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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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oder Kostüinmalerei, auf ein virtuoses Farbenspiel hat er sich niemals einge¬
lassen. Seine Farbe tritt in den Dienst seiner Ideen und ist von derselben
interessanten, sentimentalen Blässe angekränkelt wie seine sujets, was jedoch
nicht verhindert, daß sein Kolorit oft durch Feinheit und Harmonie fesselt.

Zwischen der modernen Münchener Schule und den Pariser Ateliers haben
stets intime Beziehungen geherrscht, die theils durch Münchener Kunsthändler,
welche Pariser Novitäten aufstellten, theils durch Studienreisen der Münchener
nach Paris gepflegt wurden. Es ist daher nicht unmöglich, daß Gabriel Max
durch das, Beispiel der Franzosen auf das Lieblingsthema seiner ersten Zeit, auf
das christliche Märtyrerthum, gebracht wurde. Wir finden sogar in der fran¬
zösischen Malerei des Julikönigthums ein Prototyp für Gabriel Max, welches
eine so auffallende Verwandtschaft mit dem Münchener Meister zeigt, daß es
nur merkwürdig ist, daß noch Niemand auf die äußere und innere Verwandt¬
schaft aufmerksam gemacht hat. Gabriel Max ist eine moderne Replik Ary
Scheffer's. Bei dem Franzosen begegnet uns dieselbe kränkliche und schwächliche
Sentimentalität, dieselbe Neigung, das Unmögliche möglich zu machen und ly¬
rische Empfindungen, vormalige Seelenstimmungen und frühere Leiden durch die
bildende Kunst in einem Individuum zum Ausdruck zu bringen, dieselbe Neigung,
dichterische Gebilde von stark lyrischem Grundcharakter, wie Mignon, Gretchen,
Julia, zu verkörpern. Schon Hegel hat bei Gelegenheit einer von Schadow ge¬
malten Mignon auf das "malerisch unfaßbare Wesen" dieser Goethe'schen Frauen¬
gestalt hingewiesen. "Der Charakter Mignon's," sagt er in seiner Aesthetik, "ist
schlechthin poetisch. Was sie interessant macht, ist ihre Vergangenheit, die Härte
des äußeren und inneren Schicksals, der Widerstreit italienischer, in sich heftig
aufgeregter Leidenschaft in einem Gemüth, das sich darin nicht klar wird, dem
jeder Zweck und Entschluß fehlt, und das nun, in sich selbst ein Geheimniß,
absichtlich geheimnißvoll sich nicht zu helfen weiß. Ein solches volles Konvolut
kann nun wohl vor unserer Phantasie stehen, aber die Malerei kann es nicht,
wie es Schadow gewollt hat, so ohne Bestimmtheit der Situation und der
Handlung einfach durch Mignon's Gestalt und Physiognomie darstellen." Diese
vortreffliche Auseinandersetzung paßt in ihren wesentlichsten Sätzen auf alle
Schöpfungen Gabriel Max', von den umgebrachten Märtyrerinnen bis auf
seine Kindesmörderinnen.

Die Zeit der römischen Decadence ist stets ein beliebter Tummelplatz für
die Piloty-Schüler gewesen. Während aber die meisten der Historienmaler dieser
Schule es liebten, die römischen Imperatoren und ihren Troß auf dem Lotter¬
bette zu zeigen, blättert Gabriel Max in den blutigen Annalen der ersten Christen¬
gemeinden umher und suchte die Nerven des durch den Anblick der Wollust
übersättigten Publikums durch eine raffinirte Spekulation auf sein Mitleid


oder Kostüinmalerei, auf ein virtuoses Farbenspiel hat er sich niemals einge¬
lassen. Seine Farbe tritt in den Dienst seiner Ideen und ist von derselben
interessanten, sentimentalen Blässe angekränkelt wie seine sujets, was jedoch
nicht verhindert, daß sein Kolorit oft durch Feinheit und Harmonie fesselt.

Zwischen der modernen Münchener Schule und den Pariser Ateliers haben
stets intime Beziehungen geherrscht, die theils durch Münchener Kunsthändler,
welche Pariser Novitäten aufstellten, theils durch Studienreisen der Münchener
nach Paris gepflegt wurden. Es ist daher nicht unmöglich, daß Gabriel Max
durch das, Beispiel der Franzosen auf das Lieblingsthema seiner ersten Zeit, auf
das christliche Märtyrerthum, gebracht wurde. Wir finden sogar in der fran¬
zösischen Malerei des Julikönigthums ein Prototyp für Gabriel Max, welches
eine so auffallende Verwandtschaft mit dem Münchener Meister zeigt, daß es
nur merkwürdig ist, daß noch Niemand auf die äußere und innere Verwandt¬
schaft aufmerksam gemacht hat. Gabriel Max ist eine moderne Replik Ary
Scheffer's. Bei dem Franzosen begegnet uns dieselbe kränkliche und schwächliche
Sentimentalität, dieselbe Neigung, das Unmögliche möglich zu machen und ly¬
rische Empfindungen, vormalige Seelenstimmungen und frühere Leiden durch die
bildende Kunst in einem Individuum zum Ausdruck zu bringen, dieselbe Neigung,
dichterische Gebilde von stark lyrischem Grundcharakter, wie Mignon, Gretchen,
Julia, zu verkörpern. Schon Hegel hat bei Gelegenheit einer von Schadow ge¬
malten Mignon auf das „malerisch unfaßbare Wesen" dieser Goethe'schen Frauen¬
gestalt hingewiesen. „Der Charakter Mignon's," sagt er in seiner Aesthetik, „ist
schlechthin poetisch. Was sie interessant macht, ist ihre Vergangenheit, die Härte
des äußeren und inneren Schicksals, der Widerstreit italienischer, in sich heftig
aufgeregter Leidenschaft in einem Gemüth, das sich darin nicht klar wird, dem
jeder Zweck und Entschluß fehlt, und das nun, in sich selbst ein Geheimniß,
absichtlich geheimnißvoll sich nicht zu helfen weiß. Ein solches volles Konvolut
kann nun wohl vor unserer Phantasie stehen, aber die Malerei kann es nicht,
wie es Schadow gewollt hat, so ohne Bestimmtheit der Situation und der
Handlung einfach durch Mignon's Gestalt und Physiognomie darstellen." Diese
vortreffliche Auseinandersetzung paßt in ihren wesentlichsten Sätzen auf alle
Schöpfungen Gabriel Max', von den umgebrachten Märtyrerinnen bis auf
seine Kindesmörderinnen.

Die Zeit der römischen Decadence ist stets ein beliebter Tummelplatz für
die Piloty-Schüler gewesen. Während aber die meisten der Historienmaler dieser
Schule es liebten, die römischen Imperatoren und ihren Troß auf dem Lotter¬
bette zu zeigen, blättert Gabriel Max in den blutigen Annalen der ersten Christen¬
gemeinden umher und suchte die Nerven des durch den Anblick der Wollust
übersättigten Publikums durch eine raffinirte Spekulation auf sein Mitleid


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/24>, abgerufen am 28.12.2024.