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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Bestimmung darüber zu treffen, wer von ihnen ein Fälscher, ein Mörder, ein
Dieb sein wird, ebenso, wie sie darüber das Loos bestimmen lassen, wer von
ihnen Kriegsdienste thun soll."

Hören wir dagegen Buckle. Denn es gilt natürlich auch von den übrigen
Verbrechen, was er vom Selbstmorde sagt: "In einem bestimmten Zustande
der Gesellschaft muß eine gewisse Anzahl von Menschen ihrem Leben selbst ein
Ende machen. Dies ist das allgemeine Gesetz. Die besondere Frage, wer nun
das Verbrechen begehen soll, hängt von besonderen Gesetzen ab, welche natür¬
lich in ihrer Gesammtwirksamteit dem allgemeinen Gesetze gehorchen müssen,
dem sie alle unterworfen sind. Die Macht des höheren Gesetzes ist so un¬
widerstehlich, daß weder die Liebe zum Leben noch die Furcht vor dem Jen¬
seits den geringsten hemmenden Einfluß auf seine Wirksamkeit auszuüben
vermag .... die Thatsache der Regelmäßigkeit ist jedem geläufig, der mit
der ethischen Statistik vertraut ist. In den verschiedenen Ländern, von denen
wir den Nachweis haben, finden wir Jahr für Jahr das nämliche Verhältniß
von Personen, die ihrem Leben ein Ende machen, und wenn wir die Unmög¬
lichkeit, einen vollständigen Nachweis zu habe", mit in Betracht ziehen, können
wir in der Grenze eines sehr geringen Irrthums die Zahl der freiwilligen
Todesfälle für jede folgende Periode voraussagen, natürlich uuter der Vor¬
aussetzung, daß der Zustand der Gesellschaft nicht irgend eine bedeutende Ver¬
änderung erleide."")

Die letztere Einschränkung, die sich, wie schon Guerry hervorgehoben
hat, auf Krieg, Theuerung, Revolution bezieht und eine höhere Kurve be¬
stimmter sittlicher Erscheinungen ergeben kann, ist zugleich die Erklärung, die
Buckle dem allgemeinen Gesetze gibt, welches er eben nur als allgemeines, nicht
als ewiges und unveränderliches, wie Laurent, auffaßt; er sucht sie in dem
allgemeinen Kulturzustande eines Volkes und einer Zeit. naturalistischer und
im Sinne Darwin's hat es Botin als Typus der menschlichen Race und des
Landes aufgefaßt, wenn er sagt: "Der mittlere Mensch ist nicht blos der
Quotient einer Division; er ist allerdings eine Abstraktion, aber er ist gleich¬
sam ein Urbild, nach welchem die Menschen von der Natur geformt sind, ein
Typus, welcher von Race zu Race, von Gegend zu Gegend variirt, der aber
in gewissen Grenzen , sich unverändert erhält. Die Natur macht die Bewohner
eines Landes nicht alle einander gleich, aber sie bemüht sich offenbar, sie nach
einem bestimmten Vorbilde zu gestalten, gleich einem geschickten Schützen, der



*) Wenn uns die preußische Kriminalstatistik lehrt, daß die Zahl der Verbrechen von
1873 bis 1L77 von 104873 auf 145687 gestiegen ist, so ist dies gewiß ein Zeichen, daß
sich unsere Gesellschaft in Folge des Krieges und der Handelskrise nicht zum Vortheil ver¬
ändert hat.

Bestimmung darüber zu treffen, wer von ihnen ein Fälscher, ein Mörder, ein
Dieb sein wird, ebenso, wie sie darüber das Loos bestimmen lassen, wer von
ihnen Kriegsdienste thun soll."

Hören wir dagegen Buckle. Denn es gilt natürlich auch von den übrigen
Verbrechen, was er vom Selbstmorde sagt: „In einem bestimmten Zustande
der Gesellschaft muß eine gewisse Anzahl von Menschen ihrem Leben selbst ein
Ende machen. Dies ist das allgemeine Gesetz. Die besondere Frage, wer nun
das Verbrechen begehen soll, hängt von besonderen Gesetzen ab, welche natür¬
lich in ihrer Gesammtwirksamteit dem allgemeinen Gesetze gehorchen müssen,
dem sie alle unterworfen sind. Die Macht des höheren Gesetzes ist so un¬
widerstehlich, daß weder die Liebe zum Leben noch die Furcht vor dem Jen¬
seits den geringsten hemmenden Einfluß auf seine Wirksamkeit auszuüben
vermag .... die Thatsache der Regelmäßigkeit ist jedem geläufig, der mit
der ethischen Statistik vertraut ist. In den verschiedenen Ländern, von denen
wir den Nachweis haben, finden wir Jahr für Jahr das nämliche Verhältniß
von Personen, die ihrem Leben ein Ende machen, und wenn wir die Unmög¬
lichkeit, einen vollständigen Nachweis zu habe», mit in Betracht ziehen, können
wir in der Grenze eines sehr geringen Irrthums die Zahl der freiwilligen
Todesfälle für jede folgende Periode voraussagen, natürlich uuter der Vor¬
aussetzung, daß der Zustand der Gesellschaft nicht irgend eine bedeutende Ver¬
änderung erleide."")

Die letztere Einschränkung, die sich, wie schon Guerry hervorgehoben
hat, auf Krieg, Theuerung, Revolution bezieht und eine höhere Kurve be¬
stimmter sittlicher Erscheinungen ergeben kann, ist zugleich die Erklärung, die
Buckle dem allgemeinen Gesetze gibt, welches er eben nur als allgemeines, nicht
als ewiges und unveränderliches, wie Laurent, auffaßt; er sucht sie in dem
allgemeinen Kulturzustande eines Volkes und einer Zeit. naturalistischer und
im Sinne Darwin's hat es Botin als Typus der menschlichen Race und des
Landes aufgefaßt, wenn er sagt: „Der mittlere Mensch ist nicht blos der
Quotient einer Division; er ist allerdings eine Abstraktion, aber er ist gleich¬
sam ein Urbild, nach welchem die Menschen von der Natur geformt sind, ein
Typus, welcher von Race zu Race, von Gegend zu Gegend variirt, der aber
in gewissen Grenzen , sich unverändert erhält. Die Natur macht die Bewohner
eines Landes nicht alle einander gleich, aber sie bemüht sich offenbar, sie nach
einem bestimmten Vorbilde zu gestalten, gleich einem geschickten Schützen, der



*) Wenn uns die preußische Kriminalstatistik lehrt, daß die Zahl der Verbrechen von
1873 bis 1L77 von 104873 auf 145687 gestiegen ist, so ist dies gewiß ein Zeichen, daß
sich unsere Gesellschaft in Folge des Krieges und der Handelskrise nicht zum Vortheil ver¬
ändert hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/232>, abgerufen am 29.12.2024.