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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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gegebenen Augenblicke sich mit Ehren rückwärts konzentriren und zu seinem
früheren Berufe, dem eines VaK czdg.mes.in, zurückkehren zu können. Schiller,
Goethe, Lessing, Shakespeare und kein Ende -- das war die Parole, welche
von den meisten dieser Theater ausgegeben wurde. In zweiter Linie kamen
dann die Birchpfeiffer, Benedix und andere Vertreter unseres "klassischen" Lust¬
spiels, welche in den Pausen zwischen den hochklassischen Dramen für die
Unterhaltung des Publikums, das sich ja schließlich an der derben, gesunden
Kost den Magen verdarb, sorgen mußte. Und heute? Was ist nach zehn
Jahren aus diesen stolzen Musentempeln geworden?

Das Nationaltheater, welches seine Aufgabe noch am ernstesten nahm, sich
wirklich von der leichten Waare der Tagesliteratur fern hielt und sich überdies
der lebhaften Protektion des Hofes erfreute, hat vier Mal Bankerott gemacht.
Der letzte Direktor legte nach halbjähriger Geschäftsführung seinen Stab nieder,
nachdem er noch in hellster Verzweifelung den Versuch gemacht hatte, durch die
Aufführung eines -- französischen Ausstattungsstückes mit kostspieligen Deko¬
rationen und Maschinerien die brechenden Stützen seines Kunsttempels im
Sturze aufzuhalten. Das Belle-Allicmcetheater hat das Defizit, welches ihm
die Aufführung der klassischen Dramen verursacht hat, durch Anlage eines
reizenden Sommergartens zu decken gesucht, und in der That gelang es ihm,
während der Sommersaison tausende in diesen Garten zu locken, in welchem
. allabendlich italienische Nacht bei feenhafter Beleuchtung gefeiert wird. Für die
Unterhaltung des Publikums sorgen zwei bis drei Musikchöre, tyroler und
schwedische Sänger und Sängerinnen, und in der vorigen Sommersaison ist
die Direktion schließlich ganz zu den Traditionen des Va>to <ZQantg,ur, ont^o
Tingeltangel zurückgekehrt, indem sie zu mehrerem Amüsement des Publikums eng¬
lische Grotesktänzer, Phoites genannt, engagirte. Nebenbei wurden freilich leichte
Lustspiele und schwanke aufgeführt; aber auf die Dauer vergnügte sich das
Publikum dieses Volkstheaters auch an diesen einfachen Späßen nicht mehr,
und so mußte denn in der Wintersaison, als selbst die Volksstücke Anzengruber's
nicht mehr zogen, das "Pariser Leben" helfend in die Bresche treten. Im
Walhalla-Volkstheater produziren sich japanische Taschenspieler, chinesische
Messerschlucker, englische Gymnastiker und Velocipedekünstler, französische Chan¬
sonettensängerinnen und spanische Tänzer, lauter staunenerregende Spezialitäten,
die tausend bis fünfzehnhundert Mark monatliche Gagen erhalten. In den
Pausen, welche diese "Spezialitäten" zur Erholung brauchen, werden -- und
das ist der schmähliche Rest des "Volkstheaters" -- einaktige Lust- und Sing¬
spiele aufgeführt, von ganz untergeordneten Kräften, welche für ihre Mühe
mit vierzig bis fünfzig Thalern monatlich honorirt werden. Und in dieses


gegebenen Augenblicke sich mit Ehren rückwärts konzentriren und zu seinem
früheren Berufe, dem eines VaK czdg.mes.in, zurückkehren zu können. Schiller,
Goethe, Lessing, Shakespeare und kein Ende — das war die Parole, welche
von den meisten dieser Theater ausgegeben wurde. In zweiter Linie kamen
dann die Birchpfeiffer, Benedix und andere Vertreter unseres „klassischen" Lust¬
spiels, welche in den Pausen zwischen den hochklassischen Dramen für die
Unterhaltung des Publikums, das sich ja schließlich an der derben, gesunden
Kost den Magen verdarb, sorgen mußte. Und heute? Was ist nach zehn
Jahren aus diesen stolzen Musentempeln geworden?

Das Nationaltheater, welches seine Aufgabe noch am ernstesten nahm, sich
wirklich von der leichten Waare der Tagesliteratur fern hielt und sich überdies
der lebhaften Protektion des Hofes erfreute, hat vier Mal Bankerott gemacht.
Der letzte Direktor legte nach halbjähriger Geschäftsführung seinen Stab nieder,
nachdem er noch in hellster Verzweifelung den Versuch gemacht hatte, durch die
Aufführung eines — französischen Ausstattungsstückes mit kostspieligen Deko¬
rationen und Maschinerien die brechenden Stützen seines Kunsttempels im
Sturze aufzuhalten. Das Belle-Allicmcetheater hat das Defizit, welches ihm
die Aufführung der klassischen Dramen verursacht hat, durch Anlage eines
reizenden Sommergartens zu decken gesucht, und in der That gelang es ihm,
während der Sommersaison tausende in diesen Garten zu locken, in welchem
. allabendlich italienische Nacht bei feenhafter Beleuchtung gefeiert wird. Für die
Unterhaltung des Publikums sorgen zwei bis drei Musikchöre, tyroler und
schwedische Sänger und Sängerinnen, und in der vorigen Sommersaison ist
die Direktion schließlich ganz zu den Traditionen des Va>to <ZQantg,ur, ont^o
Tingeltangel zurückgekehrt, indem sie zu mehrerem Amüsement des Publikums eng¬
lische Grotesktänzer, Phoites genannt, engagirte. Nebenbei wurden freilich leichte
Lustspiele und schwanke aufgeführt; aber auf die Dauer vergnügte sich das
Publikum dieses Volkstheaters auch an diesen einfachen Späßen nicht mehr,
und so mußte denn in der Wintersaison, als selbst die Volksstücke Anzengruber's
nicht mehr zogen, das „Pariser Leben" helfend in die Bresche treten. Im
Walhalla-Volkstheater produziren sich japanische Taschenspieler, chinesische
Messerschlucker, englische Gymnastiker und Velocipedekünstler, französische Chan¬
sonettensängerinnen und spanische Tänzer, lauter staunenerregende Spezialitäten,
die tausend bis fünfzehnhundert Mark monatliche Gagen erhalten. In den
Pausen, welche diese „Spezialitäten" zur Erholung brauchen, werden — und
das ist der schmähliche Rest des „Volkstheaters" — einaktige Lust- und Sing¬
spiele aufgeführt, von ganz untergeordneten Kräften, welche für ihre Mühe
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/152>, abgerufen am 27.09.2024.