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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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bar, durch welche die Verfehlung der Ziele, die Abweichung von der rechten
Bahn, auch eine nur zeitweise oder theilweise, hätte ausgeschlossen werden können?
Oder ist der Gedanke einer solchen nur da möglich, wo mit Phantasiegebilden,
aber nicht mit realen Größen gerechnet wird?

Im Sinne der letzteren Alternative ist diese Frage sowohl vom Stand¬
punkte des religiösen Determinismus, wie er in der Prädestiuationstheorie
Platz gegriffen hat, als auch von dem des philosophischen Determinismus, wie
er in den pantheistischen Systemen maßgebend ist, beantwortet worden. Nur
vereinzelt ist auch da, wo weder diese noch jene Voraussetzung vorhanden war,
einer solchen Entscheidung Raum gegeben worden. Im Allgemeinen aber geht
beides Hand in Hand, der Determinismus und die Behauptung der Unver¬
meidlichkeit der Sünde für die sittliche Entwickelung der Menschheit auf der
einen, die Freiheitslehre und die Behauptung der Vermeidlichkeit der Sünde
für dieselbe auf der andern Seite.

In diese Untersuchungen schlägt eine kleine Schrift ein, mit deren Ge¬
dankengang wir unsere Leser um so lieber bekannt machen, als wir uns im
Wesentlichen mit ihr in Uebereinstimmung wissen: "Das Problem des Bösen"
von A. L. Kym, Professor der Philosophie in Zürich.") Mit Recht wird
hier die Theorie von der Sinnlichkeit als dem Ursprung des Bösen zurückge¬
wiesen. Die Sinnlichkeit als solche ist nicht böse, vielmehr ihrem innersten
Wesen nach dazu bestimmt, der Verwirklichung des Guten zu dienen. Nur
dann fällt sie unter den Gesichtspunkt des Bösen, wenn sie die Herrschaft im
Leben des Menschen gewonnen hat, und zwar nicht in Folge des Uebergewichtes,
das ihr in den Anfängen unserer Entwickelung naturgemäß zukommt, sondern
vermöge einer freien Entscheidung des Willens für sie. Denn die Bestimmt¬
heit des Kindes durch sinnliche Begehrungen ist nicht böse, sondern verträgt
sich sehr wohl mit Reinheit und Unschuld. Da, wo die geistig sittliche Instanz
nach den Gesetzen der göttlichen Weltordnung noch so schwach ist, daß sie dem
sinnlichen Faktor keinen erfolgreichen Widerstand zu leisten vermag, kann der
Begriff des Bösen nicht zur Anwendung kommen. Fichte hat in der Trägheit
den Grund des Bösen gesucht, und soweit diese nicht leiblich bedingt ist, sondern
im Mangel an sittlicher Energie ruht, ist sie in der That eine Eigenschaft des
Bösen, denn das Gute ist Thätigkeit. Aber als eine ausreichende Bestimmung
des Bösen können wir auch die Trägheit nicht ansehen, denn sie ist nur ein
negativer Begriff und umfaßt deshalb nicht diejenigen Gestaltungen desselben,
in denen es als Positivität und Energie erscheint. Ebenso wenig können wir
Spinoza zustimmen, der, nach dem Vorgange der griechischen Philosophie, in



*) München, Theodor Ackermann, 1378.

bar, durch welche die Verfehlung der Ziele, die Abweichung von der rechten
Bahn, auch eine nur zeitweise oder theilweise, hätte ausgeschlossen werden können?
Oder ist der Gedanke einer solchen nur da möglich, wo mit Phantasiegebilden,
aber nicht mit realen Größen gerechnet wird?

Im Sinne der letzteren Alternative ist diese Frage sowohl vom Stand¬
punkte des religiösen Determinismus, wie er in der Prädestiuationstheorie
Platz gegriffen hat, als auch von dem des philosophischen Determinismus, wie
er in den pantheistischen Systemen maßgebend ist, beantwortet worden. Nur
vereinzelt ist auch da, wo weder diese noch jene Voraussetzung vorhanden war,
einer solchen Entscheidung Raum gegeben worden. Im Allgemeinen aber geht
beides Hand in Hand, der Determinismus und die Behauptung der Unver¬
meidlichkeit der Sünde für die sittliche Entwickelung der Menschheit auf der
einen, die Freiheitslehre und die Behauptung der Vermeidlichkeit der Sünde
für dieselbe auf der andern Seite.

In diese Untersuchungen schlägt eine kleine Schrift ein, mit deren Ge¬
dankengang wir unsere Leser um so lieber bekannt machen, als wir uns im
Wesentlichen mit ihr in Uebereinstimmung wissen: „Das Problem des Bösen"
von A. L. Kym, Professor der Philosophie in Zürich.«) Mit Recht wird
hier die Theorie von der Sinnlichkeit als dem Ursprung des Bösen zurückge¬
wiesen. Die Sinnlichkeit als solche ist nicht böse, vielmehr ihrem innersten
Wesen nach dazu bestimmt, der Verwirklichung des Guten zu dienen. Nur
dann fällt sie unter den Gesichtspunkt des Bösen, wenn sie die Herrschaft im
Leben des Menschen gewonnen hat, und zwar nicht in Folge des Uebergewichtes,
das ihr in den Anfängen unserer Entwickelung naturgemäß zukommt, sondern
vermöge einer freien Entscheidung des Willens für sie. Denn die Bestimmt¬
heit des Kindes durch sinnliche Begehrungen ist nicht böse, sondern verträgt
sich sehr wohl mit Reinheit und Unschuld. Da, wo die geistig sittliche Instanz
nach den Gesetzen der göttlichen Weltordnung noch so schwach ist, daß sie dem
sinnlichen Faktor keinen erfolgreichen Widerstand zu leisten vermag, kann der
Begriff des Bösen nicht zur Anwendung kommen. Fichte hat in der Trägheit
den Grund des Bösen gesucht, und soweit diese nicht leiblich bedingt ist, sondern
im Mangel an sittlicher Energie ruht, ist sie in der That eine Eigenschaft des
Bösen, denn das Gute ist Thätigkeit. Aber als eine ausreichende Bestimmung
des Bösen können wir auch die Trägheit nicht ansehen, denn sie ist nur ein
negativer Begriff und umfaßt deshalb nicht diejenigen Gestaltungen desselben,
in denen es als Positivität und Energie erscheint. Ebenso wenig können wir
Spinoza zustimmen, der, nach dem Vorgange der griechischen Philosophie, in



*) München, Theodor Ackermann, 1378.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/182>, abgerufen am 27.09.2024.