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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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"Gründerstil" genannt hat; Böcklin ist der Repräsentant jener genialen Zerrissen¬
heit und Zerfahrenheit, jener in Kontrasten schwelgenden Bizarrerie, die ebenso
sehr ein Zeichen unserer Zeit ist; und der Dritte im Bunde, Gabriel Max, ist
der Apostel einer unklaren Gefühlsschwärmerei, einer interessanten Schwächlich¬
keit, die mit ihren Gebrechen kokettirt, einer unbefriedigten Sehnsucht, die an
die Art der Romantiker und an Heinrich Heine anknüpft. Eine krankhafte
Sentimentalität paart sich mit einer unglaublich raffinirten Spekulation auf die
Nerven des großen Publikums, auf seine Lust am Abenteuerlichen und Roman¬
tischen. Böcklin's Bizarrerieen verlacht man als ungefährlich, Makart's Farben¬
zauber und seine Frivolität blenden vorübergehend das Auge und regen die
Sinne auf; die Art eines Gabriel Max, der durch grauenhafte Bilder die ab¬
gestumpften Nerven eines blasirten Publikums zu reizen sucht, der, um seinen
Zweck zu erreichen, selbst vor Jahrmarktskniffen nicht zurückschreckt, vergiftet da¬
gegen das gesunde Gemüth des unbefangenen Beschauers, von diesem unbemerkt,
mit dem Mehlthau des Pessimismus.

Gabriel Max wurde am 23. August 1840 in Prag geboren. Sein Vater,
Joseph Max, war ein geschickter, formgewandter Bildhauer, der eine Reihe von
Figuren mehr dekorativen Charakters für Denkmäler und öffentliche Gebäude
in der böhmischen Hauptstadt ausgeführt hat. Der Sohn blieb bis zu seinem
fünfzehnten Jahre in der Lehre des Vaters, der 1855 starb. Es ist auffallend,
daß diese Lehrzeit an Gabriel Max spurlos vorübergegangen ist. An keinem
seiner Werke läßt sich in der Formenbehandlung der Einfluß eines Bildhauers
nachweisen. Er verschmäht im Gegentheil jede stärkere Modellirung, er drängt
alles Körperliche hinter dem Geistigen zurück, bisweilen in einem Grade, daß
die Figur kaum das sie umgebende Gewand füllt. Nur in seiner Vorliebe für
das statuarische, Geschlossene, Jsolirte läßt sich vielleicht noch erkennen, daß
ein Bildhauer seiue ersten Schritte in das Gebiet der Kunst geleitet hat.

Bis zum Jahre 1858 besuchte er noch die Akademie seiner Vaterstadt.
Dann ging er nach Wien und studirte dort drei Jahre lang auf der Kunst¬
akademie. Die ihm angeborene Leidenschaft für die Musik brachte ihn damals
auf den Gedanken, die in einigen Hauptwerken Beethoven's, Mendelssohn's u. a.
herrschenden Grundideen durch seine Kunst zu versinnlichen und durch Gestalten
zu verkörpern. Er führte diesen Gedanken in zwölf Tusch Zeichnungen aus, deren
geistreiche Erfindung solchen Beifall fand, daß der Künstler auch später noch
auf diesen Einfall zurückkam und gelegentlich ein "Adagio" malte. Dieses
Schwelgen in unbestimmten, unklaren Gefühlen nahm erst eine charakteristische
Form an, als der Maler im Jahre 1863 nach München übersiedelte und in
die Piloty-Schule eintrat. Die glänzenden Aeußerlichkeiten der Piloty'schen Art
fesselten ihn bei Weitem nicht in dem Grade wie Makart. Auf eine Stoff-


„Gründerstil" genannt hat; Böcklin ist der Repräsentant jener genialen Zerrissen¬
heit und Zerfahrenheit, jener in Kontrasten schwelgenden Bizarrerie, die ebenso
sehr ein Zeichen unserer Zeit ist; und der Dritte im Bunde, Gabriel Max, ist
der Apostel einer unklaren Gefühlsschwärmerei, einer interessanten Schwächlich¬
keit, die mit ihren Gebrechen kokettirt, einer unbefriedigten Sehnsucht, die an
die Art der Romantiker und an Heinrich Heine anknüpft. Eine krankhafte
Sentimentalität paart sich mit einer unglaublich raffinirten Spekulation auf die
Nerven des großen Publikums, auf seine Lust am Abenteuerlichen und Roman¬
tischen. Böcklin's Bizarrerieen verlacht man als ungefährlich, Makart's Farben¬
zauber und seine Frivolität blenden vorübergehend das Auge und regen die
Sinne auf; die Art eines Gabriel Max, der durch grauenhafte Bilder die ab¬
gestumpften Nerven eines blasirten Publikums zu reizen sucht, der, um seinen
Zweck zu erreichen, selbst vor Jahrmarktskniffen nicht zurückschreckt, vergiftet da¬
gegen das gesunde Gemüth des unbefangenen Beschauers, von diesem unbemerkt,
mit dem Mehlthau des Pessimismus.

Gabriel Max wurde am 23. August 1840 in Prag geboren. Sein Vater,
Joseph Max, war ein geschickter, formgewandter Bildhauer, der eine Reihe von
Figuren mehr dekorativen Charakters für Denkmäler und öffentliche Gebäude
in der böhmischen Hauptstadt ausgeführt hat. Der Sohn blieb bis zu seinem
fünfzehnten Jahre in der Lehre des Vaters, der 1855 starb. Es ist auffallend,
daß diese Lehrzeit an Gabriel Max spurlos vorübergegangen ist. An keinem
seiner Werke läßt sich in der Formenbehandlung der Einfluß eines Bildhauers
nachweisen. Er verschmäht im Gegentheil jede stärkere Modellirung, er drängt
alles Körperliche hinter dem Geistigen zurück, bisweilen in einem Grade, daß
die Figur kaum das sie umgebende Gewand füllt. Nur in seiner Vorliebe für
das statuarische, Geschlossene, Jsolirte läßt sich vielleicht noch erkennen, daß
ein Bildhauer seiue ersten Schritte in das Gebiet der Kunst geleitet hat.

Bis zum Jahre 1858 besuchte er noch die Akademie seiner Vaterstadt.
Dann ging er nach Wien und studirte dort drei Jahre lang auf der Kunst¬
akademie. Die ihm angeborene Leidenschaft für die Musik brachte ihn damals
auf den Gedanken, die in einigen Hauptwerken Beethoven's, Mendelssohn's u. a.
herrschenden Grundideen durch seine Kunst zu versinnlichen und durch Gestalten
zu verkörpern. Er führte diesen Gedanken in zwölf Tusch Zeichnungen aus, deren
geistreiche Erfindung solchen Beifall fand, daß der Künstler auch später noch
auf diesen Einfall zurückkam und gelegentlich ein „Adagio" malte. Dieses
Schwelgen in unbestimmten, unklaren Gefühlen nahm erst eine charakteristische
Form an, als der Maler im Jahre 1863 nach München übersiedelte und in
die Piloty-Schule eintrat. Die glänzenden Aeußerlichkeiten der Piloty'schen Art
fesselten ihn bei Weitem nicht in dem Grade wie Makart. Auf eine Stoff-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/23>, abgerufen am 27.09.2024.