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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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kein ernsthafter Gegner; setzen wir hinzu: möglicherweise sogar ein unerwarteter
Helfer.

Soviel vom Zentrum. In der Stellung der Konservativen hat sich nichts
geändert, sie sind mit wenigen Ausnahmen eine zuverlässige Streitschaar für die
Finanzreform. So bleiben noch die National-liberalen. Die Plage dieser Partei,
von rechts und links gescholten zu werden, hat in der letzten Zeit noch immer
zugenommen. Diese Art Plage ist lästig, aber ehrenvoll, wenn der Gescholtene
zwischen den Extremen den Siegergang schreitet. Aber so ist es leider nicht.
Das Mißgeschick der Partei, welche trotz alledem die größte Theilnahme ver¬
dient, ist ihr Ungeschick. Sie entzweit sich immer.wieder mit dem Reichskanzler,
ohne daß der Riß bis jetzt unheilbar geworden. Das letztere ist noch nicht
eingetreten, weil es zu widersinnig ist, daß die Partei, deren ganzes Ziel die
nationale Größe ist, den Staatsmann bekämpfen soll, der für diese Größe das
nie Geglaubte gethan hat und täglich zu vollbringen fortfährt. Aber die
Partei entzweit sich bei jedem Anlaß von neuem mit dem Schöpfer der
nationalen Größe, nicht darum, wie eine kindische Auffassung die Thatsache
manchmal erklärt, weil der Staatsmann sie nicht genug in seine Gedanken
einweiht, sondern darum, weil die Partei bei dem edelsten Willen für das
nationale Werk nie dahin gelangt ist, die Bedingungen dieses Werkes zu ver¬
stehen. Zur Zeit des Militärkonfliktes verstanden die nationalen Liberalen --
die Komposition "National-liberal" war damals noch nicht üblich geworden --
nicht die elementarste Voraussetzung für die Schaffung der deutschen Einheit,
nämlich ein feldtüchtiges preußisches Heer im Sinne der modernen Kriegs¬
bedingungen, und so ist es fortgegangen, und so geht es fort bis zum heutigen
Tage. Wir können dieses politisch und moralisch traurige, psychologisch höchst
merkwürdige Kapitel heute uicht genügend erörtern. Genug, die National¬
liberalen sind eben wieder dabei, dem Reichskanzler bei einer seiner großen
Patriotischen Arbeiten in den Arm zu fallen. Sie meinen, das Reich brauche
nicht so viel Geld, gerade wie sie 1860 meinten, Preußen brauche nicht so
viel Soldaten. Sie waren kürzlich schon im Begriff zu meinen, man könne
dem Reich die Finanzzölle bewilligen, wenn es auf die Schutzzölle verzichte,
aber heute meinen sie wieder, man dürfe auch die Finanzzölle nicht bewilligen.

Woher dieser Wechsel? Die "konstitutionellen Garantien" spielen ihre Rolle
seit dem Besuch, den Herr v. Bennigsen im Dezember 1877 in Varzin ab¬
stattete. Aber wohl gemerkt, damals handelte es sich nur um Garantieen für
den Einfluß der Landesvertretungen auf die aus neuen Reichseinnahmen den
Einzelstaaten vielleicht zufließenden Ueberschüsse. Wie man weiß, hat der
Preußische Finanzminister gegen den Schluß der letzten Landtagssession im
Februar 1879 dem Abgeordnetenhause eine königliche Ordre zur Kenntniß ge-


kein ernsthafter Gegner; setzen wir hinzu: möglicherweise sogar ein unerwarteter
Helfer.

Soviel vom Zentrum. In der Stellung der Konservativen hat sich nichts
geändert, sie sind mit wenigen Ausnahmen eine zuverlässige Streitschaar für die
Finanzreform. So bleiben noch die National-liberalen. Die Plage dieser Partei,
von rechts und links gescholten zu werden, hat in der letzten Zeit noch immer
zugenommen. Diese Art Plage ist lästig, aber ehrenvoll, wenn der Gescholtene
zwischen den Extremen den Siegergang schreitet. Aber so ist es leider nicht.
Das Mißgeschick der Partei, welche trotz alledem die größte Theilnahme ver¬
dient, ist ihr Ungeschick. Sie entzweit sich immer.wieder mit dem Reichskanzler,
ohne daß der Riß bis jetzt unheilbar geworden. Das letztere ist noch nicht
eingetreten, weil es zu widersinnig ist, daß die Partei, deren ganzes Ziel die
nationale Größe ist, den Staatsmann bekämpfen soll, der für diese Größe das
nie Geglaubte gethan hat und täglich zu vollbringen fortfährt. Aber die
Partei entzweit sich bei jedem Anlaß von neuem mit dem Schöpfer der
nationalen Größe, nicht darum, wie eine kindische Auffassung die Thatsache
manchmal erklärt, weil der Staatsmann sie nicht genug in seine Gedanken
einweiht, sondern darum, weil die Partei bei dem edelsten Willen für das
nationale Werk nie dahin gelangt ist, die Bedingungen dieses Werkes zu ver¬
stehen. Zur Zeit des Militärkonfliktes verstanden die nationalen Liberalen —
die Komposition „National-liberal" war damals noch nicht üblich geworden —
nicht die elementarste Voraussetzung für die Schaffung der deutschen Einheit,
nämlich ein feldtüchtiges preußisches Heer im Sinne der modernen Kriegs¬
bedingungen, und so ist es fortgegangen, und so geht es fort bis zum heutigen
Tage. Wir können dieses politisch und moralisch traurige, psychologisch höchst
merkwürdige Kapitel heute uicht genügend erörtern. Genug, die National¬
liberalen sind eben wieder dabei, dem Reichskanzler bei einer seiner großen
Patriotischen Arbeiten in den Arm zu fallen. Sie meinen, das Reich brauche
nicht so viel Geld, gerade wie sie 1860 meinten, Preußen brauche nicht so
viel Soldaten. Sie waren kürzlich schon im Begriff zu meinen, man könne
dem Reich die Finanzzölle bewilligen, wenn es auf die Schutzzölle verzichte,
aber heute meinen sie wieder, man dürfe auch die Finanzzölle nicht bewilligen.

Woher dieser Wechsel? Die „konstitutionellen Garantien" spielen ihre Rolle
seit dem Besuch, den Herr v. Bennigsen im Dezember 1877 in Varzin ab¬
stattete. Aber wohl gemerkt, damals handelte es sich nur um Garantieen für
den Einfluß der Landesvertretungen auf die aus neuen Reichseinnahmen den
Einzelstaaten vielleicht zufließenden Ueberschüsse. Wie man weiß, hat der
Preußische Finanzminister gegen den Schluß der letzten Landtagssession im
Februar 1879 dem Abgeordnetenhause eine königliche Ordre zur Kenntniß ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/203>, abgerufen am 29.12.2024.