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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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die Bestrebungen ihrer Zeit sammeln, um ihnen neue Wege zu weisen, so
lenken auch die Persönlichkeiten, die nur Durchgangspunkte verschiedener Strö¬
mungen zu sein scheinen, doch, wenn auch in beschränktem Maße, diese Strö¬
mungen ab und bewähren so ihre Selbständigkeit.

Nur eine solche Anschauung, welche der menschlichen Persönlichkeit die
Freiheit, wenn auch eine gradweise abgestufte Freiheit, zuerkennt, rettet den
Begriff der Geschichte als einer von der Natur, ihren Gesetzen und Bedingungen
wesentlich verschiedenen Entwickelung.

Freilich bedürfen wir noch eines anderen Begriffes, um diese in ihrer
Eigenart zu verstehen; des Begriffes des Zweckes, des objektiven Zweckes, der
durch alle subjektiven Absichten hindurch sich verwirklicht, wenn die Geschichte
nicht in eine Vielheit von Ereignissen sich auflösen soll, die wohl durch das
Kausalitätsgesetz, aber nicht durch innere Einheit mit einander verknüpft sind,
die wohl durch den Zwang äußerer Nothwendigkeit, aber nicht durch die Macht
einer Idee, welche den Entwickelungen Sinn und Bedeutung verleiht, zusam¬
mengehalten werden. Es ist die Welt der Ideen, deren Verwirklichung wir als
den objektiven Zweck der Geschichte betrachten müssen, wenn sie uns nicht als
gleichgiltiges Spiel wechselnder Naturkräfte erscheinen soll. Diese Ideen sind
es, welche der Einzelne, wie die Menschheit als Ganzes sich aneignen muß,
damit ihre Freiheit inhaltvoll, eine sittliche werde. Denn die Freiheit als leere
Fähigkeit der Willkür und Wahl hat um ihrer selbst willen keinen Werth; ein
solcher kommt ihr nur insofern zu, als sie allein das Werkzeug ist, durch
welches die Ideen innerlich angeeignet werden.

Diese Ideenwelt ist inbegriffen in den drei fundamentalen Prinzipien des
Guten, Wahren und Schönen, von denen das erste dem Wollen und Handeln
die Richtung gibt, das zweite das Ziel des Erkennens bildet, das dritte der
gestaltenden Phantasie als Objekt erscheint. Und diese drei Ideen stehen nicht
nebeneinander, sondern ergänzen sich zur Einheit.

Das Gute wird durch das Wahre bedingt; auch die beste Gesinnung kann
Irrwege einschlagen, wenn ihr nicht die Fackel der Wahrheit, von der Erkennt¬
niß entzündet, voranleuchtet; und die Erkenntniß der Wahrheit leuchtet, aber
wärmt nicht, wenn sie nicht in der mit dem Guten geeinten Gesinnung Wirk¬
lichkeit gewonnen hat.

Schwerer ist die Beziehung des Wahren und Guten zum Schönen zu be¬
stimmen, da dasselbe vorhanden ist, auch ohne daß die bewußte Arbeit des
Menschen es hervorgebracht hat, und auch da, wo dies der Fall ist, dasselbe
theils als ein von der menschlichen Persönlichkeit lösbares Gebilde, theils als
eine mit ihr verknüpfte, an ihr sich kuudthuende Erscheinung uns entgegentritt
und so eine verschiedene Beurtheilung fordert.


die Bestrebungen ihrer Zeit sammeln, um ihnen neue Wege zu weisen, so
lenken auch die Persönlichkeiten, die nur Durchgangspunkte verschiedener Strö¬
mungen zu sein scheinen, doch, wenn auch in beschränktem Maße, diese Strö¬
mungen ab und bewähren so ihre Selbständigkeit.

Nur eine solche Anschauung, welche der menschlichen Persönlichkeit die
Freiheit, wenn auch eine gradweise abgestufte Freiheit, zuerkennt, rettet den
Begriff der Geschichte als einer von der Natur, ihren Gesetzen und Bedingungen
wesentlich verschiedenen Entwickelung.

Freilich bedürfen wir noch eines anderen Begriffes, um diese in ihrer
Eigenart zu verstehen; des Begriffes des Zweckes, des objektiven Zweckes, der
durch alle subjektiven Absichten hindurch sich verwirklicht, wenn die Geschichte
nicht in eine Vielheit von Ereignissen sich auflösen soll, die wohl durch das
Kausalitätsgesetz, aber nicht durch innere Einheit mit einander verknüpft sind,
die wohl durch den Zwang äußerer Nothwendigkeit, aber nicht durch die Macht
einer Idee, welche den Entwickelungen Sinn und Bedeutung verleiht, zusam¬
mengehalten werden. Es ist die Welt der Ideen, deren Verwirklichung wir als
den objektiven Zweck der Geschichte betrachten müssen, wenn sie uns nicht als
gleichgiltiges Spiel wechselnder Naturkräfte erscheinen soll. Diese Ideen sind
es, welche der Einzelne, wie die Menschheit als Ganzes sich aneignen muß,
damit ihre Freiheit inhaltvoll, eine sittliche werde. Denn die Freiheit als leere
Fähigkeit der Willkür und Wahl hat um ihrer selbst willen keinen Werth; ein
solcher kommt ihr nur insofern zu, als sie allein das Werkzeug ist, durch
welches die Ideen innerlich angeeignet werden.

Diese Ideenwelt ist inbegriffen in den drei fundamentalen Prinzipien des
Guten, Wahren und Schönen, von denen das erste dem Wollen und Handeln
die Richtung gibt, das zweite das Ziel des Erkennens bildet, das dritte der
gestaltenden Phantasie als Objekt erscheint. Und diese drei Ideen stehen nicht
nebeneinander, sondern ergänzen sich zur Einheit.

Das Gute wird durch das Wahre bedingt; auch die beste Gesinnung kann
Irrwege einschlagen, wenn ihr nicht die Fackel der Wahrheit, von der Erkennt¬
niß entzündet, voranleuchtet; und die Erkenntniß der Wahrheit leuchtet, aber
wärmt nicht, wenn sie nicht in der mit dem Guten geeinten Gesinnung Wirk¬
lichkeit gewonnen hat.

Schwerer ist die Beziehung des Wahren und Guten zum Schönen zu be¬
stimmen, da dasselbe vorhanden ist, auch ohne daß die bewußte Arbeit des
Menschen es hervorgebracht hat, und auch da, wo dies der Fall ist, dasselbe
theils als ein von der menschlichen Persönlichkeit lösbares Gebilde, theils als
eine mit ihr verknüpfte, an ihr sich kuudthuende Erscheinung uns entgegentritt
und so eine verschiedene Beurtheilung fordert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/180>, abgerufen am 27.09.2024.