Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

bestehe, die schalt er thörichte Schwärmer. Und noch war er Herr über Frank¬
reich, noch wagte Niemand unter seinen Verbündeten auch nur die Wimper zu
zucken; sein Zauber schien ungebrochen, und wenige Monate später -- so
wähnte er -- führte er sein Heer von neuem gegen Rußland.

Doch in eben dem Staate, den er mit seinem unversöhnlichsten Hasse ver¬
folgt hatte, den er gebrochen meinte, den noch seine Regimenter besetzt hielten,
in Preußen, da brach jetzt der Gedanke zum Abfall durch. Nicht eine leiden¬
schaftliche, plötzliche Erhebung war es; vorsichtig, zögernd, schrittweise hatte
die Regierung des Königs den Krieg vorbereitet mit einer diplomatischen Meister¬
schaft, die wir erst jetzt vollständig zu übersehen vermögen. Das entsprach der
Lage und dem Charakter der leitenden Männer. König Friedrich Wilhelm
war kein Mann des raschen, kühnen Entschlusses, und Hardenberg, ein feiner
Diplomat von nur müßiger Tiefe der Empfindung, weder an Genialität des
Blickes noch an großartiger Leidenschaft seinem Vorgänger Stein entfernt zu
vergleichen; aber es ist nicht wahr, daß nur die Volkserhebung sie mit sich
fortgerissen; sie setzte nur ein im rechten Momente, um der längst vorbereiteten
Aktion eine unwiderstehliche und -- wer könnte es leugnen! -- auch von den
Regierenden ungeahnte Wucht zu verleihen. Als jener Brief Napoleon's von
Dresden her, der die Verstärkung des preußischen Hilfskorps auf 30 090 Mann
verlangte, am 16. Dezember eingegangen war, traten die vertrauten Räthe des
Königs, Albrecht, Knesebeck, Ancillon, Hardenberg, zu jenen Verhandlungen zu¬
sammen, die der ganzen Aktion den Plan entwarfen. Sie zweifelten nicht, daß
der Augenblick der Befreiung gekommen sei. Aber man war weit davon entfernt,
sich blindlings und unbedingt in die Arme der Russen zu werfen, man fürchtete
ihre Pläne auf Polen, ja auf Ostpreußen, und ebendeshalb sollte Preußen nur
im festen Bunde mit Oesterreich vorgehen, zunächst mit demselben sich zur be¬
waffneten Vermittelung verbinden, erst nach Ablehnung derselben den Krieg
erklären, vor der Hand aber, um diese Verhandlungen und die sofort zu be¬
ginnenden Rüstungen zu decken, den Schein des französischen Bündnisses wahren.
Noch ahnte keiner der treuen Patrioten, welche ungeheure Kraft in dem still
vor sich hinlebenden Volke schlummere; noch im Januar 1813 hat Oberst
Knesebeck die verfügbaren preußischen Streitkräfte auf nur 30000 Mann
berechnet.

Demgemäß ging am 3. Januar 1813 General v. Krusemark mit der Ant¬
wort des Königs auf den Dresdner Brief Napoleon's nach Paris ab: Preußen
sei bereit zu rüsten, sei bereit, ein Korps um Graudenz zu sammeln, nur müsse
Frankreich ihm durch Rückzahlung der gemachten Vorschüsse zu Hilfe kommen.
Während man so gegenüber Napoleon den Schein des Bündnisses wahrte, eilte
Oberst v. Knesebeck, schon früher zu diplomatischen Sendungen verwandt und


bestehe, die schalt er thörichte Schwärmer. Und noch war er Herr über Frank¬
reich, noch wagte Niemand unter seinen Verbündeten auch nur die Wimper zu
zucken; sein Zauber schien ungebrochen, und wenige Monate später — so
wähnte er — führte er sein Heer von neuem gegen Rußland.

