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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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bracht, worin der König sein EinVerständniß erklärt, daß bei Einnahmen,
welche durch eine Steuerreform des Reiches dem preußischen Staate zufließen,
sogar bei einer Herabminderung der Matrikularbeiträge unter den im Haus¬
haltsplan von 1879 vorgesehenen Satz, die Klassen- und klassifizirte Einkom¬
mensteuer um einen entsprechenden Betrag vermindert werde, falls nicht über
die Mehreinnahme durch Einverständniß der gesetzgebenden Faktoren anderweitig
disponirt wird. Der Finanzminister fügte sogar das Versprechen hinzu, diesen
Willen der Staatsregierung durch die Vorlage eines Gesetzes nach Abschluß
der Steuerreform des Reiches als einen dauernden zu binden. Damit war
nach der damaligen allgemeinen Voraussetzung, insbesondere nach allen Erklä¬
rungen der national-liberalen Partei, die Frage der konstitutionellen Garantieen
bis zur Ausführung der verheißenen gesetzgeberischen Maßregel erledigt. Mit
einem Male besinnt sich jetzt die national-liberale Partei, daß sie Garantieen
zu fordern habe nicht blos für das Steuerverminderungsrecht der Einzelland¬
tage bei dem Fall erhöhter, den Einzelstaaten zu gute kommender Reichsein¬
nahmen, sondern auch für das periodische Einnahme-Bewilligungsrecht des
Reichstages, welches bisher in den Matrikularbeiträgen enthalten gewesen sei
und mit dem Wegfall dieser nicht in Wegfall kommen dürfe.

Woher so plötzlich dieser neue Gedanke? Es ist schwer, die Vermuthung
abzuweisen, daß die Ankündigung des Zentrums, gegen die Finanzzölle Oppo¬
sition zu machen, an der in Aussicht genommenen Strategie der national-liberalen
Partei ihren Antheil hat. Man ist ärgerlich über die Aussicht, bei den Schutz¬
zöllen durch die Stimmen des Zentrums und der Konservativen geschlagen zu
werden, man ist gegen die Schutzzölle nicht einmal der eigenen Reihen sicher.
Aber man will dem Reichskanzler nicht folgen, man will ihm noch weniger in
allen Punkten unterliegen, also greift man mit beiden Händen nach der Aussicht,
ihm eine theilweise Niederlage durch die Hilfe des Zentrums beizubringen.
Trauriges und gefährliches Auskunftsmittel einer Partei, die aller wahren
politischen Leitung gänzlich ermangelt! Der Gedanke ist vor Allem unlogisch.
Die Disposition über die Reichsüberschüsse, welche sich aus natürlich wachsenden
Einnahmen ergeben, kann nicht zugleich dem Reichstage und den Einzellandtagen
zugewiesen werden. Wenn das Reich seine Bedürfnisse befriedigt hat, dann
müssen Reichsregierung und Reichstag den Einzelstaaten die Ueberschüsse zur
freien Verwendung nach Vereinbarung der Regierungen mit den Landtagen
gönnen, oder aber das Reich führt keine Ueberschüsse an die Einzelstaaten ab,
sondern ermäßigt, sobald es Ueberschüsse erzielt, seine Einnahmen. Wollte das
Reich seine Einnahme-Ueberschüsse nach Gunst entweder zurückhalten oder den
Einzelstaaten zufließen lassen, das eine Jahr so, das andere Jahr anders, nach
den Launen der Majoritäten, so müßte die heilloseste Verwirrung entstehen.


bracht, worin der König sein EinVerständniß erklärt, daß bei Einnahmen,
welche durch eine Steuerreform des Reiches dem preußischen Staate zufließen,
sogar bei einer Herabminderung der Matrikularbeiträge unter den im Haus¬
haltsplan von 1879 vorgesehenen Satz, die Klassen- und klassifizirte Einkom¬
mensteuer um einen entsprechenden Betrag vermindert werde, falls nicht über
die Mehreinnahme durch Einverständniß der gesetzgebenden Faktoren anderweitig
disponirt wird. Der Finanzminister fügte sogar das Versprechen hinzu, diesen
Willen der Staatsregierung durch die Vorlage eines Gesetzes nach Abschluß
der Steuerreform des Reiches als einen dauernden zu binden. Damit war
nach der damaligen allgemeinen Voraussetzung, insbesondere nach allen Erklä¬
rungen der national-liberalen Partei, die Frage der konstitutionellen Garantieen
bis zur Ausführung der verheißenen gesetzgeberischen Maßregel erledigt. Mit
einem Male besinnt sich jetzt die national-liberale Partei, daß sie Garantieen
zu fordern habe nicht blos für das Steuerverminderungsrecht der Einzelland¬
tage bei dem Fall erhöhter, den Einzelstaaten zu gute kommender Reichsein¬
nahmen, sondern auch für das periodische Einnahme-Bewilligungsrecht des
Reichstages, welches bisher in den Matrikularbeiträgen enthalten gewesen sei
und mit dem Wegfall dieser nicht in Wegfall kommen dürfe.

Woher so plötzlich dieser neue Gedanke? Es ist schwer, die Vermuthung
abzuweisen, daß die Ankündigung des Zentrums, gegen die Finanzzölle Oppo¬
sition zu machen, an der in Aussicht genommenen Strategie der national-liberalen
Partei ihren Antheil hat. Man ist ärgerlich über die Aussicht, bei den Schutz¬
zöllen durch die Stimmen des Zentrums und der Konservativen geschlagen zu
werden, man ist gegen die Schutzzölle nicht einmal der eigenen Reihen sicher.
Aber man will dem Reichskanzler nicht folgen, man will ihm noch weniger in
allen Punkten unterliegen, also greift man mit beiden Händen nach der Aussicht,
ihm eine theilweise Niederlage durch die Hilfe des Zentrums beizubringen.
Trauriges und gefährliches Auskunftsmittel einer Partei, die aller wahren
politischen Leitung gänzlich ermangelt! Der Gedanke ist vor Allem unlogisch.
Die Disposition über die Reichsüberschüsse, welche sich aus natürlich wachsenden
Einnahmen ergeben, kann nicht zugleich dem Reichstage und den Einzellandtagen
zugewiesen werden. Wenn das Reich seine Bedürfnisse befriedigt hat, dann
müssen Reichsregierung und Reichstag den Einzelstaaten die Ueberschüsse zur
freien Verwendung nach Vereinbarung der Regierungen mit den Landtagen
gönnen, oder aber das Reich führt keine Ueberschüsse an die Einzelstaaten ab,
sondern ermäßigt, sobald es Ueberschüsse erzielt, seine Einnahmen. Wollte das
Reich seine Einnahme-Ueberschüsse nach Gunst entweder zurückhalten oder den
Einzelstaaten zufließen lassen, das eine Jahr so, das andere Jahr anders, nach
den Launen der Majoritäten, so müßte die heilloseste Verwirrung entstehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/204>, abgerufen am 27.09.2024.