Handelns für den Einzelnen hervorgequollen sind. Dieselben fordern, daß wir jeden Menschen als eine eigene, selbständige, selbstbewußte, eigene Ziele und Zwecke verfolgende Persönlichkeit schützen. — Ganz recht, Ach¬ tung kann nur eine Persönlichkeit und was von ihr geleistet ist, in Anspruch nehmen, aber der empirische Realismus hat nicht einmal Raum für den Be¬ griff eines Subjekts, geschweige denn für die Idee der Persönlichkeit. Wolff redet freilich in einem besonderen Abschnitte von Jchbewußtsein, aber wie das¬ selbe zu Stande kommt und was es leistet, bleibt dunkel. Es ist charakteristisch, daß dieser so wichtige Gegenstand nur so kurz und skizzenhaft behandelt wird. Wir werden auch nicht klüger, wenn wir an einer anderen Stelle belehrt werden, daß wir das verschmolzene einheitliche Ganze der verschiedenen durch¬ aus eigenartigen und von einander nicht ableitbaren Qualitäten des Bewußt¬ seins mit dem Worte „Seele" zu bezeichnen pflegen. Es ist eben von den Voraussetzungen des empirischen Realismus aus völlig unerklärbar, wie diese Qualitäten einheitlich verschmelzen können. Wir enthalten uns, weiter die Haltlosigkeit des empirischen Realismus nachzuweisen; es ist klar, wie verhängnißvoll es ist, wenn den apriorischen Formen der Vernunft nur eine regulative, nicht eine konstitutive Dignität für N. ^s—z^. die Ermöglichung der Erfahrung zuerkannt wird. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/248>, abgerufen am 27.09.2024.