Doch in eben dem Staate, den er mit seinem unversöhnlichsten Hasse ver¬
folgt hatte, den er gebrochen meinte, den noch seine Regimenter besetzt hielten,
in Preußen, da brach jetzt der Gedanke zum Abfall durch. Nicht eine leiden¬
schaftliche, plötzliche Erhebung war es; vorsichtig, zögernd, schrittweise hatte
die Regierung des Königs den Krieg vorbereitet mit einer diplomatischen Meister¬
schaft, die wir erst jetzt vollständig zu übersehen vermögen. Das entsprach der
Lage und dem Charakter der leitenden Männer. König Friedrich Wilhelm
war kein Mann des raschen, kühnen Entschlusses, und Hardenberg, ein feiner
Diplomat von nur müßiger Tiefe der Empfindung, weder an Genialität des
Blickes noch an großartiger Leidenschaft seinem Vorgänger Stein entfernt zu
vergleichen; aber es ist nicht wahr, daß nur die Volkserhebung sie mit sich
fortgerissen; sie setzte nur ein im rechten Momente, um der längst vorbereiteten
Aktion eine unwiderstehliche und — wer könnte es leugnen! — auch von den
Regierenden ungeahnte Wucht zu verleihen. Als jener Brief Napoleon's von
Dresden her, der die Verstärkung des preußischen Hilfskorps auf 30 090 Mann
verlangte, am 16. Dezember eingegangen war, traten die vertrauten Räthe des
Königs, Albrecht, Knesebeck, Ancillon, Hardenberg, zu jenen Verhandlungen zu¬
sammen, die der ganzen Aktion den Plan entwarfen. Sie zweifelten nicht, daß
der Augenblick der Befreiung gekommen sei. Aber man war weit davon entfernt,
sich blindlings und unbedingt in die Arme der Russen zu werfen, man fürchtete
ihre Pläne auf Polen, ja auf Ostpreußen, und ebendeshalb sollte Preußen nur
im festen Bunde mit Oesterreich vorgehen, zunächst mit demselben sich zur be¬
waffneten Vermittelung verbinden, erst nach Ablehnung derselben den Krieg
erklären, vor der Hand aber, um diese Verhandlungen und die sofort zu be¬
ginnenden Rüstungen zu decken, den Schein des französischen Bündnisses wahren.
Noch ahnte keiner der treuen Patrioten, welche ungeheure Kraft in dem still
vor sich hinlebenden Volke schlummere; noch im Januar 1813 hat Oberst
Knesebeck die verfügbaren preußischen Streitkräfte auf nur 30000 Mann
berechnet.

Demgemäß ging am 3. Januar 1813 General v. Krusemark mit der Ant¬
wort des Königs auf den Dresdner Brief Napoleon's nach Paris ab: Preußen
sei bereit zu rüsten, sei bereit, ein Korps um Graudenz zu sammeln, nur müsse
Frankreich ihm durch Rückzahlung der gemachten Vorschüsse zu Hilfe kommen.
Während man so gegenüber Napoleon den Schein des Bündnisses wahrte, eilte
Oberst v. Knesebeck, schon früher zu diplomatischen Sendungen verwandt und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142171"/>
          <p xml:id="ID_603" prev="#ID_602"> bestehe, die schalt er thörichte Schwärmer. Und noch war er Herr über Frank¬<lb/>
reich, noch wagte Niemand unter seinen Verbündeten auch nur die Wimper zu<lb/>
zucken; sein Zauber schien ungebrochen, und wenige Monate später &#x2014; so<lb/>
wähnte er &#x2014; führte er sein Heer von neuem gegen Rußland.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_604"> Doch in eben dem Staate, den er mit seinem unversöhnlichsten Hasse ver¬<lb/>
folgt hatte, den er gebrochen meinte, den noch seine Regimenter besetzt hielten,<lb/>
in Preußen, da brach jetzt der Gedanke zum Abfall durch. Nicht eine leiden¬<lb/>
schaftliche, plötzliche Erhebung war es; vorsichtig, zögernd, schrittweise hatte<lb/>
die Regierung des Königs den Krieg vorbereitet mit einer diplomatischen Meister¬<lb/>
schaft, die wir erst jetzt vollständig zu übersehen vermögen. Das entsprach der<lb/>
Lage und dem Charakter der leitenden Männer. König Friedrich Wilhelm<lb/>
war kein Mann des raschen, kühnen Entschlusses, und Hardenberg, ein feiner<lb/>
Diplomat von nur müßiger Tiefe der Empfindung, weder an Genialität des<lb/>
Blickes noch an großartiger Leidenschaft seinem Vorgänger Stein entfernt zu<lb/>
vergleichen; aber es ist nicht wahr, daß nur die Volkserhebung sie mit sich<lb/>
fortgerissen; sie setzte nur ein im rechten Momente, um der längst vorbereiteten<lb/>
Aktion eine unwiderstehliche und &#x2014; wer könnte es leugnen! &#x2014; auch von den<lb/>
Regierenden ungeahnte Wucht zu verleihen. Als jener Brief Napoleon's von<lb/>
Dresden her, der die Verstärkung des preußischen Hilfskorps auf 30 090 Mann<lb/>
verlangte, am 16. Dezember eingegangen war, traten die vertrauten Räthe des<lb/>
Königs, Albrecht, Knesebeck, Ancillon, Hardenberg, zu jenen Verhandlungen zu¬<lb/>
sammen, die der ganzen Aktion den Plan entwarfen. Sie zweifelten nicht, daß<lb/>
der Augenblick der Befreiung gekommen sei. Aber man war weit davon entfernt,<lb/>
sich blindlings und unbedingt in die Arme der Russen zu werfen, man fürchtete<lb/>
ihre Pläne auf Polen, ja auf Ostpreußen, und ebendeshalb sollte Preußen nur<lb/>
im festen Bunde mit Oesterreich vorgehen, zunächst mit demselben sich zur be¬<lb/>
waffneten Vermittelung verbinden, erst nach Ablehnung derselben den Krieg<lb/>
erklären, vor der Hand aber, um diese Verhandlungen und die sofort zu be¬<lb/>
ginnenden Rüstungen zu decken, den Schein des französischen Bündnisses wahren.<lb/>
Noch ahnte keiner der treuen Patrioten, welche ungeheure Kraft in dem still<lb/>
vor sich hinlebenden Volke schlummere; noch im Januar 1813 hat Oberst<lb/>
Knesebeck die verfügbaren preußischen Streitkräfte auf nur 30000 Mann<lb/>
berechnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_605" next="#ID_606"> Demgemäß ging am 3. Januar 1813 General v. Krusemark mit der Ant¬<lb/>
wort des Königs auf den Dresdner Brief Napoleon's nach Paris ab: Preußen<lb/>
sei bereit zu rüsten, sei bereit, ein Korps um Graudenz zu sammeln, nur müsse<lb/>
Frankreich ihm durch Rückzahlung der gemachten Vorschüsse zu Hilfe kommen.<lb/>
Während man so gegenüber Napoleon den Schein des Bündnisses wahrte, eilte<lb/>
Oberst v. Knesebeck, schon früher zu diplomatischen Sendungen verwandt und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] bestehe, die schalt er thörichte Schwärmer. Und noch war er Herr über Frank¬ reich, noch wagte Niemand unter seinen Verbündeten auch nur die Wimper zu zucken; sein Zauber schien ungebrochen, und wenige Monate später — so wähnte er — führte er sein Heer von neuem gegen Rußland. Doch in eben dem Staate, den er mit seinem unversöhnlichsten Hasse ver¬ folgt hatte, den er gebrochen meinte, den noch seine Regimenter besetzt hielten, in Preußen, da brach jetzt der Gedanke zum Abfall durch. Nicht eine leiden¬ schaftliche, plötzliche Erhebung war es; vorsichtig, zögernd, schrittweise hatte die Regierung des Königs den Krieg vorbereitet mit einer diplomatischen Meister¬ schaft, die wir erst jetzt vollständig zu übersehen vermögen. Das entsprach der Lage und dem Charakter der leitenden Männer. König Friedrich Wilhelm war kein Mann des raschen, kühnen Entschlusses, und Hardenberg, ein feiner Diplomat von nur müßiger Tiefe der Empfindung, weder an Genialität des Blickes noch an großartiger Leidenschaft seinem Vorgänger Stein entfernt zu vergleichen; aber es ist nicht wahr, daß nur die Volkserhebung sie mit sich fortgerissen; sie setzte nur ein im rechten Momente, um der längst vorbereiteten Aktion eine unwiderstehliche und — wer könnte es leugnen! — auch von den Regierenden ungeahnte Wucht zu verleihen. Als jener Brief Napoleon's von Dresden her, der die Verstärkung des preußischen Hilfskorps auf 30 090 Mann verlangte, am 16. Dezember eingegangen war, traten die vertrauten Räthe des Königs, Albrecht, Knesebeck, Ancillon, Hardenberg, zu jenen Verhandlungen zu¬ sammen, die der ganzen Aktion den Plan entwarfen. Sie zweifelten nicht, daß der Augenblick der Befreiung gekommen sei. Aber man war weit davon entfernt, sich blindlings und unbedingt in die Arme der Russen zu werfen, man fürchtete ihre Pläne auf Polen, ja auf Ostpreußen, und ebendeshalb sollte Preußen nur im festen Bunde mit Oesterreich vorgehen, zunächst mit demselben sich zur be¬ waffneten Vermittelung verbinden, erst nach Ablehnung derselben den Krieg erklären, vor der Hand aber, um diese Verhandlungen und die sofort zu be¬ ginnenden Rüstungen zu decken, den Schein des französischen Bündnisses wahren. Noch ahnte keiner der treuen Patrioten, welche ungeheure Kraft in dem still vor sich hinlebenden Volke schlummere; noch im Januar 1813 hat Oberst Knesebeck die verfügbaren preußischen Streitkräfte auf nur 30000 Mann berechnet. Demgemäß ging am 3. Januar 1813 General v. Krusemark mit der Ant¬ wort des Königs auf den Dresdner Brief Napoleon's nach Paris ab: Preußen sei bereit zu rüsten, sei bereit, ein Korps um Graudenz zu sammeln, nur müsse Frankreich ihm durch Rückzahlung der gemachten Vorschüsse zu Hilfe kommen. Während man so gegenüber Napoleon den Schein des Bündnisses wahrte, eilte Oberst v. Knesebeck, schon früher zu diplomatischen Sendungen verwandt und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/216>, abgerufen am 28.09.2024.